Koalitionsvertrag: Deutschland soll Bildungsrepublik und Gründerland werden

Die Spitzen von CDU, CSU und FDP haben sich in der Nacht auf eine 124 Seiten starke Koalitionsvereinbarung mit dem Titel "Wachstum, Bildung, Zusammenhalt" geeinigt.

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Die Spitzen von CDU, CSU und FDP haben sich in der Nacht zum heutigen Samstag auf einen 124 Seiten starken Koalitionsvertrag (PDF-Datei) mit der Überschrift "Wachstum, Bildung, Zusammenhalt" geeinigt. Die alte und neue Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr designierter Vize sowie Außenminister Guido Westerwelle (FDP) betonten bei der Vorstellung der Vereinbarung am Mittag in Berlin, dass Schwarz-Gelb mit dem Papier "mutig in die Zukunft gehen" und diese gestalten wolle. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier sprach dagegen von einem "grandiosen Fehlstart". Union und Liberale hätten "keinen Kurs und keinen Plan für die Zukunft unseres Landes". Malte Spitz aus dem Vorstand der Grünen kann "keine Inspiration", dafür aber "viel Ungenaues" in der Abmachung erkennen.


Schwarz-Gelb bezeichnet in ihrem Fahrplan für die 17. Legislaturperiode "Forschung, Innovationen und neue Technologien" als Grundlage für künftigen Wohlstand. Sie seien die Quellen von wirtschaftlichem Erfolg, Wachstum und Beschäftigung. Zugleich hälfen sie, großen Herausforderungen wie dem Klima- und Umweltschutz, dem Kampf gegen Armut und Krankheiten wirksam zu begegnen. Deshalb gehe es darum, dass im "Land der Ideen" neue Technologien "nicht nur entwickelt, sondern auch angewandt werden". Dazu sei auch ein "umfassender Dialog über Zukunftstechnologien" nötig, um "wieder eine optimistische und technik- und innovationsfreundliche Gesellschaft" zu werden.

Konkret wollen Union und FDP die bereits von der schwarz-roten Vorgängerregierung in ihrem Koalitionsvertrag 2005 umschriebene Hightech-Strategie weiterentwickeln. Dazu soll diese auf die Felder Klimaschutz/Energie, Gesundheit, Mobilität, Kommunikation und Sicherheit konzentriert werden. Unter der Betonung "freier Entwicklungs- und Forschungsmöglichkeiten" wollen die Koalitionäre die Nanotechnologie in Deutschland konsequent vorantreiben sowie den "deutschen Vorsprung in den Umwelt- und Klimaschutztechnologien halten und ausbauen". Bei der Fahrzeugtechnik und Elektromobilität planen sie, alternative Antriebskonzepte im Interesse zukünftiger, umweltfreundlicher Verkehrskonzepte in den Mittelpunkt zu rücken. Mit moderner Mikroelektronik sollen "industrielle Anwendungen in nahezu allen Hard- und Software-Bereichen" durchdrungen werden.

In der "kerntechnischen Sicherheitsforschung" sieht die frisch gebackene Koalition für deutsche Unternehmen "Exportchancen". Auch die Fusionsforschung könne eine umweltfreundliche und sichere Energiequelle erschließen. Die Entwicklung neuer chemischer Produkte wird als "entscheidende Vorstufe für die Wertschöpfung in vielen anderen Wirtschaftsbereichen" beschrieben. Die industrielle Biotechnologie eröffne "neue Verfahren in der Nahrungsmittel, Papier- und Textilindustrie sowie in der Chemie- und Pharmaindustrie".

Um Zukunftstechnologien entstehen zu lassen und "Leitmärkte" prägen zu können, muss Deutschland gemäß dem schwarz-gelben Kompass "wieder zum Gründerland werden". Dazu soll eine "Gründerkampagne" gestartet werden. Weiter geloben die Partner: "Wir werden die Förderprogramme für Gründungen und Gründungsfonds sowie für die Betriebsnachfolgen zusammen mit der Wirtschaft stark ausbauen, bessere Rahmenbedingungen für Chancen- und Beteiligungskapital schaffen und für ein Leitbild der unternehmerischen Selbständigkeit werben."

Als Grundvoraussetzung für die Erreichung der Forschungsziele dient die Vision einer "Bildungsrepublik": Bildung sei "Bedingung für die innere und äußere Freiheit des Menschen", stimmt der Vertrag das Hohelied der Aufklärung an. "Sie schafft geistige Selbständigkeit, Urteilsvermögen und Wertebewusstsein." Bildung und Forschung seien nicht nur Grundlagen des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt, sondern auch "Voraussetzung für umfassende Teilhabe des Einzelnen in der modernen Wissensgesellschaft" und somit "Bürgerrecht". Deutschland müsse deshalb die "besten" Bildungseinrichtungen erhalten. Der Bund soll dazu die Ausgaben für Bildung und Forschung bis 2013 um insgesamt 12 Milliarden Euro erhöhen. Zudem will Schwarz-Gelb Maßnahmen ergreifen, die es Ländern, Wirtschaft und Privaten erleichtern, ihre jeweiligen Beiträge bis spätestens 2015 ebenfalls anzuheben. "Lebensbegleitendes Lernen" soll im Rahmen einer Weiterbildungsallianz für Kopf-Fitness von Mitarbeitern sorgen.

