Gemischte Reaktionen auf Koalitionsabsprachen zur Innenpolitik

Während Branchenverbände die Verständigung auf eine vorläufige Nichtumsetzung des Websperren-Projekts begrüßen, kritisieren Polizeivertreter den erschwerten Zugang zu gespeicherten Telekommunikationsdaten. Linke, Grüne und die Piratenpartei sehen in den verabredeten Maßnahmen keine Stärkung der Bürgerrechte.

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Branchenvereinigungen haben die Einigung auf einen vorläufigen Stopp von Websperren bei den Koalitionsverhandlungen von Schwarz-Gelb begrüßt. "Löschen ist besser als sperren", lobte der Präsident des Hightech-Verbands Bitkom, August-Wilhelm Scheer, den gefundenen Kompromiss von Union und FDP zur Aussetzung entscheidender Teile des Zugangserschwerungsgesetzes. Die beschlossene stärkere Bekämpfung der Kinderpornographie an der Quelle verspreche mehr Erfolg, erreiche eher die Täter und verbessere den Schutz der Opfer und die Verbrechensprävention. Die Koalitionspartner hätten erkannt, "dass Internetsperren kein Allheilmittel sind".

Die erzielte Verständigung, wonach das Bundeskriminalamt (BKA) per Dienstanweisung des Bundesinnenministeriums an der Übermittlung von Sperrlisten an Provider gehindert werden soll, hat das Filterprojekt in letzter Minute gestoppt. Die technischen und organisatorischen Vorbereitungen zum Sperren seien abgeschlossen gewesen, erklärte ein Sprecher der Deutschen Telekom gegenüber heise online. Die Web-Blockaden hätten am morgigen Samstag auf Basis eines Vertrags mit dem BKA in Betrieb genommen werden sollen, auch wenn der Entwurf für die gesetzliche Regelung der Sperren noch vom Bundespräsidenten geprüft wird. Das BKA habe aber angedeutet, dass es kein Filterverzeichnis herausgeben werde. "Keine Liste, keine Sperrung", laute daher die Devise. Generell habe man die vertraglich verlangen Vorraussetzungen für die Zugangserschwerung zur Bekämpfung von Kinderpornographie erfüllt.

Auch der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco sieht in den Ergebnissen der Koalitionsgespräche zur Innenpolitik "wichtige Fortschritte". Die Entscheidung von Schwarz-Gelb sei eine "Bestätigung der jahrelangen Arbeit der nationalen und internationalen Beschwerdestellen der Internetwirtschaft, die gerade bei kinderpornografischen Angeboten auf ausländischen Servern gut funktioniert". Der Providerverband betreibt seine Internet-Hotline seit mehr als zwölf Jahren. Nutzer, die auf rechtswidrige Inhalte im Netz stoßen, können diese dort anonym melden. Die Hinweisgeber ermöglichen damit laut eco die Bekämpfung entsprechender Webseiten "sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene". Mehr als 93 Prozent der Inhalte, die unmittelbar den Host-Providern gemeldet wurden, würden der Erfahrung nach bislang in Zeiträumen von weniger als einer Stunde bis zu 14 Tagen vom Netz genommen.

Kinderschutzorganisationen kritisierten dagegen die Aussetzung der Sperren. Es müssten beide Maßnahmen, also Löschen und Sperren, so schnell wie möglich umgesetzt werden, fordern UNICEF, ECPAT, Innocence in Danger und Save the Children in einer gemeinsamen Stellungnahme. Das Zugangserschwerungsgesetz sei ein "erster wichtiger Schritt, um Kinder und Jugendliche gegen sexuelle Ausbeutung in den neuen Medien zu schützen". Rechtsexperten bemängeln zudem trotz Zustimmung in der Sache die skizzierte Verfahrensweise über einen Regierungserlass als "rechtsstaatlich äußerst fragwürdige Lösung". Es sei nicht Sache der Exekutive, über die Anwendung eines vom Parlament beschlossenen Gesetzes zu entscheiden.

Der Bitkom befürwortete zugleich die geplanten höheren Hürden bei heimlichen Online-Durchsuchungen und der Vorratsdatenspeicherung. Die Regierungsparteien zeigten damit, "dass sie mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl an dieses schwierige Thema herangehen". Ganz anders reagierte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg. Seiner Ansicht nach spreche zwar nichts dagegen, "bestimmte polizeiliche Maßnahmen durch engere richterliche Einbindung rechtlich zu stärken". Der beschlossene erschwerte Zugang zu den verdachtsunabhängig protokollierten Verbindungs- und Standortdaten schlage den Strafverfolgern aber ein "dringend erforderliches Instrument" aus der Hand. Die Vorratsdatenspeicherung diene dazu, "die Kommunikationswege von Schwerkriminellen zum Beispiel auf weitere Tatbeteiligte oder Hinweise auf weitere Taten zu prüfen".

Die Jungen Liberalen bezeichneten die Einigung als "echte Kehrtwende in der Innenpolitik". Zum ersten Mal seit dem 11. September 2001 hätten auf dem Feld der Bürgerrechte bereits beschlossene Freiheitseinschränkungen politisch wieder zurückgenommen werden können, verteidigte der JuLi-Vorsitzende Johannes Vogel die Resultate gegen die Schelte von Linken, Grünen und der Piratenpartei, die keinen Kurswechsel hin zur Stärkung der Bürgerrechte erkennen können. Die "Abschaffung der Internetzensur" bezeichnete Vogel als "großartigen Erfolg". Auch er zeigte sich aber enttäuscht, dass sich die Unterhändler nur auf eine Einschränkung von Online-Durchsuchungen verständigen konnten. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) wertete es hingegen positiv, dass dieses Instrument "im Kern unangetastet" bleibe. Die von der FDP durchgesetzten Änderungen seien "völlig unproblematisch". Insgesamt werde es keine unvertretbaren Einschnitte bei Sicherheitsgesetzen geben. (pmz)