Die Seuchenjäger

In Fort Detrick forschte die US Army einst an Biowaffen, heute werden dort Arzneien und Impfstoffe gegen die gefährlichsten Mikroben der Welt entwickelt. Ein forschungsethischer Balanceakt.

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  • Sascha Karberg

Dieser Text ist der Print-Ausgabe 09/2009 von Technologie Review entnommen. Das Heft kann, genauso wie die aktuelle Ausgabe, hier online portokostenfrei bestellt werden.

In Fort Detrick forschte die US Army einst an Biowaffen, heute werden dort Arzneien und Impfstoffe gegen die gefährlichsten Mikroben der Welt entwickelt. Ein forschungsethischer Balanceakt.

Sie zwängt sich in einen unbequemen Schutzanzug, sie duscht in ätzendem Ammonium, trägt drei Paar Handschuhe übereinander – aber Lisa Hensley hält ihren Arbeitsplatz für den "sichersten der Welt". Wohl nicht viele würden diese Einschätzung teilen, denn die 37-jährige Mikrobiologin hantiert mit Pockenviren, kultiviert Erreger des Lassa-Fiebers und untersucht Ebola-kranke Rhesusaffen im so berühmten wie berüchtigten Fort Detrick. Bis 1969 entwickelten Forscher hier, im sanfthügeligen Bundesstaat Maryland, Biowaffen im Dienste der US-Armee, bevor Präsident Richard Nixon das seit den vierziger Jahren bestehende "Biological Warfare Program" beendete und die USA die Biological and Toxin Weapons Convention (BTWC) unterzeichneten. Übrig blieb der defensive, klinische Arm des Biowaffen-Programms, aus dem das Medizinische Forschungsinstitut für Infektionskrankheiten der US-Armee (USAMRIID) hervorging. Zwar gibt es diverse Militäreinrichtungen auf dem Gelände, doch wer Fort Detrick erwähnt, meint die Arbeit in den Hochsicherheitslabors des USAMRIID – wo Forscher wie Hensley nach Medikamenten und Impfstoffen gegen die gefährlichsten Viren und Mikroben der Welt suchen.

In erster Linie dient diese Forschung dem Schutz der US-Soldaten vor Seuchen oder eventuellen Biowaffen-Angriffen, aber auch Zivilisten kommen die Forschungsergebnisse zugute: So hat zum Beispiel ein von USAMRIID-Forschern mitentwickelter Impfstoff gegen die Ebola-Infektion vor drei Monaten möglicherweise einer deutschen Forscherin sogar das Leben gerettet. Wo mit solch gefährlichen Erregern gearbeitet wird, gelten besondere Sicherheitsvorkehrungen. Das beginnt schon am Eingang: Wer ins Fort will, dessen Wagen wird akribisch gefilzt. Der unbewaffnete Sicherheitsbeamte prüft penibel den Pass und gibt dann das Zeichen zum Weiterfahren – hier noch ohne Röntgenschleuse und ohne Leibesvisite. Das Innere von Fort Detrick präsentiert sich ganz unmilitärisch, eher wie eine typische amerikanische Einkaufs-Mall mit Burger King, Tankstelle, Supermarkt und riesigen Parkplätzen.

Das USAMRIID-Gebäude selbst hat erst nach den Terrorattacken vom 11. September einen eigenen Kontrollpunkt bekommen, wo Taschen durchleuchtet, Besucher registriert und durch den Metalldetektor geschickt werden. Die Fingerabdrücke jedes Mitarbeiters liegen als Datei vor, und Magnetkarten regulieren die Zugangsberechtigung zu den verschiedenen Teilen des Gebäudes.

