Ausländische Fachkräfte:​ Ist die Chancenkarte eine Chance?​

Deutschland fehlen Fachkräfte, deshalb will die Bundesregierung das Zuwanderungsgesetz anpassen. Der Entwurf sieht eine Chancenkarte mit Punktesystem vor.

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(Bild: Gorodenkoff/Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
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Deutschland ist bei ausländischen Fachkräften nicht besonders beliebt. Das ist bekannt. Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt nun, dass Deutschland im internationalen Wettbewerb um Top-Talente weiter zurückgefallen ist. Im Vergleich zu früheren Studien ist Deutschland bei hochqualifizierten Fachkräften aus dem Ausland in den vergangenen drei Jahren um drei Plätze auf den 15. Rang zurückgefallen. "Wir sind nicht schlechter geworden, sondern andere Länder besser", sagt Ulrich Kober, Migrations-Experte bei der Bertelsmann-Stiftung. Neuseeland, Schweden und die Schweiz bieten Fachkräften attraktivere Bedingungen als Deutschland.

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Wie unattraktiv Deutschland für ausländische Fachkräfte ist, hat Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) Anfang Februar bei einer Rede vor Studierenden in einer Hochschule in Ghanas Hauptstadt Accra erlebt. Auf seine Frage, ob Deutschland eine Option für sie sei, war die Resonanz ziemlich dürftig: Nur ganz wenige Hände gingen nach oben.

Für Studierende aus dem Ausland ist Deutschland aber attraktiv. 2021 lag der Anteil ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen bei 12 Prozent. Im Jahr 2000 lag der Anteil bei 7,4 Prozent. Wie das Statistische Bundesamt weiter mitteilt, waren 2021 im Fach Informatik 11,5 Prozent ausländische Studierende eingeschrieben. Im Ranking der attraktiven Länder für international Studierende liegt Deutschland hinter den USA auf Platz zwei vor Großbritannien.

"Hier punktet Deutschland mit exzellenten Universitäten, geringen Kosten fürs Studium sowie guten Arbeits- und Bleibemöglichkeiten während und nach dem Studium", sagt Kober. Nach weiteren Informationen des Statistischen Bundesamts ist ein gutes Drittel derjenigen, die zwischen 2006 und 2011 ein Studium in Deutschland begonnen haben, langfristig hiergeblieben. Studierende aus Nicht-EU-Staaten sind somit eine wichtige Ressource für den deutschen Arbeitsmarkt.

Für Studierende ist Deutschland attraktiv, für Fachkräfte unattraktiv. Weshalb und wo hat Deutschland weiter an Boden gegenüber anderen Ländern an Beliebtheit bei Fachkräften verloren? Deutschland sei ein mittlerweile offenes und attraktives Land für qualifizierte Einwanderung, meint Kober. "Aber bei Visaerteilung, Digitalisierung, Dauer der Einbürgerung und im Umgang mit Vielfalt ist Deutschland zurückgefallen."

Nach Empfehlungen der Studie sollten ausländische Akademiker entsprechend ihrer Kompetenzprofile besetzt werden. Häufig würden sie nur Jobs finden, für die sie überqualifiziert sind. Beispiel Lehrer: In Deutschland besteht ein Zwei-Fächer-Prinzip und deshalb werden die Abschlüsse von Lehrern aus dem Ausland in Deutschland meist nicht anerkannt, weil es anderswo dieses Prinzip nicht gibt. Auch die zögerliche Einbürgerungspraxis solle beschleunigt werden. In Deutschland braucht es acht Jahre, in Kanada nur halb so lang. Die Einbürgerung ist wichtig für Integration und Identifikation.

Europas Bürger dürfen schon seit 1968 ihren Arbeitsplatz frei wählen. 2012 wurde die Europäische Blue Card eingeführt, die es Akademikern aus Nicht-EU-Staaten erlaubt, in einem Land der Europäischen Union zu arbeiten. Und 2020 wurde in Deutschland das Fachkräfteeinwanderungsgesetz eingeführt. Damit die dringend benötigten IT-Spezialisten kommen, wurden für diesen Personenkreis sogar Sonderregelungen getroffen: Fachkräfte im Sinne dieses Gesetzes brauchen eine Hochschul- oder Berufsausbildung. Weil es in vielen anderen Ländern keine Ausbildung wie in Deutschland gibt, reicht für diese Gruppe praktische Berufserfahrung.

Ob diese Sonderregelung wirklich etwas bringt, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten. Denn aufgrund der Corona-Pandemie waren in den letzten beiden Jahren die Reisemöglichkeiten international stark eingeschränkt. Die Blue Card liegt nach Auskunft des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) weit unter den Erwartungen. Was am besten funktioniert, ist die Freizügigkeit der Zuwanderung aus EU-Ländern nach Deutschland. Sie steigt seit Jahren sehr stark an.

Um doch mehr Fachkräfte aus dem Ausland für Deutschland zu gewinnen, will die Bundesregierung die Fachkräfteeinwanderung weiter erleichtern und dafür das Fachkräfteeinwanderungsgesetz reformieren. Wer einen anerkannten beruflichen Abschluss hat, soll nicht nur im erlernten Beruf, sondern auch in anderen Jobs arbeiten dürfen. Auch soll es einfacher werden für Fachkräfte, deren Abschluss nur teilweise anerkannt wird. Wenn sie in Deutschland einen Job finden, haben sie drei Jahre Zeit, um die fehlenden Qualifikationen nachzuholen.

Menschen mit mindestens zwei Jahren Berufserfahrung sollen auch ohne die Anerkennung ihres Abschlusses einen Job in Deutschland annehmen können und gleichzeitig soll eine sogenannte Chancenkarte eingeführt werden. Das ist eine Art Punktesystem für Menschen aus Drittstaaten, mit dem diese für bis zu ein Jahr nach Deutschland kommen dürfen, um sich hier einen Job zu suchen. Ob jemand diesen zeitlich befristeten Aufenthaltstitel bekommt, hängt von mehreren Kriterien ab, darunter Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug. Für jedes Kriterium soll es Punkte geben, wer die Mindestpunktzahl erreicht, darf kommen.

Für Holger Bonin, Forschungsdirektor des Instituts zur Zukunft der Arbeit, ist die Chancenkarte zu kompliziert und mit viel zu viel Aufwand für Antragstellende und Behörden verbunden, um einen befristeten Aufenthaltstitel zu bekommen. "Ich glaube nicht, dass sich unter diesen Bedingungen viele Fachkräfte dafür interessieren. Ich denke eher, dass die Bundesregierung nur unbedingt den Begriff Punktesystem unterbringen wollte, weil er aus Einwanderungsländern wie Kanada oder Australien bekannt ist." Er würde ganz unbürokratisch ein auf wenige Monate befristetes Visum zur Arbeitssuche einführen, verbunden mit der Möglichkeit zu einer Probearbeit bei potenziellen Arbeitgebern.

(axk)