Die Neuerungen in Ubuntu 9.10

So viel Neues gab es in Ubuntu schon lange nicht mehr: Mit Karmic Koala lassen die Entwickler einen Schwung von Innovationen auf den Anwender los.

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Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Dr. Oliver Diedrich
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Waren die letzten Ubuntu-Releases eher von behutsamer Weiterentwicklung und Pflege der Distribution geprägt, bringt die aktuelle Version 9.10 neben einer runderneuerten Optik eine ganze Reihe technischer Neuerungen – das Spektrum der Umbauten reicht vom Standard-Dateisystem über das Bootsystem und die Hardware-Verwaltung bis zu neuer Software. Nicht alles davon ist komplett neu, viele Änderungen sind im Laufe eines längeren Entwicklungsprozess nach und nach in Ubuntu eingesickert und haben jetzt, mit Ubuntu 9.10, die nötige Reife für den allgemeinen Einsatz erreicht.

Das fängt bereits beim Dateisystem an: Ubuntu 9.10 installiert sich jetzt standardmäßig auf Ext4; in der Vorversion musste man noch zu dem textbasierten Installer der Alternate-Install-CD greifen und von Hand partitionieren, um den Ext3-Nachfolger einsetzen zu können. Hinweis für Experimentierfreudige: Btrfs ist in Ubuntu 9.10 zwar enthalten, hat es aber noch nicht in den Installer geschafft – wer mit dem "Next Generation Filesystem" für Linux spielen will, muss selbst Hand anlegen.

Zusammen mit dem Umstieg auf Ext4 haben die Ubuntu-Entwickler auch den Bootmanager aktualisiert und verwenden jetzt standardmäßig Grub2 (c't-Artikel zu Grub2). Der neue Bootmanager präsentiert sich in Ubuntu 9.10 äußerlich unverändert, bietet jedoch einige Erweiterungen: So kann er den Linux-Kernel nicht nur von Ext4, sondern auch von LVM- und RAID-Partitionen starten. Deren Einrichtung unterstützt Ubuntu allerdings nach wie vor nicht im grafischen Installationsassistenten der Standard-Desktop-CD, sondern nur im textbasierten Installer der Alternate-CD.

Eine aktuelle Entwicklung der jüngsten Kernel-Versionen – Kernel-based Mode-Setting, kurz KMS – ist in Ubuntu angekommen: Bei Intel- und (älteren) Radeon-Chips übernimmt jetzt der Kernel das Umschalten zwischen den Grafikmodi. Das klingt wenig aufregend, hat aber eine Reihe wichtiger Konsequenzen: Suspend to Disk und Suspend to RAM funktionieren zuverlässiger, da jetzt der Kernel die Grafikhardware nach dem Aufwachen initialisiert. Das System bootet etwas schneller und vor allem glatter, da die Neuinitialisierung der Grafik und das damit verbundene Flackern beim Start des X-Servers entfällt: Auf Systemen mit Intel-Grafik etwa blendet Ubuntu 9.10 die (gegenüber der Vorversion deutlich ansehnlichere) Bootgrafik beim Start des Desktops sanft aus.

Mit KMS und dem Wechsel auf die aktuelle Version des Intel-Grafiktreibers gehören die Performanceprobleme bei Intel-Grafik, über die viele Ubuntu-9.04-Anwender geklagt haben, endlich der Vergangenheit an: Auf einem Thinkpad mit GM965-Chipsatz (X3100-Grafik) zeigten sich unter Ubuntu 9.10 keinerlei Grafikprobleme mehr.

Auch in anderen Bereichen hat sich die Hardwareunterstützung mit der neuen Kernel-Version 2.6.31 verbessert. Ubuntu 9.10 unterstützt eine Reihe neuer WLAN- und Netzwerk-Chips; der Ubuntu Netbook Remix (UNR) sollte auf nahezu allen Netbooks ohne Probleme laufen. Im Bereich Multimedia sind eine Reihe neuer Treiber hinzugekommen. Suspend to Disk und Suspend to RAM funktionieren robuster und auf mehr Geräten; zudem kann der aktuelle Kernel die Stromsparmechanismen moderner Hardware besser nutzen. Alle Details zu den kernelseitigen Verbesserungen seit der Version 2.6.28 in Ubuntu 9.04 finden Sie in unserem Kernel-Log.

