Höllisch robust
Gasturbinen werden schon jetzt so heiß, dass ihre Schaufeln eigentlich schmelzen müssten. Doch Werkstoff-Forscher wollen noch mehr aus ihnen herauskitzeln - denn das erhöht den Wirkungsgrad.
- Denis Dilba
Dieser Text ist der Print-Ausgabe 10/2009 von Technologie Review entnommen. Das Heft kann, genauso wie ältere Ausgaben, hier online portokostenfrei bestellt werden.
Gasturbinen werden schon jetzt so heiß, dass ihre Schaufeln eigentlich schmelzen müssten. Doch Werkstoff-Forscher wollen noch mehr aus ihnen herauskitzeln – denn das erhöht den Wirkungsgrad.
Wie schafft dieser Werkstoff das nur? Eigentlich sind die rund 1300 Grad Höllenhitze, die im Abgasstrahl am Ausgang der Brennkammer eines Flugtriebwerkes herrschen, schon rund 100 Grad zu viel. Man sieht den Turbinenschaufeln aus der Nickelsuperlegierung die ungesunde Belastung auch an: Gelblich bis ins tiefe Rot verfärbt, glühen sie auf dem Teststand vor sich hin. Doch sie halten. Geschützt mit einem speziellen Hitzeschild aus Keramik verrichten die Schaufeln verlässlich wie ein Schweizer Uhrwerk ihren Dienst – bis zu 25000 Stunden am Stück. "Tatsächlich müsste auch eine Highend-Nickelsuperlegierung bei rund 1200 Grad schmelzen", sagt Manfred Peters, Leiter des Instituts für Werkstoffforschung, Hochtemperatur- und Funktionsschichten am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Dafür, dass sie es eben nicht tut, so der Experte, habe es fast ein halbes Jahrhundert Ingenieurskunst gebraucht; Anfang der sechziger Jahre war die maximale Betriebstemperatur von Nickellegierungen noch auf 950 Grad beschränkt.
Hauptansporn zu solchen Rekorden sind handfeste wirtschaftliche Interessen: Nicht nur bei Flugzeugen, auch bei Gaskraftwerken hängt die Effizienz entscheidend von der Betriebstemperatur ab – und die wird vor allem von der Beschaffenheit der Turbinenschaufeln begrenzt. Grund genug für Materialwissenschaftler, tief in die Trickkiste zu greifen. Der erste Schritt bestand darin, das Schaufelmaterial möglichst hitzebeständig zu machen – vor allem, indem exotische Metalle wie Niob, Molybdän, Aluminium und Titan beigemischt wurden, um die Schmelztemperatur zu erhöhen. Doch das genügt nicht: Eine hohe absolute Schmelztemperatur sei zwar die Grundvoraussetzung für ein geeignetes Material, sagt Peters, "aber leider nur eine Seite der Medaille". Die Werkstoffe müssen auch noch kurz unter dem Verflüssigungspunkt die mechanischen Belastungen in einer Turbine aushalten können. Die meisten Materialien werden da aber schon biegsam wie Knetgummi.
An diesem Punkt kommt das Herstellungsverfahren ins Spiel. So werden heutige Nickelsuperlegierungen nach dem Guss durch eine raffinierte Steuerung des Abkühlprozesses beispielsweise zu einem Einkristall erstarrt. Diese Spezialbehandlung verhindert, dass sich sogenannte Korngrenzen bilden – kleine Sollbruchstellen im Material, die bei der enormen Hitze zum vorzeitigen Versagen führen können.
Ein weiteres Hilfsmittel im Kampf um höhere Betriebstemperaturen ist die Kühlung der Turbinenschaufeln. Heute durchziehen feine, mit einem hauchdünnen Laser gebohrte Kanäle die Bauteile, um Luft hindurchzulassen. "Die durch die Schaufeln gepresste Luft legt sich dann wie ein Schutzfilm über die Oberflächen und verhindert so den direkten Kontakt mit dem heißen Abgasstrahl", erklärt Peters. Auf höhere Temperaturen als 1200 Grad kommt man mit diesen Maßnahmen allerdings nicht. Außerdem hat die Luftkühlung einen Schönheitsfehler: Sie kostet Energie und senkt damit den Wirkungsgrad des Aggregats.
