Zahlen, bitte! Menschlicher Satellit 98 Meter entfernt vom Space Shuttle

Eines der berühmtesten NASA-Fotos zeigte einen Astronauten, der frei über der Erde schwebt – ein Düsenrucksack machte aus dem Astronautenanzug ein Raumschiff.

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Eines der aufsehenerregendsten Fotos der Raumfahrtgeschichte zeigt den Astronauten Bruce McCandless, der im Raumanzug völlig losgelöst über dem blauen Planeten schwebt – in 98 Metern Entfernung zum Space Shuttle Challenger und 300 Kilometer über der Erde. Möglich machte diese scheinbar grenzenlose Freiheit die Manned Maneuvering Unit (MMU) – Eine Art Weltraumrucksack, der den Astronautenanzug zu einem Raumfahrzeug machte.

Zahlen, bitte!
Bitte Zahlen

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblĂĽffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natĂĽrlich der Mathematik vor.

Bereits den 1960er-Jahren arbeiteten die NASA und das US-Militär an ersten Konzepten, um Astronauten über einen Raketenrucksack eine eigene Bewegungsfreiheit außerhalb des Raumschiffes zu gewährleisten. Die Astronaut Maneuvering Unit (AMU) war eines der Vorläuferprojekte zur MMU. In Gemini 9 sollte es im Außeneinsatz getestet werden. Der Test musste aufgrund verschiedener Probleme beim Anlegen abgebrochen werden.

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Bruce McCandless II (* 8. Juni 1937 in Boston, Massachusetts; † 21. Dezember 2017 in Los Angeles). Er war zweimal im Weltraum. Neben Flug STS 41-B war er auch mit STS-31 im All, mit dem im Jahr 1990 das Weltraumteleskop Hubble ins All geschossen wurde.

(Bild: NASA)

Mit der Raumstation Skylab wiederum gelang immerhin Tests im Inneren. An der Weiterentwicklung zum MMU beteiligt war auch Bruce McCandless. Er trat 1966 in das Astronautencorps ein und kam in die fünfte Astronautengruppe, als erster Astronaut mit primär wissenschaftlicher Ausbildung. Einen besonderen Job hatte er bei Apollo 11: Als Neil Armstrong und Buzz Aldrin am 20. Juli 1969 den Mond betraten, hielt McCandless als Capcom-Sprecher direkten Draht zu den Astronauten.

Als das Space Shuttle 1981 erstmals ins All flog, steckte die MMU noch in der Entwicklung. Einen Schub bekam die Realisation, als mit dem 1980 ins All geschossenen Sonnenbeobachtungssatelliten der Solar Maximum Mission (SMM) drei Sicherungen der Lageregelung durchbrannten und der millionenteure Satellit nach knapp einem Jahr Betrieb nicht mehr zur Sonne ausgerichtet werden konnte. Nun gab es fĂĽr die MMU eine konkrete Aufgabe: Der Satellit sollte in die Ladebucht des Space Shuttles verbracht und repariert und wieder ins All entlassen werden.

Das Foto, welches um die Welt ging. Bruce McCandless schwebt nahe dem Space Shuttle Challenger.
Dass es sich um McCandless handelt und nicht um Robert Stewart, der die zweite MMU flog, sieht man an den roten Kordeln auf dem Knie. Stewarts Knie waren blank weiĂź.

(Bild: NASA)

Die Planung für den Jungfernflug und den Test des MMU-Systems legten die Planer auf Frühjahr 1984 fest. Kurios war das neue Schema der Missionsnummerierung: Statt STS-10 als Nachfolger von STS-9 hieß sie STS-41-B: STS stand für Space Transportation System, die 4 für das US-Haushaltsjahr 1984, die 1 für den Startplatz (Kennedy-Space-Center) und B für die zweite planmäßige Mission des Jahres 1984.

Das Space Shuttle Challenger hob am 3. Februar 1984, Punkt 13:00 von Startrampe LC-39A des Kennedy Space Centers ab. Und die Mission stand zunächst unter keinem guten Stern:
Die beiden Satelliten Palapa B2 sowie Western Unions Westar VI wurden ausgesetzt und sollten selbstständig per Raketenstufe eine höhere Umlaufbahn erreichen. Bei beiden versagte jedoch die PAM-D-Oberstufe, sodass sie in unbrauchbaren, zu niedrigen Umlaufbahnen gebracht wurden. Außerdem scheiterte ein Experiment mit einem Ballon: Er platzte etwa 30 Meter vom Space Shuttle entfernt, anstatt für Zielübungen zur Verfügung. Es drohte ein peinlicher Flug zu werden.

