Überwachung im Visier von Wissenschaftlern

An der Universität Hamburg haben Wissenschaftler zwei Tage lang ihre Forschungsarbeiten über alltägliche Überwachungspraktiken diskutiert. Dabei beschäftigten sie sich nicht nur mit staatlicher, sondern auch mit Überwachung durch Unternehmen und Privatpersonen.

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Von
  • Detlef Borchers

Zwei Tage lang haben Wissenschaftler an der Universität Hamburg ihre Forschungsarbeiten über alltägliche Überwachungspraktiken diskutiert. Das gastgebende Institut für Volkskunde selbst beschäftigt sich im Rahmen der "Kulturwissenschaftlichen Technikforschung" mit der Frage, ob Überwachungstechnik den Alltag sicherer macht oder ob es sich bei Überwachungstechnik um symbolische Installationen handelt, die Sicherheit demonstrieren sollen und bestenfalls im Nachhinein zur Aufklärung von Straftaten geeignet sind. Ausgerechnet im Hamburg, wo "erfolgreich" eingesetzte Videokameras abgebaut werden sollen und entsprechend heftig über Videokameras diskutiert wird.

Auf europäischer Ebene gibt es Bestrebungen, mit Entwicklungsplänen wie dem Stockholmer Programm neue interoperable Datenverbundnetze zu installieren. Diese nennt Eric Töpfer vom Berliner Zentrum für Technik und Gesellschaft einen "europäischen Datenwaschsalon". Nicht nur Datenschützer haben hier große Bedenken, sondern auch Wissenschaftler wie Töpfer. Problematisch erscheint ihnen dabei die Tendenz, immer größere Datenbestände für den Zugriff durch alle anzulegen, mit denen national gefasste Bürgerrechte ausgehebelt würden, wie zum Beispiel die Überlegungen der EU zum neuen Visum-Auskunftssystem VIS. Dabei landen die kompletten Fingerabdrucke aller Visa-Antragsteller in einer zentralen europäischen Datenbank.

Dabei scheint unklar, was Politiker überhaupt mit Zugewinn an Sicherheit meinen. Das hat Inga Klein durch eine Analyse von Bundestagsprotokollen und Pressemitteilungen des Innenministeriums aus den Jahren 2001 bis 2007 herausgefunden, mit denen die Einführung der ersten beiden Generationen biometrischer Reisepässe begründet wurde. Die Kriminologin Gaby Temme macht in ihrem Vortrag über Kriminalstatistiken darüber hinaus deutlich, wie problematisch die Zahlensammlungen sind, aus denen Lagebilder entstehen. Ihre Kollegin Alke Glet fasste die internationale Forschung über den Einsatz von Videoüberwachung zusammen und kam zu dem Schluss: Möglicherweise kann Videoüberwachung einen Einfluss auf die Kriminalrate haben, doch können die bisherigen Untersuchungen die Effektivität von Videoüberwachungen nicht belegen.

Mit der Frage, wie der Bürger über Überwachung denkt, beschäftigen sich Christian Lüdemann und Christina Schepper vom Hamburger Institut für Sicherheits- und Präventionsforschung. Durch Auswertung einer repräsentativen telefonischen Befragung wollen sie herausfinden, was die Bevölkerung von biometrischen Ausweispapieren, Kontendatenabrufen, Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchung hält. Daneben werden Experten befragt und die Drucksachen der Gesetzgebungsverfahren analysiert. Die Ergebnisse der Forscher sollen Ende 2011 vorliegen.

Doch nicht nur von staatlicher Seite oder von Unternehmen geht Überwachung aus. Oliver Bidlo vom Bochumer Lehrstuhl für Kriminologien beschäftigte sich mit der Aktion einer deutschen Boulevardzeitung, ihre Leser als Leser-Reporter einzusetzen. Die Meldung und Aufzeichnung von "aufregenden, peinlichen oder gefährlichen" Situationen führe zu einer neuen Form der "nachbarschaftlichen" Kontrolle. Projekte wie Internet Eyes, bei denen man spielerisch Täter auf Überwachungsvideos finden muss oder das mittlerweile wieder eingestellte Nachbarschaftsprojekt Shoreditch zeigten Entwicklungsmöglichkeiten zum Panopticon an.

Zum wenig beachteten Aspekt der Krankheitsprävention arbeitet Peter Ulrich von der eingestellten Initiative Leipziger Kamera. Indem Menschen aufgefordert werden, ihren Körper im Rahmen von Vorsorgeprogrammen zu kontrollieren, werden sie zu Überwachern gesellschaftlicher Normalität, die "Dicke" oder "Raucher" in einem Prozess der Entsolidarisierung aussondert. Wissenschaftler der Uni Frankfurt kümmern sich im Rahmen einer Sozialstrukturanalyse des Frankfurter Bahnhofsviertels ebenfalls um einen kaum beachteten Aspekt privater Überwachung. In dem Viertel, in dem die Polizei selbst auf Dauerpräsenz und nicht auf Videoüberwachung setzt, verfügen alle 25 "Laufhäuser" über eigene Videoüberwachungsanlagen. Die Kameras sorgen dafür, dass rechtzeitig Personen zur Stelle sind, um Streitereien außerpolizeilich zu regeln. Der Laufhausbesitzer überwacht den sauberen Gang der Geschäfte und lässt sich das von den Prostituierten gut bezahlen: Jeder Druck auf den Alarmknopf ist kostenpflichtig. (anw)