Österreich verordnet Cell Broadcast für Katastrophenschutz mit Verspätung

Warnmitteilungen an alle Handys kommen auch in Österreich. Endlich stehen die Regeln fest.​

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Steinernes Haus mit gebrochenen Fenstern; aus der Garage quillt ein Haufen aus Steinen und Felsbrocken

Wenn es stark regnet und der Bach plötzlich durchs Haus fließt...

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Update
Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Warnungen vor Katastrophen, Suchaufrufe bei abgängigen Kindern und ähnliche dringende Mitteilungen sollen auch in Österreich mittels Cell Broadcast verteilt werden: Das sind rundfunkartige Nachrichten an alle kompatiblen Smartphones, die in bestimmten Funkzellen eingebucht sind – unabhängig von der Rufnummer des Handys und gebührenfrei. Am Montag hat das österreichische Finanzministerium die einschlägige Verordnung im Bundesgesetzblatt veröffentlicht, seit Mitternacht ist sie in Kraft.

Update 18:25 Uhr: Zwei Absätze über die vorraussichtlche Dauer bis zur Einführung hinzugefügt.

EU-rechtlich sollte es gemäß EU-Verordnung 2018/1972 eigentlich schon zum 21. September 2022 so weit sein, nach österreichischen Telekommunikationsgesetz sogar bis 21. Juni 2022. Politisch hat der damals zuständige Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) die Umsetzung sogar für 2019 angekündigt. In vielen Ländern ist Cell Broadcast seit Jahren etabliert, beispielsweise in den USA seit 2012, in Kanada seit 2015. Deutschland hat Cell Broadcast am 23. Februar 2023 aktiviert.

Die österreichische "Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die technische Ausgestaltung eines öffentlichen Warnsystems" enthält keine Umsetzungsfrist. Sie verlangt die Bereitstellung damit per sofort, sagt aber gleichzeitig, dass Details zur Umsetzung zwischen Mobilfunkbetreibern und zuständigen Behörden zu vereinbaren sind.

[Update 18:25 Uhr]:

Wie schnell diese Vereinbarungen getroffen werden, ist offen. Davon hängt allerdings ab, wie schnell Cellbroadcast auch in Österreich Wirklichkeit werden kann. A1 Telekom Austria verspricht "schnellstmögliche" Umsetzung, Magenta (vormals T-Mobile Austria) verweist auf Erfahrungswerte aus anderen Ländern: Dort habe es ab Festlegung der rechtlichen Vorgaben "ein bis eineinhalb Jahre bis zur vollständigen flächendeckenden Inbetriebnahme des Warn-Systems" gedauert. Drei (Hutchison Drei Austria) hofft, es in zirka neun Monaten schaffen zu können – jedoch gerechnet ab Klärung der technischen Details mit den diversen Behörden, die Cellbroadcast-Mitteilungen einspeisen wollen

Heuer wird sich der Normalbetrieb also nicht mehr ausgehen. Die österreichischen Netzbetreiber verhandeln ab sofort in zwei Richtungen: Einerseits mit den Behörden, andererseits mit Herstellern der technischen Ausrüstung. Die gute Nachricht ist, dass die Untermieter in den Mobilfunknetzen (MVNO, Mobile Virtual Network Operators sowie Reseller) keine eigenen Cell-Broadcast Center einrichten müssen. Ihre Kunden werden direkt von den Ausspielzentren der Netzbetreiber versorgt werden.

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Beispiel einer kanadischen Unwetterwarnung über Cell Broadcast

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Unter anderem ist jetzt Vorschrift, dass jeder österreichische Mobilfunkbetreiber zwei von einander unabhängige Ausspieleinrichtungen (Cell-Broadcast Center, CBC) betreibt. Rechtlich enthält die Verordnung eine wesentliche Änderung gegenüber dem im Spätsommer begutachteten Entwurf: Entfallen ist die Haftungsbefreiung für Mobilfunkbetreiber, für den Fall, dass ihre CBC nicht verfügbar sind, sie daran aber keine Schuld trifft. Jetzt heißt es lapidar: "Allfällige Haftungsfragen sind nach den Regeln des allgemeinen Zivilrechts zu behandeln.

Technisch setzt Österreich auf das Common Alerting Protocol CAP 1.2 von OASIS in der Ausformung AT-Alert. AT-Alert verzichtet auf viele optionalen Parameter, um das System simpel zu halten. Das Zielgebiet einer Aussendung ist in maximal zehn Polygonen zu definieren, die insgesamt maximal hundert geographische Koordinaten haben dürfen. Die Netzbetreiber müssen dann die jeweils passenden Mobilfunkzellen auswählen. Nicht vorgesehen ist die im Standard optionale Beschreibung des Zielgebietes mittels Umkreis von einem bestimmten Punkt aus, mittels Geocode oder die Angabe von unterem und oberem Höhenbereich.

Die Nachrichten sind im Format UTF-8 zu gestalten dürfen bis zu 4096 Zeichen lang sein. Als Sprachen sind "Deutsch" und "Andere" definiert. Sie werden wiederholt ausgeschickt, je nach Dringlichkeit minütlich bis zehnminütlich. Durch eine eindeutige Identifikationsnummer wird sichergestellt, dass ein Handy die selbe Warnmitteilung kein zweites Mal anzeigt, selbst wenn das Handy das Mobilfunknetz gewechselt haben sollte. Die Wiederholungen dienen also dazu, Endgeräte zu erreichen, die bei früheren Versuchen nicht eingebucht waren.

Nicht jedes Mobiltelefon zeigt die Cellbroadcast-Mitteilungen automatisch an. Je nach Modell muss der Anwender im Voraus passende Einstellungen vornehmen. Die neue österreichische Verordnung verpflichtet die Mobilfunkbetreiber allerdings dazu, von ihnen in Verkehr gebrachte Handys von Haus aus so zu konfigurieren, dass Cell-Broadcast-Mitteilungen empfangen und prominent angezeigt werden.

Multimedia-Elemente gibt es für Cell Broadcast generell nicht; deren massenhafter Versand könnte das Netz überlasten. Hyperlinks könnten theoretisch im Text enthalten sein, deren Einsatz ist aber umstritten: Wenn zigtausende Empfänger gleichzeitig den Link zu einer Webseite oder einer Telefonnummer klicken, könnte das Netz erst recht wieder ins Wanken geraten.

(ds)