Mühsame Ernte

Sensornetzwerke kommen in der Fertigung, der Gebäudeautomatisierung oder der Medizin immer häufiger zum Einsatz. Generieren Energiewandler vor Ort Strom aus Vibrationen, Wärme oder Bewegung, werden Batterien und Kabel überflüssig. Gleichzeitig entstehen neue Anwendungsbereiche.

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Von
  • Barbara Lange
Inhaltsverzeichnis

Energy Harvesting – das "Ernten" elektrischer Energie – gilt als Schlüssel für die Verbreitung autonomer Komponenten, die unabhängig von einer externen Stromquelle ihre Arbeit verrichten. Denn viele technische Umgebungen stoßen zurzeit noch an die Grenze der Energieversorgung.

Was Kraftwerke, Windräder oder Sonnenkollektoren können, ist auch im kleinen Maßstab möglich: Mit Energiewandlern versorgen sich Sensornetzwerke, Lichtschalter oder Monitoring-Systeme für Fertigungsmaschinen mit genug Energie aus ihrer unmittelbaren Umgebung, um Messwerte zu sammeln und per Funk drahtlos an eine Zentraleinheit zu übertragen.

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Noch dominieren allerdings Batterien, Akkus oder Stromkabel. Dabei klingen die Vorteile einleuchtend: Ohne Kabel kein Kabelbruch, und die Installation vereinfacht sich ebenfalls. In Produktionsanlagen ist ein Defekt der Verkabelung oft die Ursache für den Ausfall einer Maschine und damit der kompletten Produktion. Das war ein Motiv für das bis 2009 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWI) geförderte Projekt EnAS (Energieautarke Aktor- und Sensorsysteme).

Energieautarke Systeme schaffen nicht nur Abhilfe, sie bieten darüber hinaus weitere Vorteile. Die Fertigungsanlagen lassen sich flexibler anordnen und umstellen. So können Unternehmen schneller auf veränderte Bedingungen eingehen. Darüber hinaus gibt es Umgebungen, die für Kabel oder Batteriesysteme schwer oder gar nicht zugänglich sind.

Systeme, die sich selbst mit Energie versorgen, können darüber hinaus neue Anwendungsbereiche erschließen. Wenn sie Umgebungsdaten auswerten und übermitteln, entsteht eine erweitere Datenbasis zur Auswertung des Zustands der Produktionsanlage, des Produktionsprozesses oder des Heizverhaltens in einem Gebäude.

Ohne Batterien erleichtert sich darüber hinaus die Wartung, etwa in der Gebäudeautomatisierung. Es ist zwar nicht schwierig, die Batterien zum Beispiel von Funk-Lichtschaltern in einer Wohnung auszuwechseln. In einem Gebäude mit 4000 Schaltern sieht das allerdings anders aus. Bei einem massenhaften Einsatz batteriebetriebener Funkschalter entsteht ein erheblicher Aufwand allein für das regelmäßige Wechseln der Batterien. Hinzu kommt, dass man die leeren Zellen recyceln muss – von der schlechten Energiebilanz ganz zu schweigen: Die Herstellung von Primärbatterien kostet mehr Energie, als sie später zur Verfügung stellen.

Energy-Harvesting-Systeme bestehen aus mehreren Komponenten. Das Energiemanagement passt Stromprofile an, regelt die Spannung, minimiert die Verlustleistung und überwacht den eingebauten Energiespeicher (Abb. 1)

Autonome Funkschalter stellt zum Beispiel das Oberhachinger Unternehmen EnoCean her, das 2001 als Spin-off der Siemens AG gegründet wurde (www.enocean.com). Sie lassen sich unabhängig vom kabelgebundenen Stromnetz platzieren, auch in den leichten und flexiblen Wandelementen oder Glaswänden moderner Gebäude. Die Schalter generieren ihre Betriebsenergie aus dem Druck des Fingers: Ein kleiner Dynamo erzeugt daraus eine elektrische Spannung.

Mehrere Forschungsinstitute und Unternehmen entwickeln Lösungen für die Wandlung von Vibrationen, Licht, Wärme oder Bewegung in elektrische Energie. Neben dem eigentlichen Energiewandler enthalten solche Systeme weitere Komponenten wie Spannungswandler oder -regler, Schaltungstechnik und ein Funkmodul. Da die geerntete Leistung im Mikro- bis Milliwatt-Bereich liegt, besitzen die meisten Systeme einen Energiespeicher in Form eines Akkus oder Kondensators (siehe obige Abbildung 1).

Überschüssige Wärme lässt sich relativ einfach nutzen. Thermogeneratoren wandeln Temperaturdifferenzen in elektrische Energie um. Dabei nutzen sie den thermoelektrischen Effekt, den der Arzt und Physiker Thomas Seebeck Anfang des 19. Jahrhunderts entdeckt hat: Weisen zwei Punkte eines elektrischen Leiters unterschiedliche Temperaturen auf, entsteht eine elektrische Spannung.

