Trampelpfade zur schönen neuen Breitbandwelt

Netzausrüster, Kabelbetreiber und Mobilfunker stehen in den Startlöchern für den Aufbau neuer Hochgeschwindigkeitsnetze und haben Pilotprojekte am Laufen. Noch ist unklar, welche Techniken und Standards sich durchsetzen.

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Die vielfach beschworenen neuen Breitbandnetze und damit ermöglichte innovative Anwendungen kommen – langsam, aber sicher. So lautete der Tenor unter Technikern und Regulierern in zwei Fachforen auf einer Konferenz (PDF-Datei) der Deutschen Breitbandinitiative von Politik und Wirtschaft am Dienstag in Berlin. Trotz der zu umschiffenden Regulierungsklippen stehen Netzausrüster, Kabelnetzbetreiber und Mobilfunker in den Startlöchern für den Aufbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen und haben erste Pilotprojekte am Laufen. Doch noch ist unklar, welche Techniken und Standards sich durchsetzen und wann die schöne neue Breitbandwelt die Masse der Bürger erreicht.

Laut dem Chef von Alcatel-Lucent Deutschland, Alf Henryk Wulf, "geht an Glasfaser kein Weg vorbei". Auch wenn sein Unternehmen gerade im Zuge der Freigabe der "digitalen Dividende" aus dem Rundfunk ein Testnetz auf Basis des UMTS-Nachfolgers LTE (Long Term Evolution) in Stuttgart aufbaue, komme man an der leitungsgebundenen Technik nicht vorbei. Diese sei etwa auch wichtig für die Anbindung von Mobilfunkbasis-Stationen, wo "sehr viel Bandbreite" abzuholen sei. Glasfaser sei inzwischen auch eine handhabbare Technik mit "kalkulierbarem Risiko", führte der Vertreter des Telco-Ausrüsters am Beispiel einer entsprechenden Netzverlegung beim Neubau eines Stadtteils auf einem früheren Flugfeld zwischen Böblingen und Sindelfingen aus. Das von den Stadtwerken in Auftrag gegebene Projekt, das in einem Jahr umsetzbar gewesen sei, halte verschiedenen Diensteanbietern Zugangsmöglichkeiten offen.

Den Bedarf an zunehmender Bandbreite sieht Wulf etwa mit der Verbreitung von HDTV und individuellen Abrufmöglichkeiten von Fernsehsendungen in hochauflösender Qualität gegeben. Auch Cloud Computing und das damit verknüpfte Wandern von Anwendungen in die Kommunikationsnetze sei ein Treiber neben der Menge bereits genutzter P2P-Applikationen. All diese Trends beruhten auf "extrem schnellen, aber auch qualitätsvollen Netzen". Stephan Scholz von Nokia Siemens Networks bezifferte den Wachstumsfaktor beim weltweiten Internetverkehr in diesem Sinne mit dem Faktor 10 pro Jahr: "Das Netz wird zum Herz der zukünftigen Gesellschaft." Da könnten rasch auch bei Glasfaser und mobilem Breitband Grenzen erreicht werden. So könne man bei LTE pro Funkzelle auf 1 GBit/s kommen. Nicht zu vernachlässigen seien aber die erforderlichen Vorinvestitionen, die bei der neuen Mobilfunktechnik bei rund 20 Milliarden Euro lägen.

Carsten Ahrens von Ericsson Deutschland forderte die Politik vorsorglich auf, neben den derzeit zur Versteigerung stehenden, teils aus der digitalen Dividende stammenden 360 MHz "mehr Spektrum zur Verfügung zu stellen". Dies sei theoretisch kein Problem. Zugleich berichtete er über erste Erfahrungen aus dem mit E-Plus durchgeführten Demoprojekt für breitbandigen Internetzugang per Mobilfunk rund um die Gemeinde Grabowhöfe im Müritzkreis. Die inzwischen 150 Testnutzer kämen in einem Umkreis bis zu 20 Kilometer im Schnitt auf Download-Geschwindigkeiten zwischen 1 und 3 MBit/s. Noch in diesem Jahr würden als Spitzenbandbreiten 20 MBit/s angepeilt. Ahrens' Fazit: "Man kann mit der Dividende richtig was machen."

Einzelheiten zu einem Glasfaserprojekt zum Schließen weißer Flecken bei der Breitbandversorgung verriet Andy Mitteldorf von Cisco Systems. Dieses habe die Gemeinde Hohentengen zwischen Schwarzwald und Bodensee nach langwierigen Verhandlungen mit Telcos ins Leben gerufen. Jedes Gebäude der Kommune soll demnach mit 100-MBit-Anschluss versorgt werden. Die Eigenmittel in Höhe von 1,8 Millionen Euro reichten zwar nur zu 65 Prozent der Kostenabdeckung. Die weitere Refinanzierung sei aber über die Nutzungsgebühren geplant. Die reinen Anschlusskosten von 400 Euro pro Einheit könnten durch "Eigeninitiativen" gesenkt werden. So würden die ersten Kunden nun im Oktober angeschlossen, bis Ende 2010 sollten 70 Prozent der Gebäude am "Glas" hängen. Der eigentliche Internetzugang werde über die benachbarte Schweiz erfolgen, da sich kein deutsches Backbone dafür bereit erklärt habe. Erweiterungen auf 1 GBit/s seien machbar.

Kabel-Deutschland-Manager Christoph Clément belächelte die Bemühungen der Infrastrukturwettbewerber: "Wir können heute schon 100 MBit/s erreichen zu einem Bruchteil der Aufrüstungskosten." Die Reichweite für entsprechende Anbindungen bezifferte er mit 60 Prozent der Kabelhaushalte. Die gesamte Kapazität liege bei 5 GBit/s. Um das Potenzial zu nutzen, hielt Clément eine "Konsolidierung" im Kabelbereich und dafür nötige kartellrechtliche Zugeständnisse für unerlässlich. Zugleich warnte er vor einer Nutzung der digitalen Dividende in Ballungsgebieten: Mehrere Untersuchungen hätten ergeben, dass die dafür benötigten Empfänger Strahlen zurücksendeten, die wiederum die TV-Receiver von Flachbildschirmen bei Kabelanschluss störten.

Den Blick aufs Globale richtete Holger Boche vom Heinrich-Hertz-Institut mit seiner Forderung, ständig Lösungen für neue Funk- und Optikstandards zu entwickeln. Nur so könnten deutsche Firmen diese auch wieder exportieren. Zu bedenken seien dabei Umsetzungsphasen von rund zehn Jahren. Eine kurzfristige Linderung versprach sich Iris Henseler-Unger von der Bundesnetzagentur von einem Infrastruktur-Atlas, in dem vorhandene Glasfaserleitungen, Leerrohre, Richtfunkstrecken oder Standorte von Funkmasten zur Erleichterung von Kooperationen beim Breitbandausbau aufgeführt werden sollen. Die erste Ausgabe sei für Dezember geplant, wobei die Regulierungsbehörde zunächst den Zugang zu den Informationen vermittele. Später könnten etwa Landräte direkten Zugriff erhalten. (Stefan Krempl) / (pmz)