Wenn Mikroorganismen Plastik abbauen – "Schnell Lösungen finden"

Möglichst wenig Plastik sollte in die Umwelt gelangen. An bioabbaubaren Produkten wird gearbeitet – Wissenschaft und Industrie sollten gemeinsam vorgehen.

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(Bild: NAUFAL ARIEQ WIRA P / Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Marco Krefting
  • dpa

Es blubbert in den Gläsern, das Wasser soll konstant auf etwa 28 Grad gehalten werden. Durchsichtige und grüne Schläuche ragen hinein. Eine Frau kontrolliert Temperatur und pH-Wert. In den Gläsern verschwindet Plastik. Oder besser: Es sollte verschwinden. Das Team der Hydra Marine Sciences GmbH testet, ob bioabbaubares Plastik hält, was es verspricht – und welche Rückstände bleiben. Im Regal hinter den Gläsern stehen Kästen mit verschiedenen Arten von Boden. Hier soll eingegrabene Plastikfolie zersetzt werden.

Funktioniert das, spricht man von Mineralisierung. "Es entstehen Wasser, CO₂ und Biomasse", sagt Miriam Weber. Sie und ihr Mann Christian Lott, beide Meeresbiologen, haben die Versuche selbst konzipiert und bauen in Bühl bei Baden-Baden ein größeres Labor auf.

Ihr Credo: Es gehe nicht darum, Plastik gänzlich zu verbannen. Wo möglich, sollte kein Kunststoff in die Umwelt gelangen. Aber wo es sich nicht verhindern lässt, sollte er biologisch wirklich abbaubar sein. Als Beispiele nennt Weber so verschiedene Dinge wie Beschichtungen von Dünger, Hummerkäfige im Meer und sogenannte Geotextilien, die etwa zum Befestigen von neu angelegten Ufern oder Schutzwällen an Autobahnen in die Erde eingearbeitet werden.

Eine Herausforderung laut Lott: "In den letzten 60 Jahren hat die Kunststoffindustrie alles dafür getan, Kunststoff stabiler zu machen." Wie lange es dauert, bis Kunststoff abgebaut wird, hänge von der Umgebung ab. "Das lässt sich nicht pauschal sagen", so Weber. "In einem tropischen Meer ist es warm, da fühlen sich Bakterien pudelwohl." In anderen Gefilden seien Mikroorganismen weniger aktiv.

Seit Jahrzehnten haben sich Miriam Weber und Christian Lott mit ihrer Expertise einen Namen gemacht, zig wissenschaftliche Studien veröffentlicht. Sie arbeiten mit Universitäten, der EU-Kommission, Industrie und Nichtregierungsorganisationen gleichermaßen zusammen. Damit gehen sie transparent um – legen aber Wert darauf, dass ihre Erkenntnisse nicht aus dem Kontext gerissen und richtig interpretiert werden.

Der weltgrößte Chemiekonzern BASF aus Ludwigshafen etwa erforscht seit mehr als acht Jahren mit ihnen, wie unterschiedlichste Materialien im Meer biologisch abgebaut werden. "Wir schätzen die wissenschaftliche Expertise und langjährige Erfahrung von Hydra Marine Sciences bei den Freilandversuchen, die die Wissenschaftler in den Meeren rund um Elba und Indonesien durchgeführt haben", sagt Andreas Künkel, Leiter der Forschung für Bioabbaubarkeit bei BASF.

In dem Konzern wiederum stünden die analytische Auswertung dieser Versuche und die Entwicklung von Labormethoden im Fokus. Ein weiteres Arbeitsfeld sei die Mikrobiologie. Heute verstehe man den biologischen Abbau von Materialien im Meer viel besser, sagt Künkel. Das Max-Planck-Institut (MPI) für Marine Mikrobiologie in Bremen verweist unter anderem auf zahlreiche hochrangige wissenschaftliche Publikationen, die in Zusammenarbeit mit Hydra entstanden seien.

Dass Lott und Weber mit ihrer Grundlagenforschung nicht an eine wissenschaftliche Einrichtung gegangen sind, begründen die beiden mit mehr Flexibilität. Als privatwirtschaftliches Unternehmen könnten sie viel schneller handeln, sagt Lott. So müssten sie zum Beispiel weniger bürokratische Vorgaben etwa bei der Vergabe von Aufträgen beachten.

Die große Flexibilität, lange Felderfahrung und eine hohe Qualität der wissenschaftlichen Tauchgänge, die Hydra biete, erleichterten die Forschungsarbeit am MPI, bestätigt eine Sprecherin. Im engeren wissenschaftlichen Umfeld arbeiteten die Bremer in wenigen Fällen mit kleinen privatwirtschaftlichen Unternehmen zusammen. Es gehe zum Beispiel um Zugang zu "gewisser, für unsere Forschung erforderlicher Infrastruktur und Dienstleistungen" wie die Taucheinsätze.

Die Umweltorganisation WWF lobt die Transparenz, die die Bühler an den Tag legen: "Es ist nachvollziehbar, mit wem sie zusammenarbeiten, die Ergebnisse sind öffentlich zugänglich und lassen Rückschlüsse auf die Belastbarkeit der Forschung zu." Im besten Fall ermögliche eine solche Arbeitsweise, wissenschaftliche Erkenntnisse schnell an die Industrie heranzutragen und in die Anwendung zu bringen.

In ihren Versuchen analysieren Weber, Lott und ihr Team zunächst, ob ein Produkt überhaupt bioabbaubar ist. Dann prüfen sie die Abbaurate erst unter kontrollierten Bedingungen wie in den Gläsern und später unter realen Verhältnissen zum Beispiel in einem Baggersee oder im Meer. Am Ende geht es noch um die Ökotoxizität, also womöglich freigesetzte Schadstoffe, und den Einfluss auf das Ökosystem.

Dass es erst ins Labor geht, hänge mit dem Faktor Zeit zusammen, sagt Weber. "Die Natur bietet uns mal einen heißen Sommer, mal einen kalten. Das nur draußen zu machen, wäre nicht zielführend", erklärt die Meeresbiologin. "Wir müssen ja schnell Lösungen finden."

(tiw)