Thermogeneratoren wie die von Micropelt lassen sich mit den in der Halbleitertechnik üblichen Fertigungsmethoden produzieren (Abb. 2)

(Bild: Fraunhofer IPM)

Bereits etabliert hat sich dieses Verfahren im Weltraum: Satelliten und Weltraumsonden beziehen Energie aus Thermowandlern. Nun sollen zunehmend irdische Sensorsysteme Strom aus Temperaturdifferenzen ernten. Die Ende 2008 aufgelöste Fraunhofer-Technologie-Entwicklungsgruppe TEG etwa hat eine Thermoskanne entwickelt, die es meldet, wenn die Kanne leer oder der Kaffee zu kalt ist. Die dafür benötigte Energie stammt aus der Temperaturdifferenz zwischen Kanneninhalt und Umgebung.

Auch die Thermowandler der Micropelt GmbH (www.micropelt.com), einer Ausgründung von Infineon Technologies und Fraunhofer IPM, nutzen den Seebeck-Effekt. Aus der Zusammenarbeit ist ein mikroelektronisches Produktionsverfahren entstanden, das auf einem Standard-Silizium-Wafer 6 bis 25 mm2 große thermoelektrische Generatoren in Dünnschicht-Technik erzeugt (siehe Abbildung 2 rechts).

Sie bestehen aus vielen einzelnen Elementen ("Beinen"), die jeweils paarweise ein Seebeck-Element bilden. Die Leistung, die der Generator erzeugen kann, hängt von der Zahl der Beinpaare und der Temperaturdifferenz ab. Micropelts Thermogenerator MPG-D602 mit 450 Beinpaaren auf einer Fläche von 6,25 mm2 etwa liefert bei einem Temperaturunterschied von 25 Grad nach Unternehmensangaben eine Ausgangsleistung von knapp 3 mW und eine Leerlaufspannung von 2,5 Volt.

Soll der Generator eine elektronische Schaltung versorgen, muss seine Ausgangsspannung konstant sein. Daher hat das Freiburger Unternehmen zusätzlich einen DC-DC-Wandler entwickelt, der die variable Spannung des Generators umwandelt. Als Einsatzbereiche für seine Systeme sieht Micropelt vor allem die Instandhaltung von Maschinen und Anlagen, die mit autarken Sensoren nicht nur präventiv, sondern auch zustandsorientiert arbeiten kann. Im Rahmen des "Condition Monitoring" senden autonome Sensorsysteme permanent oder in regelmäßigen Zeitintervallen Daten über den Zustand der Maschine und ihrer Schwachstellen an ein Überwachungssystem, sodass der Betreiber rechtzeitig eingreifen

Speziell für die Zustandsüberwachung von Walzstraßen kündigte das Unternehmen im Mai 2009 das System "TE-Power Ring" an, das Strom aus Reibungswärme erzeugt. Damit ließe sich das turnusmäßige Auswechseln von eigentlich noch intakten Verschleißteilen im Rahmen der vorbeugenden Instandhaltung vermeiden.

Auch im Auto gibt es Betätigungsfelder für Thermowandler, denn Abwärme entsteht dort genug. Viele Zulieferer arbeiten nach Aussagen von Branchenkennern daran, sie als Quelle für die Versorgung der Bordelektronik zu nutzen. Zukünftig können weitere neue Anwendungen entstehen, die derzeit noch als Visionen zu verbuchen sind: Aus der Differenz von Körper- und Außentemperatur ließe sich Energie für Sensoren und Funkmodule erzeugen, die Vitalwerte an Basisstationen übermitteln – zum Beispiel für das "Smart Home", für ältere Menschen im Bereich des betreuten Wohnens oder für die Medizin. An einer weiteren Miniaturisierung der Energy-Harvesting-Systeme und seiner Komponenten wird ebenfalls gearbeitet.

Der nur 1,5 x 1,5 mm große Spannungswandler für Thermogeneratoren erzeugt aus einer Eingangsspannung von 20 mV bis zu 3,3 Volt (Abb. 3)

(Bild: Fraunhofer IIS)

Generell liefern Thermowandler nur geringe Spannungen, die weiter gewandelt werden müssen. Damit beschäftigt sich das Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen (IIS). Als Herausforderung galt es dort, mit einer Eingangsspannung von nur 20 Millivolt elektronische Schaltungen, Funkmodule oder Displays zu bedienen, die deutlich mehr Spannung benötigen, nämlich 1,8, 3,3 oder sogar 5 V. Die Wissenschaftler des Instituts haben einen nach eigenen Angaben einzigartigen Spannungswandler entwickelt, der aus 20 mV bis zu 3,3 V erzeugt. Die Miniaturversion in einem ASIC (Application Specific Integrated Circuit) misst lediglich 1,5 x 1,5 mm2, der dazu gehörige Thermowandler 25 x 25 mm2 (siehe Abbildung 3 rechts).

