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Frieden bringt keine Klicks

Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten, lautet eine öfters erforschte alte Journalisten-Intuition. Eine weitere Studie ist ihr nun nachgegangen.

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Falls es möglich wäre, dass Liebe sich symbolisch materialisiert und aus dem Display fällt.

(Bild: oatawa/Shutterstock.com)

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"If it bleeds, it leads" – blutige Schlagzeilen sind gut für die Auflage – lautet eine alte Weisheit unter Zeitungsmachern. Diese ursprünglich eher intuitive Erkenntnis war schon häufiger Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Dabei wurden beispielsweise Probanden unter Laborbedingungen verschiedene Nachrichten präsentiert und ihre Reaktionen darauf beobachtet. Oder Forscher zählten aus, wie oft positive oder negative Nachrichten in sozialen Medien von den Nutzern weiterverbreitet wurden.

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Das Internet ist voll von heißen IT-News und abgestandenem Pr0n. Dazwischen finden sich auch immer wieder Perlen, die zu schade sind für /dev/null.

Am besten wäre es vielleicht, eine Zeitung in verschiedenen Versionen mit negativem oder positivem Aufmacher zu drucken und zu messen, welche am Kiosk häufiger gekauft wird. Doch das ist offensichtlich zu aufwändig. Das Internet bietet neue, günstigere Möglichkeiten, denen sich nun ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München bedient hat.

Es nutzte Datensätze des englischsprachigen Nachrichtenportals Upworthy.com, das mit verschiedenen Varianten von Überschriften für seine Artikel experimentiert hat. Die Ergebnisse seiner Auszählungen hat das Team nun in Nature publiziert. Der Studie liegen 370 Millionen Page Impressions und 5,7 Millionen Klicks auf knapp 23.000 Artikel mit Überschriftenvarianten aus dem Zeitraum Ende Januar 2013 bis Mitte April 2015 zugrunde. Die darin auftauchenden Schlagwörter wie "love" oder "bad" nach den Maßgaben der Analysesoftware Linguistic Inquiry and Word Count klassifiziert.

Die Klickraten, also die Klicks der Leserschaft gemessen an der Zahl der Impressions (CTR), variierten zwischen null und knapp 15 Prozent. Im Schnitt konnte bereits ein einziges negatives Stichwort die Klickrate deutlich steigern, von etwa 1,4 auf 2,3 Prozent. Dabei ging es um Vokabeln wie "wrong", "bad" oder "awful". "Positive" Wörter wie "love", "pretty" und "beautiful" animierten die Leser weniger, auf einen Artikel zu klicken. Längere Titelzeilen – mit potenziell mehreren Negativ-Vokabeln – steigerten die Klickraten. Sprachen die Titelzeilen Emotionen an, ließen sich ebenfalls Effekte verzeichnen: Traurigkeit war gut für Klicks, Freude weniger; Wut dagegen lieferte hingegen uneindeutige Ergebnisse.

Je nach Themenfeld war der Effekt von Negativ-Vokabeln unterschiedlich groß. Am stärksten war er für Nachrichten aus den Bereichen Politik und Wirtschaft, aber auch in den für Upworthy typischen Themenfeldern "Leute", "Erziehung und Schule" und "LGBT" war er deutlich sichtbar, weniger dagegen bei "Unterhaltung" und "Frauenrechte und Feminismus". "Das Besondere an unserer Untersuchung ist aber auch, dass wir damit den privaten Konsum sehen, welche Geschichten die Leser also aus reinem Interesse anklicken", erläutert Stefan Feuerriegel, Direktor des Institute of AI in Management an der LMU.

Upworthy galt in den Jahren kurz nach seiner Gründung 2012 als die am schnellsten wachsende Website. Schon zu der Zeit bediente sich die Plattform Analysesystemen, um herauszufinden, welche Überschriften sich am besten eignen, um auf bestimmte Themen aufmerksam zu machen. Auf eine Ironie des Forschungsgegenstands weist Feuerriegel hin: "Upworthy hat zum Ziel, vor allem positive Nachrichten zu verbreiten."

Update

Mit diesem WTF-Beitrag wurden vier Überschriften-Varianten ausgespielt. Oben über dieser Meldung lesen Sie die Überschrift, die die höchste CTR erhalten hat. Fast gleichauf landete die Überschrift

"Friede, Freude und Eierkuchen gratis bringen auch mit Liebe keine Klicks"

Weniger oft angeklickt wurden die Überschriften

"Weltuntergang wird oft angeklickt"

und

"Fieser, hässlicher und tödlicher Weltuntergang wird oft angeklickt".

Das Ergebnis unseres kleinen Experiments scheint die Ergebnisse des internationalen Forschungsteams zu konterkarieren. Das gilt auch für eine andere intuitive Erkenntnis, nämlich dass "gratis" immer gut klickt. Dabei sei zweierlei eingewandt: 1. Ist das Ergebnis auf Basis einer Meldung mit einer relativen kleinen Stichprobe keineswegs wissenschaftlich haltbar und 2. enthalten die Überschriften mit "positiven Wörtern" Verneinungen, die anderen nicht.

(anw)