Bruce McCandless sowie Robert Stewart testeten am 7. Februar die MMU: Beide legten den Anzug an und bereiteten sich auf den Weltraumspaziergang (Extravehicular activity, EVA) vor. Der Rucksack war 1,24 Meter hoch, 81 Zentimeter breit und hatte eine Masse von 136 Kilogramm. Ăśber zwei SchnappverschlĂĽsse clippten die Astronauten den Rucksack an den Raumanzug.

Vor den Armlehnen war die Steuerung untergebracht: Die linke Handsteuerung bot einen Schub nach vorn und rückwärts, hoch und runter sowie links und rechts. Mit der rechten Steuerung waren Drehbewegungen um Gieren, Rollen und Nicken möglich. Für den präzisen Schub waren 24 Stickstoff-Druckgasdüsen mit je 7,36 N verantwortlich. Gespeist wurden sie über zwei mit Kevlar überzogenen Tanks, die 11,8 Kilogramm (Jeweils 5,9 kg pro Tank) mitführten. Zwei Anzeigen waren für die Gastanks, und mit Lichtern wurde den Astronauten angezeigt, welche Düse gerade aktiv war. Die Füllmenge reichte für eine Einsatzdauer von etwa 6 Stunden und als größte Reichweite wurde 100 Meter abseits des Shuttles empfohlen. Dabei betrug die höchste erreichbare Geschwindigkeitsdifferenz etwa 25 Meter pro Sekunde.

Bruce McCandell in etwa 98 Metern Entfernung zum Space Shuttle Challenger mit viel Weltraum und Erde drumherum.

(Bild: NASA)

Die NASA achtete sehr auf die Sicherheit. Technisch war die MMU redundant ausgelegt, sodass der Astronaut nach Ausfall eines Systems noch ein anderes zur Verfügung hatte. Es waren stets zwei Raumfahrer mit MMU im Einsatz, um im Falle eines Falles schnell Hilfe leisten zu können. Außerdem war die Ladebucht weitgehend leer. Das Space-Shuttle hätte einen havarierten Raumfahrer vorsichtig wieder einfangen können.

Überdies wurde Bruce McCandless aufgetragen, stets den Blick auf der Raumfähre zu lassen, da die NASA fürchtete, dass er sonst beim Blick ins endlose All oder zur Erde die Orientierung verlieren könne. Für die legendäre Aufnahme warteten sie, bis das Space Shuttle in den Sonnenaufgang flog. Astronaut Hoot Gibson schoss mit seiner Hasselblad-Kamera mehrere Fotos und eins davon wurde zum heute zum wohl am meisten verwendeten NASA-Foto. Gibson wurmte einzig, dass als Quelle nie sein Name auftaucht, sondern nur: NASA.

So sah Bruce McCandless die Challenger von seiner mit der MMU eingenommenen Position aus

(Bild: NASA)

Nach 5:50 Stunden war der erste Test mit beiden Astronauten abgeschlossen und die MMU bewährten sich: Sie funktionierten genauso, wie sie sollten. Die Nasa freute sich besonders, traten damit doch die zahlreichen Pannen in den Hintergrund. Über Funk informierten sie die tags darauf die Astronauten: „Wir hatten gestern Spaß, Euch zuzusehen. Und Ihr seid heute das Tagesgespräch auf der Erde.“

Im zweiten Test am 9. Februar 1984, der 6 Stunden und 17 Minuten dauerte, testen die Astronauten Tätigkeiten wie die Reparatur und Betankung eines Satelliten. Eigentlich war der deutsche Palettensatellit SPAS-01 für weitere Tests vorgesehen, aber ein Defekt am Greifarm des Shuttles verhinderte den Teil der Übung.

Die MMU war somit einsatzbereit fĂĽr die Reparatur von Solarmax, was dann im April 1984 mit der darauffolgenden Space-Shuttle-Mission STS 41-C erfolgte. Der dritte und letzte Einsatz der Manned Manouvering Unit erfolgte ironischerweise im November 1984 mit STS-51-A: Mit Palapa B2 sowie Western Unions Westar VI wurden die beiden Satelliten wieder eingefangen, die mit STS 41-B in falsche Umlaufbahnen geschossen wurden.

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Spätestens nach der Challenger-Katastrophe am 28. Januar 1986 blieben die beiden MMU-Einheiten am Boden. Zum einen, weil die Nasa mit dem Space Shuttle keine kommerziellen Satelliten mehr transportierte, zum anderen, weil es der Nasa zu gefährlich war. Für den Bau der späteren ISS-Raumstation waren sie zudem zu klobig. Nachfolger ist SAFER (Simplified Aid for EVA Rescue), ein kleines System, um ein Abdriften des Astronauten zu verhindern.

Bis heute bleibt das Bild des frei schwebenden Astronauten im Gedächtnis – völlig losgelöst von der Erde.

(mawi)