Vote remote
- JĂĽrgen Seeger
Vor einigen Wochen war Bundestagwahl, und wie alle vier Jahre gehörte der sonntägliche Spaziergang zum Wahllokal einfach dazu. Doch längst nicht für alle Wahlberechtigten: Weithin bekannt und beklagt, ist die Wahlbeteiligung auf den historischen Tiefstand von 70,8 Prozent gesunken. Rechnet man die Briefwähler ab, die seit 2008 ohne besondere Begründung dieses Verfahren wahrnehmen dürfen, fanden sogar nur rund 55 Prozent den Weg ins Wahllokal.
Exakt null Prozent betrug dieses Mal der Anteil elektronisch abgegebener Stimmen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Einsatz von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl 2005 verfassungswidrig war. Grund: Die in einigen Wahlkreisen eingesetzten Wahlcomputer seien fehlerhaft gewesen. Als Anforderung formulierten sie unter anderem, der Wähler müsse Wahl und Ergebnis zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüfen können. Dazu gehöre, dass er sehe, ob seine Stimme richtig erfasst worden sei.
Nun mögen die 2005 in einigen Bundesländern eingesetzten Wahlcomputer in der Tat mangelhaft gewesen sein. Allerdings sind die nicht elektronischen Wahlverfahren, wie wir sie seit 60 Jahren kennen, de facto ebenso wenig zuverlässig und überprüfbar. Wie zuverlässig ist beispielsweise die Feststellung der Identität des Wählers im Wahllokal, wenn er nur die Wahlbenachrichtigung (und in der Regel den Personalausweis) vorzeigen muss, und eine Position in einer Liste abgehakt wird? Wie soll jemand feststellen, ob sein in die Urne geworfener Stimmzettel richtig ausgezählt wurde? Um nur einige der Fragen zu nennen. Noch weniger überprüfbar ist die Briefwahl – wer mag dem Wählenden die Hand geführt haben?
Dabei existieren mittlerweile elektronische Wahlverfahren, die hinreichend sicher und erprobt sind. So wurden Internet-Wahlen in Estland 2005 bei Parlamentswahlen eingesetzt, und im auĂźerparlamentarischen Bereich (Vereins- und Betriebsratswahlen etwa) auch schon in Deutschland durchgefĂĽhrt. Einer der Vorreiter war ĂĽbrigens die Gesellschaft fĂĽr Informatik, ein Verband von Computerfachleuten also.
Doch das BVG-Urteil hat, was parlamentarische Wahlen angeht, hierzulande offenbar zu einer Denkstarre gefĂĽhrt. Obendrein scheinen die Stimmen die Debatte zu dominieren, die eine 100-prozentige Sicherheit des Verfahrens fordern. Die gibt es aber weder mit noch ohne elektronische Verfahren.
Bis 2013 sind vier Jahre Zeit, die man für die Entwicklung eines Internet-Wahlverfahrens nutzen könnte, das auch BVG-Anforderungen gerecht wird. Vielleicht steigt ja dadurch sogar wieder die Wahlbeteiligung. (bs)