US-Musikindustrie schreckt Tauschbörsen-Nutzer auf

Die Attacke der Recording Industry Association of America löst unter Nutzern, Firmen und Lobby-Gruppen große Aufregung aus.

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Die angedrohte massive Attacke der Recording Industry Association of America auf die Tauschbörsen schreckt deren Nutzer auf und ruft Kritik hervor. In den USA sei die Zahl der Nutzer von Tauschbörsen größer als die Anzahl der Wählerstimmen für George W. Bush bei der Präsidentschaftswahl 2000, wendet Fred von Lohmann von der Electronic Frontier Foundation ein (EFF) ein, der als Anwalt Streamcast, Urheber der P2P-Software Morpheus, vertritt. Lohmann versucht damit die Dimension des Problems zu veranschaulichen. Die Musikindustrie habe den Bezug zur Realität verloren und solle alternativ lieber versuchen, legale Dienstleistungen anzubieten. Dieser Meinung ist auch Wayne Rosso, Chef des Herstellers der File-Sharing-Software Grokster. Die Musikindustrie suche nicht nach Lösungen, sondern etwas zu zerstören, was sie nicht kontrollieren kann.

Seit heute spioniert die US-amerikanische Musikindustrie nach eigenen Angaben mit Scanner-Programmen jenen hinterher, die vom Heim-PC aus Songs über Tauschplattformen zum kostenlosen Download anbieten. Innerhalb weniger Wochen sollen möglichst viele Download-Partner mit Namen und Adresse identifiziert und dann auf bis zu 150.000 US-Dollar pro Song verklagt werden.

In Deutschland können private Tauschbörsenteilnehmer derzeit nur für Uploads und auch nur zivilrechtlich belangt werden, während der Download noch unter das Recht auf Privatkopie fällt. Das wird sich mit der Reform des Urheberrechts im Herbst wohl ändern, denn dann soll es nicht mehr erlaubt sein, sich urheberrechtlich geschütztes Material zu beschaffen, das aus illegaler Quelle stammt. Bei der anstehenden Novellierung des Urheberrechts soll nun nach dem Kompromiss im Vermittlungsausschuss des Bundesrats zumindest Privatkopien nicht angefertigt werden dürfen, wenn der Nutzer weiß, dass er eine illegale Vorlage benutzt. Der Staatsanwalt mischt sich aber nur ein, wenn urheberrechtlich geschützte Dateien gewerblich verbreitet werden; nur dieser kann bei Providern die Herausgabe von Nutzerdaten verlangen. Wie es dann beim "zweiten Korb" der Neuordnung des Urheberrechts aussieht, steht aber noch in den Sternen: Immerhin waren sogar aus dem Justizministerium bereits Stimmen zu vernehmen, die die digitale Privatkopie grundsätzlich als "Gefahrenherd" bezeichneten.

Die schätzungsweise 57 Millionen Tauschbörsianer in den USA zu verklagen ist natürlich illusorisch. Deshalb hat es die Musikindustrie zunächst vor allem auf User abgesehen, die massenhaft Stücke anbieten. Falls sie diese zur Rechenschaft ziehen kann, könnte den Tauschbörsen viel Material verlorengehen. Eine Studie über Gnutella hat im Jahr 2000 herausgefunden, dass 50 Prozent der Antworten auf Suchanfragen von nur einem Prozent der Teilnehmer stammten. Es gibt zwar keine aktuelle Untersuchung, aber man kann davon ausgehen, dass die Situation heute zumindest ähnlich ist. Weitere Ziele der Musikindustrie sind die Nutzer, die in P2P-Netzen ihre Computer als Supernodes bereitstellen -- und die werden wohl am ehesten an US-amerikanischen Universitäten zu finden sein, die auch die entsprechende Bandbreite haben.

Dort, aber auch unter anderen Tauschbörsen-Nutzern dürfte sich jetzt zumindest Verunsicherung ausbreiten. Auf manchen US-amerikanischen Internetseiten, die sich mit Tauschbörsen befassen, stehen denn auch schon Ratschläge, wie man den Scannern der RIAA entgehen kann. Man solle es vermeiden, große Menge an getauschten Dateien anzuhäufen und anzubieten, heißt es zum Beispiel. So könne man am besten beim "größten Angriff auf P2P-Netze seit dem Untergang von Napster" heil davonkommen.

Das Medieninteresse ist auch sonst jenseits des Atlantiks groß. USA Today beispielsweise hat seinen Lesern sogar eine FAQ-Sammlung zum Thema bereitgestellt. Darin heißt es etwa, dass möglicherweise auch Eltern von minderjährigen Tauschbörsen-Nutzern haftbar seien. Die Washington Post zitiert RIAA-Präsident Cary Sherman: "Die Öffentlichkeit wurde immer wieder über die Konsquenzen belehrt. Sie darf nun nicht mehr erwarten, dass erst verwarnt und dann geklagt wird."

Die Zeitung zitiert auch den Analysten Phil Leigh, der meint, die Musikindustrie solle mit ihren Klagen warten, bis auch Windows-Nutzer einen ansprechenden Online-Dienst zum Kauf von Musik haben. Es gebe zwar bereits einige solcher Angebote im Internet, doch keines habe sich bisher als so erfolgreich wie das von Apple erwiesen -- und iTunes gibt es bislang nur für Mac-User. (anw)