Das Internet findet als Basismedium der Informationsgesellschaft 32 mal Erwähnung in der Koalitionsvereinbarung. Eine flächendeckende Breitbandversorgung bezeichnen Union und Liberale als Teil der "Daseinsvorsorge". Um die weißen Flecken gerade in ländlichen Räumen zu schließen, will Schwarz-Gelb aber vor allem auf Konzepte der großen Koalition setzen. So soll rasch der Umsetzungsstand der Breitbandstrategie geprüft werden. Im "Lichte des bisher Erreichten" will die Koalition "alle Möglichkeiten unter Einbeziehung investitionsfreundlicher Regulierungsinstrumente ausschöpfen". Dabei setzt sie auf ein "nachhaltig wettbewerbliches Umfeld", einen "Technologiemix" und die Nutzung von "Synergien beim Infrastrukturaufbau". So soll etwa die Einbindung der Energienetzbetreiber den Aufbau hochleistungsfähiger Breitbandnetzen beflügeln.

Weiter wollen die Koalitionäre den sich noch nicht in trockenen Tüchern befindlichen neuen "EU-Rechtsrahmen" im Telekommunikationsgesetz (TKG) schnell "innovations- und investitionsfreundlich umsetzen und so die Breitbandstrategie unterstützen". Die Maßnahmen von Bund und Ländern für den Breitbandausbau sollen enger miteinander verzahnt werden. Nicht zuletzt will man die aus der "digitalen Dividende" freiwerdenden Frequenzen "jetzt zügig versteigern, damit in ländlichen Gebieten rasch und kostengünstig eine Breitbandversorgung gewährleistet werden kann".

Neben einer erneuten Novellierung des TKG hat sich Schwarz-Gelb auch eine Reform des Telemediengesetzes (TMG) ins Stammbuch geschrieben. Dabei sollen die Regelungen zur Verantwortlichkeit von Providern "fortentwickelt" werden, heißt es schwammig entgegen der bisherigen konkreten Vorstellungen der FDP. Es gelte auch künftig "einen fairen Ausgleich der berechtigten Interessen der Diensteanbieter, der Rechteinhaber und der Verbraucher zu gewährleisten".

Ein Verbot von "Killerspielen" streben Union und FDP im Gegensatz zur abgelösten großen Koalition nicht mehr an. "Computerspiele sind ein selbstverständlicher Teil unserer Alltagskultur geworden", ist im Vertrag allein zu lesen. Deswegen soll die Entwicklung "hochwertiger, kulturell und pädagogisch wertvoller Unterhaltungsmedien" gefördert und der Deutsche Computerspielpreis aufgewertet werden. Zum Jugendschutz allgemein heißt es: "Wir werden gemeinsam mit Ländern, Kommunen, Verbänden und Wirtschaft einen Nationalen Aktionsplan initiieren." Er solle ein umfassendes Konzept beinhalten und "Maßnahmen zur Verbesserung der Partizipation, der Medienkompetenz und der Gewalt- sowie Suchtprävention" vorsehen.

Neben den bereits bekannt gewordenen Plänen zur Innenpolitik, zur Informationsgesellschaft und zur Stärkung des Urheberrechts- und Datenschutzes enthält das Papier auch einen kleinen Teil zum Verbraucherschutz in der digitalen Kommunikation. Dieser ruft nach einem "verpflichtenden Bestätigungsfeld für alle Vertragsabschlüsse im Internet". Mit einem vorgeschriebenen Preisangabefenster könne "Internetabzocke" minimiert werden, ist dort zu lesen. Zudem soll die "Problematik der unterschiedlichen Handhabung der Kostenverteilung bei Warteschleifen im Telefonverkehr auf deren Praxistauglichkeit hin überprüft" werden. Allgemein will die Koalition auf einen "ausreichenden Schutz der Persönlichkeitsrechte im Internet" und den Verbraucherschutz "bei der Einführung von Funketiketten" auf Basis der RFID-Technik achten. Im Bereich Steuerpolitik verspricht Schwarz-Gelb, das Kontenabrufverfahren zu überprüfen und die elektronische Rechnungsstellung auf möglichst unbürokratische Weise zu ermöglichen.

Auf die Bremse tritt der Vertrag beim Aufbau einer Telematik-Infrastruktur im Gesundheitswesen. Nötig sei diese, "um medizinische Daten im Bedarfsfall sicher und unproblematisch austauschen zu können", ist ihm zu entnehmen. Datensicherheit und informationelle Selbstbestimmung der Patienten sowie der Versicherten müssten aber "auch bei Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte höchste Priorität" haben. Vor einer weitergehenden Umsetzung des IT-Großprojekts soll daher eine Bestandsaufnahme vorgenommen werden. Danach wolle man entscheiden, "ob eine Weiterarbeit auf Grundlage der Strukturen möglich und sinnvoll ist".

Siehe zu den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und FDP auch:

(uk)