Im Inneren des Forschungsinstituts führen schmucklos gelbliche Flure zum Hochsicherheitslabor, dem einst ersten Labor in den USA mit der Biosicherheitsstufe 4. Nur hier darf mit den hochinfektiösen Erregern gearbeitet werden, gegen die es noch keine Therapien oder Impfstoffe gibt. Hensley und ihre Kollegen forschen an Viren, deren Namen sich lesen wie ein Auszug aus einem Register für die fiesesten Erreger der Welt: Ebola-, Lassa-, Junin-, Marburg- und Gelbfieber-Virus. Allen ist gemeinsam, dass sie eines der schlimmsten Krankheitsbilder auslösen – das sogenannte hämorrhagische Fieber. Es verläuft in bis zu 90 Prozent der Fälle tödlich. "Während der Körper versucht, die Viren zu bekämpfen, entwickelt sich eine übermäßige Entzündungsreaktion", erklärt Hensley. Ein Sturm von Botenstoffen bringt die Kommunikation der Zellen durcheinander, die Stoffwechselprozesse geraten außer Kontrolle, so zum Beispiel auch die Blutgerinnung. Es kommt zu inneren Blutungen, die Organe versagen und lösen sich buchstäblich auf.

Impfstoffe gegen diese Menschheitsgeißeln würden vor allem in Afrika und Südostasien Tausende vor dem sicheren Tod bewahren. Deshalb arbeiten Hensley und ihre Kollegen mit Hochdruck daran, mögliche Kandidaten am lebenden Objekt auf ihre Wirksamkeit zu testen. Neben Mäusen und Meerschweinchen gehören vor allem Rhesusaffen zu den Versuchstieren. Die Versuche an Affen sind so wichtig, weil die Viren nur bei ihnen die gleichen Symptome verursachen wie beim Menschen. Während die unbehandelte Ebola-Infektion immer zum Tod der Affen führt, überlebt bei einem der Impfstoffkandidaten inzwischen die Hälfte der Tiere, wenn sie die Spritze innerhalb von 40 Minuten nach der Infektion bekommen. Auf eine entsprechende Nachimpfung gegen das Marburg-Virus sprechen sogar alle Affen an.

Im Juli hat Hensley mit ihren Kollegen Tom Geisbert von der Boston University und Heinz Feldmann von den Rocky Mountain Laboratories in Montana einen weiteren Impfstoff vorgestellt, der bereits im Vorwege gegen spätere Ebola- oder Marburg-Virus-Infektionen immun macht. Dazu entwickelten die Forscher per Gentechnik ein Serum, das aus einem harmlosen Verwandten des Tollwut-Virus und einem Protein aus der Ebola-Virushülle besteht. Auf diese Weise lernt die Körperabwehr einen Teil des Ebola-Virus bereits kennen und entwickelt Antikörper, die vor einer echten Ebola-Infektion schützen – zunächst nur Affen, doch die Forscher halten es für sehr wahrscheinlich, dass der Impfstoff auch beim Menschen funktioniert.

Parallel zur Impfstoffforschung verfolgt Hensley eine zweite Strategie gegen Ebola – für den Fall, dass eine Ansteckung bereits erfolgt ist. "Die Idee ist, den Körper zu stabilisieren und ihm so Gelegenheit zu geben, die Viren zu bekämpfen." Zwei der dafür entwickelten Wirkstoffe haben sich als besonders vielversprechend erwiesen und setzen an der infolge der Infektion außer Kontrolle geratenen Blutgerinnung an: rNAPc2, ein Stoff aus Fadenwürmern, hemmt die schädliche Körperreaktion. Das zweite Medikament namens Xigris soll das Blutplasma-Protein C ersetzen, das normalerweise dafür sorgt, dass die Blutgerinnung kontrolliert abläuft – bei einer Ebola-Infektion aber außer Gefecht gesetzt ist. Mit dem Ersatzstoff Xigris ließ sich etwa ein Viertel der erkrankten Affen retten.

Langfristig, so meint Hensley, dürfte wohl eine Kombination von Wirkstoffen am erfolgreichsten sein: Es sollen nicht nur die eingedrungenen Viren gehemmt, sondern gleichzeitig auch die Patienten stabilisiert werden. Die Forscher müssen neben dem Patientenwohl allerdings auch ihre eigene Gesundheit beachten und strenge Sicherheitsvorkehrungen einhalten. Hensley deutet beim Rundgang durch das Institut auf das Fenster einer luftdichten Schleusentür. Im Vorraum dahinter dreht und wendet eine Forscherin ihren ballonartig aufgepumpten blauen Anzug hin und her und testet, ob er dicht ist. Kleinere Löcher kommen immer wieder vor, doch der Luftdruck im Anzug ist höher als im BSL-4-Labor, wo ein ständiger Unterdruck erzeugt wird. "Die Luft strömt also immer vom Forscher weg", sagt Hensley. So gelangen die Viren, mit denen die Forscherin gerade arbeitet, selbst im Fall eines Lecks weder in den Anzug noch aus dem Labor.