Mit Ubuntu 9.10 haben die Entwickler energisch begonnen, den Hardware Abstraction Layer (HAL) als Vermittler zwischen Desktop, System und Hardware abzulösen. Für die Hardwareerkennung, das Bereiststellen von Informationen darüber sowie das Erzeugen von Events bei Veränderungen wie dem Anschluss eines USB-Sticks oder dem Wechsel von Netzteil- zu Akkubetrieb ist jetzt Udev zuständig. Um die Einbindung von Massenspeichern und das Powermanagement kümmern sich DeviceKit-disk und DeviceKit-power, für die Rechteverwaltung dabei sorgt PolicyKit. All das sind keine brandneuen Entwicklungen, in Ubuntu 9.10 sind jedoch die meisten Anwendungen auf die neuen Subsysteme umgestellt – HAL ist offiziell "deprecated" und dürfte demnächst ganz verschwinden.

In Ubuntu 9.10 ist der Bootprozess endlich vom klassischen System-V-Init auf Upstart umgestellt. Upstart (siehe Artikel Schneller booten mit Upstart) ist bereits seit zwei Jahren in Ubuntu enthalten, war jedoch bislang nicht viel mehr als ein Feigenblatt, hinter dem nach wie vor die alten SysV-Initskripte liefen, ohne die Upstart-Mechanismen wirklich zu nutzen. Entsprechend blieb bislang von den Vorteilen des neuen Bootsystems – ereignisgesteuerter Start der Init-Skripte und weitgehende Parallisierung des Systemstarts – nicht viel übrig.

In Ubuntu 9.04 (Testbericht) hatten die Entwickler den Bootprozess bereits durch eine optimierte Hardwareerkennung und eine teilweise Parallelisierung der Startskripte ordentlich beschleunigt – so weit das eben im Rahmen des SysV-Init möglich war. Die Umstellung auf Upstart in Ubuntu 9.10 bringt eine weitere Beschleunigung des Bootprozesses um bis zu 30 Prozent: Auf einem Notebook mit SSD dauerte der der komplette Systemstart vom Bootmanager bis zum grafischen Login-Schirm mit zwölf Sekunden nicht länger als der BIOS-Self-Test.

Mit Upstart ändert sich die Verwaltung des Init-Systems. Die Datei /etc/inittab ist verschwunden; wann ein Init-Job aktiv wird, legt eine Konfigurationsdatei in /etc/init fest. Eine zentrale Rolle zum Management des Boot-Prozesses kommt dem Tool initctl zu, das Init-Jobs startet und stoppt, Signale verschickt und den Status der Jobs abfragt. Der Befehl

initctl list

beispielsweise gibt eine Liste aller Init-Jobs samt ihrem Status aus.

Ubuntu 9.10 bietet jetzt bei der Installation die Option, das Home-Verzeichnis verschlüsselt anzulegen. Die dazu nötige Technik – eCryptfs, ein stapelbares verschlüsselndes Dateisystem, das über das Home-Verzeichnis gelegt wird – ist schon länger in Ubuntu enthalten. Bislang musste es der Anwender in der Desktop-Version der Distribution aber selbst auf der Kommandozeile einrichten; jetzt genügt ein Mausklick bei der Installation. Nachträglich aktivieren lässt sich das verschlüsselte Home-Verzeichnis allerdings nur auf der Kommandozeile; und auch beim Anlegen neuer Benutzer über das dafür vorgesehene Tool in der Systemverwaltung gibt es keine Möglichkeit

Auch wenn Ubuntu 9.10 nach wie vor in seiner Standardinstallation keine Firewall einrichtet – die Uncomplicated Firewall ufs mit einem Regelsatz wird zwar installiert, aber nicht gestartet –, haben die Entwickler in der Version 9.10 eine andere Sicherheitsschraube angezogen: Eine Reihe von Anwendungen wie der Printserver Cups, der Dokumentenbetrachter Evince und diverse Netzwerktools sowie die Gastsitzung (im Logout-Menü rechts oben), die eine temporäre Arbeitsumgebung für Gastbenutzer einrichtet, sind jetzt standardmäßig mit Apparmor-Profilen geschützt.

Ein solches AppArmor-Profil legt detaillert fest, welche Rechte ein Prozess hat: ob und wo er Dateien lesen und schreiben darf, ob und wie er aufs Netz zugreifen darf und so weiter. Evince beispielsweise ist so gegen schädlichen Code in manipulierten PDF-Dateien immun. Auch ein Profil für Firefox 3.5 liegt bei, es ist standardmäßig aber nicht aktiviert.

Apparmor ist schon länger in Ubuntu enthalten, aber erst mit der Version 9.10 wird die Sicherheitserweiterung in größerem Stil eingesetzt. Über das Paket apparmor-profiles kann man Profile für weitere Anwendungen hinzufügen.

Ubuntu One ist ein neuer Dienst, den Canonical allen Ubuntu-Usern anbietet: 2 GByte kostenlosen Speicher im Internet, über den sich beispielsweise Daten über verschiedene Ubuntu-Installationen synchronisieren, für andere Anwender bereitstellen oder auch einfach sichern lassen. Um Ubuntu One nutzen zu können, benötigt an einen Launchpad-Account – den legt man, sofern nicht schon vorhanden, beim ersten Zugriff auf Ubuntu One an (im Startmenü zu finden unter Anwendungen/Internet).

