"Nanotechnologien für einen New Green Deal"

Ralf Zastrau, Vorstandsvorsitzender der Nanogate AG, über Trends der Nanotechnik, die Auswirkungen der Finanzkrise und um eine Regulierung von Nanomaterialien.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Niels Boeing

Die vor zehn Jahren gegründete Firma Nanogate aus dem Saarland gehört inzwischen zu den etablierten Playern in der Nanotechnik. Die wurde in den späten Neunzigern vor allem mit hochtrabenden Visionen in Verbindung gebracht. Technology Review sprach mit Ralf Zastrau, Vorstandsvorsitzender der Nanogate AG, über Realität und Trends der Nanotechnik, die Auswirkungen der Finanzkrise und die Debatte um eine Regulierung von Nanomaterialien.

Technology Review: Herr Zastrau, wo steht die Nanotechnik heute?

Ralf Zastrau: Der Hype ist auf jeden Fall vorbei. Nanotechnologien haben sich in einzelnen Branchen etabliert und werden längst in die Entwicklungsprozesse eingespeist.

TR: Hat der Begriff "nano" angesichts der enorm vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten an Relevanz verloren? Nanotechnologien stecken ja in sehr vielen Technologien drin.

Zastrau: Unsere Kunden interessieren sich für den Begriff "Nanotechnologie" relativ wenig. Nanotechnologie wird ja nur über eine Größenordnung definiert. Am Ende geht es darum, was man damit konkret machen kann, welche Vorteile man damit erwirtschaften kann. Das Technologiefeld an sich ist aber präsenter denn je, weil viele Konzepte jetzt in die Anwendung kommen.

TR: Welche Entwicklungen haben denn in den vergangenen Jahren die chemischen Nanotechnologien - also Nanomaterialien – vorangebracht?

Zastrau: In der chemischen Industrie sind die Rahmenbedingungen inzwischen so weit fortgeschritten, dass man mit Skaleneffekten in der Produktion wirklich konkurrenzfähige Produkte am Markt platzieren kann. Viele neue Materialkonzepte waren vor zehn Jahren eher noch Ideen. Die sind jetzt kommerziell verfügbar.

TR: Welche waren besonders erfolgreich?

Zastrau: Die Oberflächentechnologien. Die kann man heute sehr gut in vorhandene Produktionsprozesse integrieren, das geschieht besonders in der Autoindustrie und in der Medizintechnik. Man veredelt bekannte Materialien mit neuen Eigenschaften.

TR: Können Sie ein Beispiel nennen?

Zastrau: Nehmen Sie Beschichtungen in Abgasrückführsystemen, die hitzebeständig sind und Ablagerungen vermeiden helfen. Sie sorgen dafür, dass man die CO2-Emissionen tatsächlich so weit senken kann, wie man sich das wünscht. Ein anderes Beispiel sind Gebäudefassaden: An denen lagern sich immer wieder Rückstände aus Autoabgasen an. Dank spezieller Nanobeschichtungen erspart man sich nun eine chemische Reinigung, da genügt inzwischen Wasser, um sie sauber zu bekommen. Das senkt wiederum die Umweltbelastung, die durch chemische Reinigungsmittel entstehen.

TR: Welche Trends sehen sie für die kommenden fünf bis zehn Jahre?

Zastrau: Ein Stichwort ist "green nano" – Nanotechnologien werden wichtig sein, um die Umwelt- und Energieeffizienz zu erhöhen, um bessere Energiespeicher zu bauen, Wasser und Luft sauberer zu machen. Ein anderer Bereich sind Medizintechnik und Gesundheit, auch hier sind einige Innovationen durch Nanotechnologien zu erwarten.

TR: Welche Probleme sind denn zu lösen, wenn man ein neues Material mit einer bestimmten Eigenschaft "designen" will?

Zastrau: Typischerweise geht es darum, Multifunktionalitäten und eine umfassende Prozessintegration zu erreichen. So sind neben der Kernfunktion beispielsweise Ausgangsstoffe, Haftungsprobleme, Vorbereitung der jeweiligen Untergründe,Prozessgeschwindigkeiten, übergreifende Funktionstests und Qualitäts- sowie Umweltmanagement zu berücksichtigen. Es geht nicht nur einfach darum, einen Stoff mit einer bestimmten Eigenschaft auszustatten. Wir haben hier in den vergangenen zehn Jahren gelernt, dass Kunden keine Materialien an sich wollen, sondern ein komplettes Anwendungssystem für ihre Produktion. Und man muss Entwicklungsplattformen schaffen, auf denen man aufbauen kann – so ähnlich wie in der Software-Industrie, wo nicht mehr jedes Programm von vorne geschrieben wird, sondern auf vorhandenen Bausteinen aufsetzt. Viele Firmen, die das nicht gemacht haben, haben bis heute Probleme.

TR: Wirkt sich die Wirtschafts- und Finanzkrise auf Investitionen in Nanotechnologien aus?

Zastrau: Auf jeden Fall. Unternehmensgründungen im Bereich Nanotechnologien, die ja kapitalintensiv sind, sind zurzeit eigentlich nicht möglich. Als Start-up bekommen sie kaum eine Finanzierung. Und da ist Europa noch stärker von betroffen als die USA, weil hier die Venture-Capital-Kultur nicht so ausgeprägt ist. In den USA ist noch eher Geld da, zumal Nanotechnologien dort vom Cleantech-Boom profitieren.