Ein weiterer Kollege zwängt sich gerade mit akrobatischen Verrenkungen in seinen Anzug. Im Labor stöpselt er seinen spiraligen Atemschlauch ins nächste Druckluftventil in der Wand ein. Seine Abluft wiederum strömt aus Ventilen in Kniehöhe aus dem Anzug ins Labor und von dort durch virendichte Filteranlagen wieder aus dem Labor heraus. Wenn er den BSL-4-Bereich verlassen will, muss er die obligatorische Chemiedusche nehmen: Minutenlang wird der Anzug mit "Micro-Chem Plus" überspült, einer speziellen Ammonium-Verbindung, die jegliche Viren zerstört. Dann wird noch einmal mit Wasser nachgespült.

Trotz der umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen lassen sich Unfälle nicht gänzlich vermeiden. Zwar sind Glaswaren in BSL-4-Labors tabu, dennoch schneiden oder stechen sich die Forscher gelegentlich mit Nadeln, Messern oder Scheren, wenn sie mit "heißem", also infektiösem Material arbeiten. Zuletzt starb 2004 ein russischer Forscher an Ebola, nachdem er sich mit einer infizierten Nadel gestochen hatte.

Lisa Hensley hätte es im Januar 2000 auch beinahe erwischt. "Obwohl wir ziemlich stumpfe Scheren verwenden, habe ich es irgendwie fertiggebracht, mich zu schneiden", erzählt sie. Das Werkzeug glitt durch zwei Handschuhe und ihren Sicherheitsanzug. "Mein erster Gedanke war: Was habe ich als Letztes gemacht?" Hensley arbeitete damals an einer Kulturlösung mit Ebola-Viren. "Ich habe wirklich Angst bekommen", sagt sie, denn damals gab es weder einen Impfstoff noch Medikamente gegen die heimtückische Infektion. "Du bist 26 und denkst: 'Oh, was passiert jetzt?'"

Weil Hensley die Wunde sofort ausgedrückt und desinfiziert hatte, musste sie nicht in den sogenannten "Slammer", die BSL-4-Quarantäne-Station von Fort Detrick. Da Ebola-Patienten erst ansteckend werden, nachdem die Krankheit bereits ausgebrochen ist, wurde die Forscherin 30 Tage lang lediglich penibel beobachtet. Zweimal täglich wurden Fieber und Blutdruck gemessen sowie ihr Blut auf Anzeichen einer Infektion untersucht. Ein Monat, in dem sie ihre Kontakte zu anderen Menschen vorsichtshalber auf das Nötigste reduzierte und Kopfschmerzen am Morgen plötzlich ein anderes Gewicht bekamen.

Hensley hatte sich damals offenbar nicht infiziert. Ob auch der jüngste Zwischenfall, bei dem sich eine deutsche Ebola-Forscherin am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut verletzte, ohne Infektion verlief, können die Experten noch nicht sagen. Wenn nicht, könnte es sein, dass die Deutsche, die anonym bleiben will, ihr Leben einem gerade erst entwickelten Impfstoff verdankt, den Hensley in den letzten Jahren in Fort Detrick an Rhesusaffen getestet hatte und den sie 48 Stunden nach dem Unfall – als erster menschlicher Patient überhaupt – gespritzt bekam. Ob der Impfstoff die Krankheit aufgehalten hat oder ob das nach der Impfung aufgetretene Fieber nur eine Nebenwirkung des Serums war und die Forscherin gar keine Ebola-Viren im Blut hatte, wird noch untersucht.

