Vom Klo zum Robotbutler

Nicht alles, was technisch möglich ist, wird auch benötigt. In Japans Haushalten werden die Grenzen der Automatisierung sichtbar.

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Von
  • Martin Kölling

Dieser Text ist der Print-Ausgabe 09/2009 von Technologie Review entnommen. Das Heft kann, genauso wie andere Ausgaben, hier online portokostenfrei bestellt werden.

Nicht alles, was technisch möglich ist, wird auch benötigt. In Japans Haushalten werden die Grenzen der Automatisierung sichtbar.

Yoshiyuki Sankai hatte in seiner Jugend eine erste Begegnung mit etwas, das er heute als Vorfahr von Haushaltsrobotern ansieht: mit einer Toilette. Die begann in den 1970er-Jahren, den Japanern auf Knopfdruck das Hinterteil zu spülen. "Ich dachte damals, das ist verrückt, wer braucht denn so etwas", erinnert sich der Professor der Universität in Tsukuba, 60 Kilometer nordöstlich von Tokio. "Doch inzwischen sind Washlets in Japan Standard, und sie können inzwischen viel mehr."

Für die neueste Modellgeneration der japanischen Hersteller Toto, Inax oder Panasonic ist die Bezeichnung "Klo" eine Beleidigung. Aufgerüstet mit Annäherungs- und Gewichtssensoren, Motoren und Mechaniken, sind die Aborte zu beinahe vollautomatischen, wartungsfreien "Roboiletten" mutiert. Panasonics Spitzenmodell "A-La-Uno" beispielsweise begrüßt Besucher durch das Öffnen des Klodeckels. Während des eigentlichen Geschäfts saugt die 367500 Yen (2750 Euro) teure Hightech-Toilette die Ausdünstungen ab und gibt sie entaromatisiert in die Raumluft frei. Nach dem Stuhlgang folgen die übliche Hinternwäsche inklusive Trocknung per Föhn, die Klospülung und das Schließen des Deckels.

Selbst einen Großteil der Reinigung erledigt das Klo inzwischen durch eine Kombination verschiedener Techniken selbst. Zum einen ist das "A-La-Uno" die erste Toilette, die nicht aus Keramik, sondern einem besonders gut Schmutz abweisenden, organischen Glas gefertigt wurde. Zum anderen spült das Gerät die Schüssel zweimal pro Woche mit Schaum vor und dann mit 60 Mikrometer kleinen, mit Reinigungsmittel versetzten Blasen nach. Der Benutzer muss nur den putzfreundlich gestalteten Schüsselrand und die Brille abwischen und den Reinigungsmitteltank einmal im Vierteljahr auffüllen. Auf den ersten Blick haben die Roboiletten für viele Menschen vielleicht nichts mit "Haushaltsrobotern" zu tun, für Roboterentwickler Sankai hingegen sehr viel. Denn die Entwicklung des Washlets von der belächelten Idee zum unverzichtbaren Hygienestandard nimmt die Verbreitung von Robotern im Haushalt vorweg. Außerdem zeigen die Klos, dass die Robotisierung des Haushalts anders aussehen und ablaufen wird, als sich viele Menschen heute vorstellen.

Paradoxerweise wird es derzeit immer schwieriger, sich ein Bild von der Zukunft zu machen, je näher die Vermarktung von Haushaltsrobotern rückt. In Japan haben nach Universitäten und Kleinunternehmen nun auch finanzstarke Großkonzerne wie Panasonic, Toyota und Honda die Hightech-Helfer zu ihrer Herzensangelegenheit erklärt und entwickeln sie als strategische Produkte hinter fest verschlossenen Türen.

Aufhellung verspricht ein Besuch im Labor von Professor Shigeki Sugano an der Waseda Universität in Tokio. Finanziert von einem Konzern, dessen Namen er nicht verraten darf, hat Sugano in siebenjähriger Arbeit das heutige Nonplusultra des autonomen Haushaltsroboters kreiert: Twendy-One. Der 1,47 Meter große Humanoid ist fast so fingerfertig wie ein Mensch. Mit seiner gepolsterten Vier-Finger-Pranke kann er Dinge vom Boden aufheben, Ketchup-Flaschen aus dem Kühlschrank holen, Brot toasten und servieren, Papierbecher bringen (ohne sie zu zerdrücken), Stifte greifen und Menschen aus dem Bett aufhelfen.