TR: Stichwort Cleantech – was könnte die Nanotech-Community auf der Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember als Beitrag zum Klimaschutz anbieten?

Zastrau: Zum Beispiel nanotechnische Anwendungen, um die Energieeffizienz zu erhöhen oder auch Nanomaterialien für die Energieerzeugung und -speicherung. So spielt hierbei im Automobil, Maschinenbau und bei Gebäuden die Nanotechnologie zukünftig eine wichtige Rolle. Beispielsweise bei der Wärmeübertragung, im Reibungsverhalten von Industriekomponenten oder bei der Wärmedämmung wird Nanotechnologie zentrale Beiträge leisten. Bei regenerativen Energien und auch bei den zwingend benötigten leistungsfähigen Batterien wird Nanotechnologie zum entscheidenden Baustein. Aber auch im Hinblick auf saubere Luft und Wasser wird Nanotechnologie helfen, dies wirtschaftlich zu ermöglichen.

TR: Sollte die Politik "green nano" noch stärker fördern? Bislang wird ja in Deutschland eher entlang klassischer Industriebranchen gefördert.

Zastrau: Auf jeden Fall. Nanotechnologien sollten in Konzepte für einen "New Green Deal" integriert werden. Übrigens könnten gerade in Ländern, die vom Klimawandel besonders betroffen sein werden, Nanotechnologien helfen. Etwa bei einem besseren Gebäudeschutz, durch Beiträge zur Vermeidung von Infektionen, bei dezentralen Energiesystemen oder bei der Aufbereitung von Trinkwasser eine wichtige Rolle spielen.

TR: Diese Potenziale sehen allerdings nicht alle so positiv. Gerade in den vergangenen Monaten gab es einige negative Schlagzeilen über toxische Wirkungen von Nanopartikeln, etwa durch eine japanische Studie, laut der Nanotitandioxid Hirnschädigungen in Mäusen hervorgerufen hatte. Das befeuert den Ruf, diese endlich zu regulieren. Wie stehen sie dazu?

Zastrau: In Europa haben wir bereits mit dem Chemikalienrecht REACH schon ein recht dichtes Regulationswerk, auch wenn dort hinsichtlich Nanomaterialien noch nicht alles geregelt ist und nachgebessert werden muss. Grundsätzlich gibt es aber in Europa keine Möglichkeit, gefährliche Materialien und Substanzen in den Markt zu bringen.

Uns ist wichtig, die potenziellen Risiken differenziert zu betrachten. Es gibt einerseits echte Nanoobjekte und andererseits Nanostrukturen, in denen Partikel so eingebunden sind, dass man es gar nicht mehr mit einzelnen Nanoteilchen zu tun hat. Ich glaube nicht, dass wir eine allgemeine "Nanogesetzgebung" brauchen, sondern Regularien für konkrete Materialarten.

Natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass in der Forschung bestimmte neue Materialien hergestellt werden, von denen man heute noch nicht weiß, wie diese in Zukunft mit Organismen reagieren. In solchen Fällen braucht man für eine differenzierte Risikovorsorge noch mehr Werkzeuge. Aktuell werden solche ja von verschiedenen Organisationen erarbeitet.

TR: In REACH wird nur auf Mengen, aber nicht auf Formen und Größen von Stoffen geachtet. Nun hatten ja schon Royal Society und Royal Academy of Engineering in ihrem Report 2004 empfohlen, Nanomaterialien immer als Neustoffe zu behandeln, weil sie sich je nach Form und Strukturgröße anders verhalten als größere Varianten desselben Stoffs. Was halten Sie davon?

Zastrau: Ehrlich gesagt nicht sehr viel. Sicher muss man bei synthetisch hergestellten nanoskaligen Stoffen ihr Migrationsverhalten untersuchen und hinreichend verstehen. Hierbei ist auch nicht auszuschließen, dass bei REACH insbesondere für bestimmte Nanomaterialien neue Mengenschwellen berücksichtigt werden müssen. Alle Nanomaterialien als Neustoffe zu behandeln, wäre für die Nanotechnologie und die Ausnutzung ihrer Potenziale jedoch kontraproduktiv und nicht zielführend.

TR: Aber was entgegnen Sie den Leuten, die ein allgemeines Unbehagen gegenüber Nanomaterialien haben?

Zastrau: Wir müssen selbstverständlich Nanomaterialien auf Kriterien der Risikovorsorge abklopfen. Aber wir sollten Nanotechnologie nicht pauschal als Risiko betrachten und daher nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Eingebundene Materialien, wie sie in Beschichtungen benutzt werden, sind nach heutigem Erkenntnisstand absolut unkritisch. Das Bewusstsein für potenzielle Risiken und eine notwendige Risikovorsorge hat in der Industrie seit den letzten zehn, fünfzehn Jahren ein extrem hohes Niveau erreicht. Das Vorsorgeprinzip hat auf jeden Fall Vorrang vor der Implementierung neuer Technologien - darüber gibt es gar keine Diskussion. Dieser Gedanke der Vorsorge wird ständig ausgebaut. So ist zurzeit etwa ein EU-Projekt in der Genehmigungsphase, in dem komplette Lebenszyklen von Nanomaterialien untersucht werden sollen. Die Erkenntnisse aus diesem und anderen Forschungsprojekten werden unmittelbar zugänglich gemacht und werden proaktiv in die Diskussion über Risiken und Chancen der Nanotechnologie einfließen.
(nbo)