Mit virenähnlichen Partikeln zum Turboimpfstoff

Viele Monate hat es gedauert, bis ein geeignetes Mittel zur Schweinegrippe-Vorbeugung bereit stand. Das könnte sich mit neuen Techniken künftig ändern.

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Von
  • David Dobbs

Wie das aktuelle Rennen um eine geeignete Vorbeugung gegen das Schweinegrippevirus H1N1 zeigt, lässt sich mit traditionellen Techniken schwerlich ein Grippeimpfstoff herstellen, der eine Pandemie aufhalten könnte.

Zwei neue Impfstoffkandidaten, deren klinische Tests in diesem Monat beginnen, versprechen nun, schneller an die begehrten Gegenmaßnahmen zu kommen. Sie setzen dabei eine neue Herstellungstechnik an: So genannte Viren-ähnliche Partikel, kurz VLP, übernehmen die Rolle des Immunisierungsauslösers.

Das wichtigste biomedizinische Unterscheidungsmerkmal eines VLP-Impfstoffes ist sein Antigen – jene Komponente, die die Immunantwort in der geimpften Person erzeugt. VLP-Impfstoffe nutzen keine abgetöteten oder geschwächten Grippeviren dafür, wie sie normalerweise verwendet werden. Stattdessen werden kleine Proteinhüllen genutzt, die entweder in Pflanzen- oder Insektenzellen gezüchtet werden. Diese sehen für das Immunsystem des Körpers zwar aus wie echte Viren, enthalten aber kein Genmaterial der jeweiligen Grippe.

"Die Partikel ahmen das Virus genau nach, aber weil sie kein genetisches Material enthalten, das ein Virus aktiv macht, sind sie ungefährlich", erklärt Polly Roy, Professorin für Virologie an der London School of Hygiene and Tropical Medicine in der britischen Hauptstadt, die zu den Pionieren der VLP-Forschung zählt. Das fehlende genetische Material sorgt außerdem dafür, dass keine umfassende Formalin- und Reinigungsbehandlung mehr notwendig sind, die konventionelle Antigene durchlaufen müssen, damit sie nicht mehr infektiös sind, was wiederum ihre Wirksamkeit reduziert.

Am wichtigsten ist aber, dass sich VLP-Impfstoffe sehr schnell herstellen lassen. "Zwischen dem Zeitpunkt, an dem ein Krankheitsausbruch erkannt und die Gensequenz online publiziert wurde, lässt sich die Massenproduktion innerhalb von drei oder vier Monaten anfahren", sagt Ted Ross, Mikrobiologe und Genetiker, der die VLP-Technik am Zentrum für Impfforschung der University of Pittsburgh untersucht. Dies sei eine enorme Verbesserung gegenüber dem aktuellen Prozess – bis ein H1N1-Impfstoff nach dem herkömmlichen Verfahren bereitstand, dauerte es sieben Monate. VLP-Impfstoffe wären sogar schnell genug, eine Pandemie aufzuhalten, bevor sie die Hemisphäre wechselt – so wie es die Schweinegrippe tat, als sie im Mai und Juni dem Winter vom Norden in die Südhalbkugel folgte.

Eigentlich ist die VLP-Technik bereits seit über 20 Jahren bekannt und galt stets als das "nächste große Ding" in der Impfstoffproduktion. Doch erst jetzt scheint sie ein Stadium erreicht zu haben, bei dem selbst bislang nur wenig interessierte Beobachter glauben, dass sie eine eigene Kategorie darstelle, wie Vincent Racaniello, Virologe an der Columbia University in New York, meint. "Es scheint so, als fände sie nun wirklich ihre Bestimmung."

In den letzten zehn Jahren lösten Forscher viele kleine aber kritische Probleme bei VLP-Technik und Herstellung – von der Schaffung wirkungsvoller Antigene bis hin zur Produktion in verlässlichen Mengen. Ein wichtiger Schritt erfolgte im Jahr 2006, als die amerikanische Medikamentenaufsicht FDA den ersten VLP-basierten Impfstoff erlaubte: Gardasil, ein Mittel, das der erste wirksame Impfstoff gegen humane Papillomviren war, die Genitalwarzen und Gebärmutterhalskrebs auslösen können. Das sei ein "riesiger Durchbruch" gewesen, sagt Mikrobiologe Ross von der University of Pittsburgh. Die Zulassung habe gezeigt, dass die FDA, sonst bei neuen Impfstoffen grundsätzlich konservativ, von der Sicherheit von VLP-basierten Ansätzen überzeugt sei.


Seither gab es eine Beschleunigung auch bei VLP-Grippeimpfstoffen. In Tierversuchen gegen Vogel-, Schweine- und saisonale Grippe wirkten sie ebenso gut wie gegen Ebola. Nun ist es den Herstellern Novavax aus dem amerikanischen Maryland und Medicago aus dem kanadischen Quebec gelungen, VLP-Grippeimpfstoffe durch vorklinische Tierversuche hin zu klinischen Tests am Menschen zu führen. Zwei davon beginnen im Oktober.

Die Firmen nutzen unterschiedliche Herstellungsprozesse. Medicago züchten VLPs in genetisch veränderten Tabakpflanzen, die sich leicht manipulieren lassen, schnell wachsen und sich nahezu überall in High-Tech-Gewächshäusern züchten lassen. Die Firma injiziert dabei ausgewachsene Tabakpflanzen mit den genetischen Informationen des Zielvirus und die Pflanzen produzieren dann VLPs in ihrer Biomasse, die sich wenige Wochen später extrahieren lassen. Novavax verwendet wiederum einen Insektenzellkultur-Ansatz, bei dem VLPs in einer Linie identischer unsterblicher Zellen, die vor 20 Jahren aus der Raube einer Eulenfalterart entnommen wurden, entstehen. Diese Zellen wird ein rekombinantes Baculovirus injiziert – eine Virenart, die nur Insekten angreift. Dieses Virus ist so verändert, dass es dem Grippezielvirus ähnelt. Die Zelle antwortet, indem sie VLPs produziert und abscheidet. Die haben wiederum eine Hülle, die mit dem Grippevirus identisch ist, aber keine Grippe-RNA enthält.

Beide Prozesse sind relativ billig und schnell. Die klinische Studie der Phase I, die in der letzten Woche mit 400 Personen in Mexiko am Novavax-Schweinegrippe-Impfstoff begann, wurde aus den genetischen Informationen des H1N1-Virus aufgebaut, die erst Anfang Mai publiziert wurden. Seither hat der Stoff die grundlegende Entwicklung, eine Kleinproduktion und die Tierversuchsphase hinter sich gelassen. Innerhalb der gleichen Zeitspanne schafften es konventionelle Hersteller nicht einmal bis zur Erstauslieferung eines Impfstoffes, der kein neues Design, keine Tierversuche und nur wenige Tests am Menschen benötigte.

Also alles fantastisch in der VLP-Welt? Nicht ganz. Der Prozess kann noch an einer ganzen Reihe von Punkten ins Stolpern geraten. So könnten die Novavax-Tests und ein parallel stattfindender Großversuch an einem Vogelgrippe-Impfstoff durch Medicago noch grundlegende Probleme mit der Technik offenlegen. Sollte das aber nicht so sein und es zu einem erfolgreichen Abschluss klinischer Studien der Phase I kommen, hätte die Menschheit eine neue Impfmöglichkeit an der Hand. Und die wäre dann tatsächlich bedeutend schneller, als bisherige Prozesse. (bsc)