Andere Forscher und Unternehmen setzen auf die Nutzung von Vibrationen oder Druckschwankungen. Das EnAS-Projekt hat unter anderem einen Energiewandler entwickelt, der seine Energie aus der Druckluft einer Dosenfüllmaschine generiert. Er nutzt dabei den piezoelektrischen Effekt, der mechanischen Druck in elektrische Spannung umsetzt. Bekannt ist er seit Ende des 19. Jahrhunderts: Bei Versuchen mit Turmalinkristallen fanden Jacques und Pierre Curie 1880 heraus, dass bei mechanischer Verformung der Kristalle auf deren Oberfläche elektrische Ladungen entstehen.

Der EnAS-Wandler besteht aus zwei mit Piezomaterial beschichteten Membranen, die sich durch Druck verformen. Nutzer der erzeugten Energie ist ein Drucksensor besagter Dosenfüllmaschine, der überwacht, ob der Vakuumsauger die Dosen mit dem richtigen Druck "greift". Die geerntete Energiemenge ist von der Stärke und der Häufigkeit der Druckschwankungen abhängig und meist klein, für den Betrieb der Sensorik und der Überwachung des Greifvorgangs aber ausreichend.

Projekte mit der Bauindustrie entwickelt das Institut für Mikro- und Informationstechnik der Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung e.V. (HSG-IMIT, www.hsg-imit.de). Gemeinsam mit der Rampf Formen GmbH (www.rampf.com) arbeitet das Institut auf dem Feld der Betonsteinherstellung. Bei der Fertigung kommen Formen zum Einsatz, in denen der Beton unter hohem Druck und starken Vibrationen verdichtet wird. In den Beton eingelassene Sensoren melden ihren Zustand, Dichte und Feuchtigkeit. Entstehen soll ein miniaturisiertes Sensorsystem, das Prozessdaten bei der Betonverdichtung erfasst. Dafür benötigt das Gerät von der Größe einer Zigarettenschachtel kontinuierlich 100 Milliwatt.

Im Auto gibt es ebenfalls Aufgaben, für die sich ein Vibrationswandler eignet, zum Beispiel bei der Optimierung des Kraftstoffkreislaufs. Daran arbeitet das HSG-IMIT im BMBF-geförderten Forschungsprojekt IEKU (Intelligente energieautarke Kupplungen für fluidische Systeme in Fahrzeugen). Bis 2010 wollen die Projektpartner einen Demonstrator für ein energieautarkes Sensorsystem für Temperatur, Druck und Montagequalität entwickeln.

Technisch nutzt das HSG-IMIT zur Wandlung von Vibrationen mehrere Ansätze. Das resonante Multi-Mode-Verfahren MMIT kann mehrere Frequenzen nutzen und bei einer Vibrationsfrequenz von etwa 75 Hz und einer Amplitude von nur 50 µm bis zu 100 Mikrowatt elektrische Leistung generieren. Ein anderer Ansatz arbeitet frequenzunabhängig, indem er eine lineare Vibration in eine Drehbewegung umsetzt: Ein Magnetpendel startet mit der Vibrationsfrequenz, um dann dauerhaft zu rotieren, angetrieben von der Vibration. 140 Hz und 200 µm Amplitude erzeugen eine Leistung von 10 mW. Dieses Verfahren wollen die Forscher noch weiter optimieren. Der sogenannte Low Frequency Tunable Transducer (LFTT) lässt sich an die Umgebungsbedingungen anpassen und erzeugt aus Stößen oder Schwingungen zwischen 100 und 500 Mikrowatt.

Für den potenziellen Anwender stellt sich die Frage, ob sich der Ersatz eines vorhandenen batterie- oder kabelgebundenen Systems rentiert. Die befragten Marktteilnehmer und Forscher sehen bei den Anwendern ein großes Interesse an energieautarken Systemen. Noch sind Energiewandler aber mit einem Preis von 5 bis 20 Euro deutlich teurer als Batterien. Das wirkt abschreckend zumindest auf Nutzer, für die der eingangs erwähnte Zusatznutzen und die neuen Anwendungsfelder der energieautonomen Sensorik nicht im Vordergrund stehen.

Kostensenkung versprechen sich die Experten von höheren Stückzahlen und neuen, automatisierten Produktionsverfahren. Ansätze gibt es vonseiten des Unternehmens Micropelt, das in Halle die nach eigenen Angaben erste Großserienfertigung errichtet. Im Frühjahr 2010 will man dort die Produktion von Thermogeneratoren, thermoelektrischen Kühlern und schnellen Temperaturdifferenz-Sensorelementen aufnehmen.

Barbara Lange
ist IT-Journalistin und Inhaberin des Redaktionsbüros kurz&einfach in Lengede.

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  • Energy Harvesting wandelt Wärme, Schwingungen oder Vibrationen in elektrische Energie um. Das gilt als Schlüssel für die Umsetzung autarker Sensornetze und Mikrosysteme.
  • Als Herausforderungen gelten die Optimierung und Miniaturisierung der Systeme und die Erhöhung des Wirkungsgrads der Energiewandler.
  • Anwendungsbereiche liegen im Monitoring von Produktionsanlagen und -prozessen, in der Gebäudeautomatisierung, der Medizintechnik oder der Automobilindustrie.

(mr)