RoboCup-WM: Roboterfußball als experimentelle Anthropologie

Der Technologiewettbewerb beim RoboCup 2009 im österreichischen Graz wirft Fragen auf, die weit über die reine Technologie hinausweisen. Roboterfußball ist experimentelle Anthropologie, wenn auch schwer zu greifen.

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Von
  • Hans-Arthur Marsiske

Hat eigentlich schon mal jemand darauf hingewiesen, was für ein toller Veranstaltungsort Graz für den RoboCup ist? Klein genug, um das Roboterturnier richtig groß herauszubringen, groß genug, um für reichlich Publikum zu sorgen. Außerdem bietet Europas Kulturhauptstadt von 2003 schöne Gassen und Parks für ausgedehnte Spaziergänge. Dabei trifft man nicht nur an jeder Straßenecke auf RoboCup-Teilnehmer, sondern kann auch überraschende Entdeckungen machen – etwa die mit seltsamen Ornamenten verzierte Stahlplatte auf dem Schlossberg, auf der ein Schweißroboter eine akustische Botschaft für die Raumstation Mir visualisiert hat.

RoboCup-WM: Roboterfußball als experimentelle Anthropologie (5 Bilder)

Crash

Inszenierung eines Autounfalls vor der Grazer Stadthalle: Ein Telemax-Roboter wartet auf seinen Einsatz. (Bild: TU Graz/Lunghammer)

Die Akteure der diesjährigen RoboCup-WM werden wohl kaum ein ähnliches Monument hinterlassen. Doch aös große Technikinszenierung steht die Veranstaltung in einer guten Tradition. Bislang entwickelt sich der Wettbewerb auch sehr gut. Am heutigen Donnerstag sorgten viele Schulklassen und Kindergruppen, die durch die Hallen geführt wurden, für die nötige Turnieratmosphäre. Vor der Halle inszenierte die Grazer Berufsfeuerwehr einen Rettungseinsatz, bei dem ein Flugroboter und ein Bodenroboter für Unterstützung sorgten. Noch seien bei der Feuerwehr keine Roboter im Einsatz, sagte Heimo Krajnz von der Grazer Feuerwehr. Dazu seien sie derzeit noch zu teuer. Es gebe aber enge Kontakte zwischen Forschern und den Rettungskräften, um möglichst bald zu einsatztauglichen und bezahlbaren Geräten zu kommen, die im Ernstfall helfen können, rascher einen Überblick über die Lage zu bekommen.

In der nahen Zukunft werden solche Rettungsroboter mehr und mehr mit autonomen Funktionen ausgestattet werden. Alexander Kleiner von der Universität Freiburg nannte als Beispiel die automatische Erstellung von Umgebungskarten, die den Feuerwehrleuten die Orientierung in einem von Rauch erfüllten Gebäude erleichtern können. Die Produktion solcher Karten in Echtzeit durch Roboter ist ein zentrales Thema in der RoboCup Rescue League. Deren Wettkämpfe werden nicht nur mit realen Robotern ausgetragen, sondern auch mit simulierten.

Das berührt einen Schwachpunkt der diesjährigen RoboCup-WM: Die Simulationsligen, auch die Fußballsimulationen, sind in entlegenen Winkeln der Hallen versteckt. Die Leinwände, auf die das Spielgeschehen projiziert wird, sind so aufgestellt, dass die Besucher zunächst nur die Rückseite sehen. Zuschauer können daher nicht einmal durch die Bilder angelockt werden. Diese Bereiche finden nur diejenigen, die gezielt danach suchen, und auch das nur mit Mühe. Es ist nicht das erste Mal, dass die Simulationen bei einem RoboCup-Turnier im Abseits landen. Besonders extrem war es bei der Weltmeisterschaft 2007 in Atlanta, als die Simulationsligen in einem kilometerweit entfernten Gebäude praktisch unter sich blieben.

RoboCup-WM: Simulationen im Abseits (4 Bilder)

Tristesse

Blick in den Bereich der Fußballsimulationen, links 2-D, rechts 3-D. (Bild: Hans-Arthur Marsiske)

Wahrscheinlich würde niemand unter den RoboCup-Teilnehmern die Bedeutung von Simulationen bestreiten. Lernverfahren, kooperatives Verhalten oder Spielstrategien können hier ohne den Verschleiß teurer Hardware erprobt werden, bevor sie für reale Roboter optimiert werden. Besonders anschaulich ist die Verbindung in der 3-D-Fußballsimulation, die als Spieler virtuelle Modelle des Nao-Roboters verwendet. Die wiederum kicken in der entgegengesetzten Ecke der Halle als reale Spieler aus Plastik und Metall. Ein direkter Vergleich von Simulation und Realität ist für die Zuschauer dadurch nicht möglich, obwohl er spannend wäre. Selbst da, wo virtuelle und materielle Realität direkt aufeinander treffen, bleibt das Geschehen seltsam unaufgeregt. Im Wettbewerb der Mixed Reality bewegen sich kleine Roboter auf einem virtuellen Spielfeld und spielen mit einem virtuellen Ball. Sie bewegen sich dafür auf einem waagerecht liegenden Monitor, der Spielfeld und Ball projiziert.

Mit den Robotern versucht der Mensch, sich selbst nachzubauen und dadurch besser zu verstehen. Diesen Aspekt der Robotik werden die meisten Zuschauer und Teilnehmer eines RoboCup-Turniers schon selbst erlebt haben, etwa wenn sie bei Aktionen auf dem Spielfeld darüber nachgedacht haben, wie sie sich selbst eigentlich auf einem Fußballfeld orientieren, wie sie den Ball erkennen und woher sie wissen, was in einer bestimmten Situation zu tun ist. Roboterfußball ist experimentelle Anthropologie. Aber obwohl die damit verbundene Faszination ständig präsent und spürbar ist, ist sie nur schwer zu greifen.

Den psychologischen und kulturellen Dimensionen der Robotik ist auch der Berliner Filmemacher Kolja Raschke auf der Spur. Er interessiert sich insbesondere für humanoide Roboter und hat das Team der Darmstadt Dribblers zu dieser WM begleitet, um Material für einen Dokumentarfilm zu sammeln. Roboter sieht er als Spiegelbilder des Menschen und stellt sie in eine lange Tradition, die bereits mit den Höhlenmalereien oder womöglich noch früher beginnt. "Wenn die Dribblers ihre Roboter getestet haben, reden sie kurz darüber, dann stürzen alle an ihre Laptops und machen da irgendwas", sagt Raschke und in seiner Stimme mischen sich Begeisterung und Verzweiflung. "Was genau in so einem Moment passiert, ist unglaublich schwer einzufangen."

Siehe dazu auch:

(Hans-Arthur Marsiske) / (vbr)