Raw-Entwicklung: Rohkost für Feinschmecker (I)

Bessere Digitalkameras liefern neben JPEG-Bildern auch Raw-Dateien als "Digitales Negativ". Viele Amateurfotografen wissen gar nicht, was ihnen alles entgeht, wenn sie die besonderen Möglichkeiten der selbstausgearbeiteten Raw-Entwicklung nicht nutzen.

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Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Johannes Leckebusch
Inhaltsverzeichnis

Die zusätzliche Arbeit mit der Raw-Entwicklung, für die oft die Zeit fehlt, hindert viele Fotografen daran, das Letzte aus ihren Bildern herauszuholen. Natürlich ist es ideal, schon bei der Aufnahme so vorzugehen, dass ein perfektes Foto entsteht, an dem man nichts mehr nacharbeiten muss. In vielen Fällen gelingt dies auch, sogar per Automatik. Manchmal ließe sich zwar durch eine gewisse Nachbearbeitung das Ergebnis noch deutlich verbessern – was der Knipser aber nicht weiß, macht ihn nicht heiß.

Bei Mode(l)fotografie ist die Lichtprobe-Aufnahme mit einer in die Kamera gehaltenen Graukarte hilfreich für die spätere Farbabstimmung im RAW-Konverter.

Die Auffassung, JPEG-Bilder direkt aus der Kamera seien "wahre Fotos ohne Manipulation", ist allerdings ein Irrtum. Die Manipulation findet statt – aber am Fotografen vorbei, sie wird von den Algorithmen in der Kamera bewerkstellig, die Tonwerte umsetzen, Farben und Kontraste zurechtbiegen, wobei sie nach einem "Durchschnittsmotiv" oder vorgewählten "Standardmotiven" vorgehen. Bei diesem Prozess gehen wertvolle Informationen unwiederbringlich verloren, weil der vom Sensor gelieferte Tonwertumfang mit 12, 14 oder gar 16 Bit Farbtiefe pro Kanal auf JPEG-taugliche 8 Bit eingedampft wird.

Vor dem Zeitalter der Digitalfotografie gab es neben Schwarzweiß-Filmen, die unbunte Negative lieferten, auch Farbnegativfilm und Diafilm (Umkehrfilm) in unterschiedlichen Empfindlichkeiten und, bei Dia, auch Farbabstimmungen für Tages- oder Kunstlicht.

Beim Negativ sind Hell und Dunkel vertauscht, weil das Filmkorn beim Entwickeln um so stärker geschwärzt wird, je mehr Licht es getroffen hatte. Beim Farbnegativ werden auch die Farben durch ihre Komplementärfarben ersetzt. Zusätzlich sind Farbnegativfilme mit einer "Orangemaske" versehen (siehe Bilderstrecke), was es fast unmöglich macht, die aufgenommenen Farben direkt zu beurteilen. So erkennt man mit dem ungeübten Auge anhand eines Negatives oft schwer, was überhaupt auf dem Bild zu sehen ist, und es fällt dem Laien nicht leicht, ein Negativ auf seine Tauglichkeit für eine Vergrößerung zu beurteilen.

So sahen im "Filmzeitalter" Negativ und Positiv aus. Farbnegative hatten eine orangefarbene "Maskierung", was die visuelle Beurteilung der Farben noch schwerer machte.

Das Negativ war kein "authentisches Bild", sondern nur die Vorlage für ein Bild, das beim Vergrößern erneut einen komplizierten Umwandlungsprozess durchlief, den man auf geeignete Weise steuern musste. Dabei galt es auch, den meistens sehr hohen Kontrastumfang einer realen Szene über dessen sehr "weiche Wiedergabe" im Negativ in den sehr geringen Tonwertraum eines Papierbildes so zu übersetzen, dass ein natürlich wirkendes (!) Foto entstand, das aber auch "brilliant", kontrastreich und ggf. farbenfroh aussehen konnte. Dafür hatte man unterschiedlich "harte" oder "weiche" Papiere oder auch Filter im Vergrößerer und "Multigrade-Papier" für Schwarzweißvergrößerungen zur Verfügung.

Farbnegative werden beim Vergrößern ebenfalls gefiltert, um die Farben richtig darzustellen (sozusagen, um den Weißabgleich herzustellen). Auch bei Digitalbildern ist die Beurteilung – trotz der sofortigen Vorschau auf dem Kameradisplay – nicht ganz einfach, was sich aus dem Bild herausholen läßt und was nicht. Dazu ist das Kameradisplay nicht nur zu klein, es hat auch keine genügend präzise Farbwiedergabe. Von den Hilfsmitteln, welche die Kamera anbietet, um die Korrektheit der Belichtung einzuschätzen, war ja bereits im Artikel Belichtungshelfer: Histogramme richtig anwenden ausführlich die Rede.

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