Seit Anfang der neunziger Jahre arbeiten die Materialwissenschaftler daher an zusätzlichen Keramik-Hitzeschilden für die Schaufeln. Die gerade einmal Papierblatt-dicke Wärmedämmschicht, meist durch Yttrium stabilisiertes Zirkonoxid, verzögert das Aufheizen des Schaufelwerkstoffs. Gekoppelt mit einer Luftkühlung lassen sich auf diese Weise 1300 Grad Betriebstemperatur erreichen – bisher das Maximum des in der Praxis Möglichen. Experten wie Werner Stamm, Materialforscher bei Siemens Power Generation in Mülheim an der Ruhr, ist das allerdings noch nicht genug: "Wir Werkstoffwissenschaftler träumen von 1500 Grad und mehr." Ein paar vielversprechende Wettbewerber im Rennen um einen neuen Rekord gibt es bereits – doch sie bringen jeweils eigene Schwierigkeiten mit sich. Hochtemperaturfeste Keramiken etwa, ähnlich denen, die schon für die Wärmedämmschichten eingesetzt werden, würde Stamm liebend gern als Material für die gesamte Schaufel verwenden. Der Haken dabei ist nur: Eine Kaffeetasse aus Porzellan ist verglichen mit diesem Material noch relativ flexibel. Eine gewisse Verformbarkeit müssen Materialien für den Turbinenbau jedoch mitbringen, sonst bilden sich auf Dauer gefährliche Spannungsrisse. Beim abrupten Abschalten einer Turbine beispielsweise fällt die Temperatur innerhalb einer Sekunde von 1250 auf 450 Grad Celsius. "Ohne weitere Behandlung zerbröselt bei solchen Thermoschocks leider auch die beste Hochtemperaturkeramik", sagt Stamm.
Eine Lösung für dieses Problem könnten faserverstärkte Keramiken oder Metalle sein. Beide Ansätze stecken aber noch in den Kinderschuhen, sagt Martin Heilmaier, Chef des Fachgebiets Physikalische Metallkunde an der TU Darmstadt. Im ersten Fall sollen Keramikfasern gezielt Risse in der Grundkeramik stoppen und so das Material stabiler machen; bei den Metallen erhöht eine Zugabe von Keramikfasern den Schmelzpunkt. Beide Kombinationen haben aber den Nachteil, dass Faser und Grundwerkstoff noch nicht so zusammenhalten, wie sich die Wissenschaftler das wünschen.
Denkbar wären auch Niob-Mangan-Legierungen mit rund 100 Grad höheren Schmelzpunkten als Nickelsuperlegierungen, sagt Stamm. Noch habe man da jedoch die Hochtemperaturkorrosion nicht im Griff – die aggressiven Bestandteile des Abgases setzen dem Werkstoff zu. Nickelsuperlegierungen haben damit weniger Probleme, denn sie enthalten Aluminium, das eine schützende Oxidschicht bildet. Zudem seien Niob-Mangan-Legierungen noch teurer als die Nickelsuperlegierungen, und schon eine Schaufel aus diesem Material kostet derzeit etwa so viel wie ein Kleinwagen.
An zwei "sehr aussichtsreichen Kandidaten, die künftig Nickelsuperlegierungen ablösen könnten", arbeitet auch Martin Heilmaier von der TU Darmstadt. Im Rahmen des DFG-geförderten Projekts "Beyond Nickelbase Superalloys" untersucht der Werkstoffwissenschaftler Molybdän-Silizium-Bor- und Kobalt-Rhenium-Systeme. "Beide haben Schmelzpunkte, die mindestens 250 Grad Celsius über denen der heute eingesetzten Nickelsuperlegierungen liegen, und lassen sich dazu noch einfacher verarbeiten", sagt Heilmaier. Ziel sei es jetzt, weitere Zusätze zu finden, die den beiden Legierungen bessere Oxidationsbeständigkeit und höhere mechanische Belastbarkeit verleihen.
Da Alternativen zur Nickelsuperlegierung aber wohl selbst im besten Fall frühestens in einem Jahrzehnt zur Verfügung stehen werden, setzen die Wissenschaftler neben Werkstoffneuentwicklungen vor allem auch auf "ökonomische Detailarbeit", wie Siemens-Forscher Stamm es formuliert. "Wir wissen heute sehr genau, wie sich Werkstoff und Keramikschicht verhalten", sagt der Forscher. "Daher können wir bisher eingeplante Sicherheitsmargen verkleinern und die Dicke der Wärmedämmschicht verringern oder die Betriebstemperaturen noch einmal um einige Grad anheben."
(bsc)