Die elfte Plage der Menschheit
100 Jahre Fortschritt beim Automobil, doch die Kanaldeckel rappeln auch heute noch, als stammten sie aus Familie Feuersteins Zeiten.
- Detlef Grell
Über mehr als 100 Jahre hat sich die Automobiltechnik weiterentwickelt, nur die Kanaldeckel rappeln und klackern, als stammten sie aus der Zeit, als Familie Feuerstein durch die Gegend brauste. Werden sie auch in 100 Jahren klappern, wenn flüsterleise Hybride die Straßen bevölkern? Es deutet alles darauf hin.
Weckruf der Moderne
Die elfte Plage der Menschheit (9 Bilder)

Form follows Function: 40 t Punktlast muss so ein Kanaldeckel aushalten, denn man weiß ja nie, wann der nächste Leopard 1 (42 t) auf Zehenspitzen darüber hinweg trippelt.
Der Kanaldeckel gehört zum Autotest wie der sirrende Lüfter zu einem PC-Testbericht. Dann lesen wir "Unebenheiten wie Kanaldeckel oder Spurrillen werden vom Wagen spielend gemeistert" oder, wenn es etwas origineller sein darf: "Nur manchmal dringt ein Kanaldeckel bis zum Rücken durch." Nun sind erhöhte, abgesenkte, lockere Kanaldeckel oder angebröselte Kanaldeckel-Betonfüllungen nicht nur eine Provokation von Tester-Rücken, sondern vor allem von Anlieger-Ohren. Nachts in einer Wohngegend ist das nicht sehr lyrische "Kalong, Kalong" zu hören, wenn ein Pkw über Kanaldeckel hoppelt, bringt Menschen um den verdienten Schlaf.
Mordlüstern denken sich deckelgeplagte Menschen Torturen für Kanaldeckelkonstrukteure aus oder träumen einschlummernd davon, wie schön es doch im Urlaub in Frankreich oder Dänemark war, wo nichts dergleichen gehört wurde – bis zum nächsten "Kalong, Kalong". Retten wir zunächst einmal den Kanaldeckelkonstrukteur vor der Streckbank. Er kann nichts dafür, wenn es "Kalong, Kalong" macht.
20 Millionen Kanaldeckel können nicht irren
Kanaldeckel sind europaweit nach DIN EN 124/DIN 1229 genormt. Folglich lässt sich an Kanaldeckeln genauso wenig konstruieren wie an einem DIN-A4-Blatt. Die Norm regelt alles, vom Durchmesser bis zur unterschiedlichen Tragelast. Denn ein Kanaldeckel auf dem Fußweg muss weniger aushalten als einer, über den gelegentlich ein Jumbo-Jet rollt.
DINosaurier der Straßen
Höchstens an der Oberfläche kann man etwas werkeln und riffeln, etwa in der Weise, wie man auf A4-Papier zeichnen kann. Das Resultat sind dann die künstlerisch gestalteten Kanaldeckel in den Innenstädten, die gerne von Drainspottern abgelichtet werden. Aber allein in Deutschland sind 20 Millionen Kanaldeckel verbaut, da zählen die Norm, der Normdeckel, genormte Ausgleichsringe und sonst gar nichts.
Kalong, kalong en francais?
Damit verabschieden wir uns denn auch von den Urlaubsträumereien, in denen Frankreich und andere europäische Länder als Paradies aufscheinen, in dem es niemals "Kalong, Kalong" macht. Nichts unterscheidet einen Kanaldeckel der Fünften Republik von denen unserer Bundesrepublik. Die touristische Wahrnehmung verzerrt die Sicht, weil der Kanaldeckel-Rappler nicht bis zum Hirn dringt, wie der erwähnte Autotester schreiben würde. Der Tourist wohnt eben nicht in der Straße, in der es immerzu "Kalong, Kalong" macht, er merkt nicht einmal den Unterschied zwischen einer miserablen Straße und einer miserabel ausgebesserten Kanaldeckelquerung. Er braust in gelockerter Stimmung über das Land und findet eine holprige Ortsdurchfahrt pittoresk. Und nach dem Urlaub schwört er, dass die Franzosen, Italiener oder Skandinavier wunderbar leise Straßen haben.