Dem Wesen merkt man an, dass Sugano die Tiefe einer Konzernkasse voll ausschöpfen konnte. Mit den fein verarbeiteten und gepolsterten Armen und dem sympathischen Kopf sieht der Roboter nicht wie ein zusammengestoppelter Prototyp aus, sondern wie ein marktreifes Produkt. Auch bei der Technik konnte der Akademiker bis an die Grenzen des heute Machbaren gehen. Kameraaugen, Gesichts- und Spracherkennung, Sprachfähigkeit, 47 Bewegungsachsen, 134 Berührungssensoren im Körper und in den Armen und 241 Sensoren in den Händen hat Sugano seiner Schöpfung spendiert. Einen Dollarbetrag in niedriger zweistelliger Millionenhöhe mag das Abenteuer den Konzern gekostet haben. Dafür testet Sugano zusätzlich die Einsatzmöglichkeiten von Twendy-One unter realen Bedingungen für dessen kommende Vermarktung.

Suganos erste Einsichten holen Japans hochfliegende Roboterträume auf den Boden zurück. Die Vorstellung, dass künftig Millionen von Partnerrobotern die Wohnungen bevölkern oder Alleskönner den Menschen lästige Arbeiten wie Kloputzen, Abwaschen, Staubsaugen oder Bügeln abnehmen, bleibt vorerst ein Wunschtraum. Denn viele der angedachten Alltagsarbeiten müssen die Handlanger gar nicht beherrschen. Erstens, weil sie es nicht sollen. Kochen darf Twendy-One nicht, dieses sinnliche Vergnügen will Sugano dem Menschen vorbehalten. Zweitens löst technischer Fortschritt Auf-gaben anders einfacher und vor allem billiger.

Knitterfreie Textilien etwa brauchen nicht mehr gebügelt zu werden, ein Helfer ist also nicht mehr nötig. Entscheidend jedoch ist Suganos dritter Punkt: "Wir sollten die Robotisierung von Haushaltsgeräten nicht vergessen." Das bekannteste Beispiel ist der Roboterstaubsauger Roomba der US-Firma iRobot. Das Gerät hat sich seit seiner Markteinführung im Jahr 2002 mehrere Millionen Mal verkauft. Weniger Aufsehen erregt die Erhöhung des Intelligenzquotienten von Klimaanlagen, Waschmaschinen und Badewannen. Über Wärme- und Bewegungssensoren können Klimaanlagen Menschen orten, lenken ihren Luftstrom dorthin und reinigen sich auch selbst. Waschmaschinen erkennen – ebenfalls dank eingebauter Sensoren – das Gewicht der Wäsche. Bei schweren Kleidungsstücken rotiert die Trommel schneller, bei leichter langsamer, damit die Wäschestücke in der für die Waschkraft förderlichsten Flugbahn aufschlagen. Badewannen lassen seit Jahren selbsttätig das Wasser ein, sagen Bescheid, wenn das Bad gerichtet ist, und halten dann automatisch die frei wählbare Wassertemperatur.

Die Fernbedienung funktionierte jahrelang nur im eigenen Haus, zum Beispiel von einem Terminal in der Küche. Inzwischen geht auch diese Funktion ins Internet. Besonders das Handy entwickelt sich dabei zur universellen Fernbedienung des Hauses. Der Handynetzgigant NTT Docomo wirbt schon Firmenkunden für einen Dienst, der die Steuerung von Haushaltsgeräten, Fernsehern und Videorekordern, von Türschlössern und anderen Geräten in einem Handymenü bündelt. Im nächsten Schritt werden die Haushaltsgeräte über einen Homeserver nicht nur mit dem Internet, sondern auch untereinander Daten austauschen.

Gegen diesen Trend wird sich kein Haushaltsgerät lange dumm stellen können. In Deutschland entwickelt die TU München einen rollenden Kaffeeroboter, der sich die Vorlieben von zig Personen merkt. Wissenschaftler der Universität Tokio haben mit Panasonics Unterstützung einen Roboterarm erdacht, der Geschirrspüler belädt. Der Greifer identifiziert das Geschirr mit einer Kamera selbstständig und soll dank 18 Sensoren sogar feinstes Porzellan bruchfrei in der Maschine verstauen können.

Für Alleskönner vom Schlage des Twendy-One werden zunächst nur staatliche und private Großeinrichtungen die derzeit noch extrem hohen Preise bezahlen können. Eventuell aber klopfen die Roboterhelfer über den Umweg des Pflegewesens an die Wohnungstüren, prognostiziert Professor Sankai. Einen Vorläufer hat er schon erfunden: den Roboteranzug Hal, mit dessen Hilfe bewegungseingeschränkte Menschen wieder aufstehen und länger ihre Unabhängigkeit genießen können. (bsc)