Die Ebola-infizierten Affen sind nicht das erste von Hensley entwickelte Tiermodell. So nennen Forscher Versuchstiere, die bei bestimmten Krankheiten wichtige Ergebnisse für klinische Tests am Menschen liefern. Gleiches hatte sie schon für die Pockenviren etabliert, früher eine der tückischsten und tödlichsten Infektionskrankheiten. Zwar hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Pocken Ende der siebziger Jahre tatsächlich ausrotten können. Doch nach den Brief-Attentaten mit Milzbrand-Viren (Anthrax) im Jahr 2001 brach die Diskussion los, ob auch Terrorakte mit Pockenviren möglich seien – und ob man die letzten eingefrorenen Pockenviren-Kulturen in den BSL-4-Labors der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta und den Vektor-Labors im sibirischen Nowosibirsk nicht besser auftauen solle statt sie zu zerstören – um einen neuen Impfstoff entwickeln zu können.

Schließlich erlaubte die WHO einen Versuch, die Viren erstmals seit 1979 wieder aufzutauen, um zu testen, ob Affen infizierbar sind – eine Voraussetzung für die Entwicklung besserer Impfstoffe. Für diese Aufgabe wurde Hensley für sechs Monate vom USAMRIID an die CDC in Atlanta ausgeliehen. Ein schauriges Gefühl sei das gewesen, sagt sie, schließlich habe dieses Virus den "Lauf der Geschichte so oft verändert". Hensley konnte zeigen, dass die aufgetauten Viren Affen infizieren.

Ihre Ergebnisse trugen dazu bei, dass inzwischen neue Medikamenten-Kandidaten gegen die uralte Seuche entwickelt werden, von der gleichwohl niemand hofft, dass sie jemals zurückkehrt. Mit dem Wirkstoff ST246 zum Beispiel konnte in Versuchen mit Affen das Schlüpfen neuer Viren aus den befallenen Zellen dauerhaft unterbunden werden. Auf diese Weise könnte wahrscheinlich später auch bei Menschen der Ausbruch einer Pockeninfektion verhindert oder zumindest verzögert werden. Mitunter aber müssen Hensleys Forschungsprojekte hinter akuten Belangen des Verteidigungsministeriums, dem das USAMRIID unterstellt ist, zurückstehen. Als ihr Dienstherr zum Beispiel im Jahr 2003 das Sars-Virus als Bedrohung für die US-Truppen ausgemacht hatte, musste sie ihre Arbeitszeit aufteilen: "Während der Pandemie haben wir morgens zwischen acht und zwei Uhr unsere reguläre Arbeit erledigt, um dann noch bis neun Uhr abends an Sars zu arbeiten." Die USAMRIID-Forscher untersuchten das Blut von Tausenden Patienten und halfen dabei, ein Medikament zur Neutralisierung der Viren zu entwickeln.

Es ist jene Verknüpfung zwischen hochgefährlicher Forschung und militärischen Interessen, die das USAMRIID trotz aller zivilen Erfolge immer wieder ins Zwielicht rückt. Zwar werden auch in universitären BSL-4-Labors Erreger erforscht, die ebenso als Biowaffen eingesetzt werden könnten. Doch allein die Verknüpfung von Forschung und Militär nährt die Gerüchte, dass offiziell zwar nur "defensiv", aber irgendwo im Keller auch die Einsatzmöglichkeiten der Viren als Biowaffe ausgetestet werden. Ein kaum zu lösendes Dilemma, denn um für Soldaten und Zivilisten effektiven Schutz gegen Biowaffen entwickeln zu können, ist eben auch Wissen über die Waffe, den Erreger, nötig.

"Wir sind uns der feinen Linie bewusst und sind bedacht, sie nicht zu übertreten", beteuert Hensley. So erwäge man keine Experimente, die vielleicht interessante Erkenntnisse bringen könnten, jedoch in ihrer Außenwirkung nicht eindeutig defensiv sind. Ein nahezu unmögliches Unterfangen und spätestens gescheitert, seit das FBI das USAMRIID als Quelle der in den Briefanschlägen verwendeten Anthrax-Bakterien im Verdacht hat, die 2001 fünf Menschen töteten. "Niemand möchte mehr als wir wissen, wer damals die Anthrax-Briefe wirklich verschickt hat", sagt Hensley grimmig. Bei den Sicherheitsvorkehrungen allerdings hat die Frage, wie die Erreger aus dem Labor hinausgelangen konnten, offenbar keine Verschärfung bewirkt: Weder Mitarbeiter noch Besucher werden kontrolliert, wenn sie die Pforten des Forts verlassen. (bsc)