Danach kann man seine verschiedenen Ubuntu-Rechner registrieren und Daten hochladen – entweder via Webbrowser oder über den Ubuntu-One-Ordner im Orte-Menü. Ubuntu One sorgt dafür, dass die Daten auf alle registrierten Rechnern verteilt werden. Einige Anwendungen wie der Mail-Client und PIM Evolution und die Notizverwaltung Tomboy synchronisieren ihre Daten direkt mit Ubuntu One. Der Dienst basiert auf CouchDB, einer verteilten nonrelationalen Datenbank. Eine lokale CouchDB-Installation sorgt für die Aktualisierung des Datenbestandes.

Der Ubuntu-One-Client auf der 9.10-CD ist leider fehlerhaft und verweigert die Verbindung mit dem Server – lediglich der Zugriff via Webbrowser ist möglich. Mittlerweile steht allerdings ein Update bereit, nach dessen Einspielen die Synchronisation mit Ubuntu One klappt.

Das neue Software Center will die Softwareverwaltung vereinfachen.

Ebenfalls neu ist das Software-Center, das das alte Tool "Anwendungen hinzufügen/ersetzen" ablöst und das Softwareangebot für Ubuntu in Art eines App Store organisiert. Dabei greift das Tool auf sämtliche Ubuntu-Repositories zu: Auch wenn von "Freie Software erhalten" die Rede ist, sind dort auch proprietäre Treiber, diverse Multimedia-Codecs oder ein Flash-Installer zu finden. Wer seine Softwarepakete sowieso mit Synaptic oder Aptitude verwaltet, findet dort auch weiterhin mehr Möglichkeiten zur Interaktion mit der Paketverwaltung; Linux-Neulingen hingegen bietet das Software-Center einen guten Weg, die Softwarevielfalt in Ubuntu kennenzulernen.

Ansonsten ist die Software auf den aktuellen Stand gebracht. Unter dem Gnome-Desktop 2.28 lassen sich bereits die neue Gnome Shell und Zeitgeist installieren, die in dem für März 2010 geplanten Gnome 3.0 neue Bedienkonzepte einführen sollen (siehe das Interview mit Gnome-Release Manager Vincent Untz Auf dem Weg zu Gnome 3.0). Mit Firefox 3.5.3, OpenOffice 3.1.1 und diversen Internet- und Multimedia-Anwendungen bringt Ubuntu 9.10 eine umfassende und aktuelle Softwareauswahl bereits auf der Live- und Installations-CD mit; weitere Software lässt sich über das Internet nachinstallieren.

Wie immer ist auch Ubuntu 9.10 in mehreren Varianten erhältlich. Die Desktop-CD startet ein Live-System zum Ausprobieren und Überprüfen der Hardware-Kompatibilität und bringt einen komfortablen Installationsassistenten mit, der Ubuntu mit wenigen Mauslicks auf der Platte einrichtet. Sofern nötig, verkleinert der Assistent dabei eine bereits vorhandene (Windows-) Partition, um Platz für Ubuntu zu schaffen, und richtet einen Bootmanager ein.

Die Alternate-Install-CD startet den textbasierten Debian-Installer, der auch mit weniger als 256 MByte RAM vernünftig läuft und einige zusätzliche Möglichkeiten wie das Anlegen von RAID-Laufwerken und die Installation eines Logical Volume Managers bietet. Die Server-CD installiert ein System ohne grafischen Desktop. Alle drei Varianten sind für 32- und 64-Bit-Systeme erhältlich. Der Ubuntu Netbook Remix (UNR) ist optimiert auf Geräte mit kleinen Displays.

Ubuntu-9.04-installationen lassen sich im laufenden Betrieb auf die neue Version aktualisieren. Im Test funktionierte ein Upgrade auch eines viel genutzten Systems mit etlichen zusätzlich installierten Softwarepaketen problemlos.

Mit Ubuntu 9.10 (Karmic Koala) scheinen die Ubuntu-Entwickler Anlauf zu nehmen für die nächste Version mit Long Term Support: Ubuntu 10.04 soll wieder eine LTS-Version mit einem Supportzeitraum von drei Jahren für die Desktop- und fünf Jahren für die Server-Variante werden. Diese LTS-Versionen bringen traditionell wenig Neues, sondern sind auf Stabilität optimiert. In Version 9.10 haben die Ubuntu-Macher viele Entwicklungen der letzten zwei Jahre aufgegriffen und zur Einsatzreife gebracht.

Angesichts der Menge der Neuerungen läuft Ubuntu 9.10 erstaunlich stabil: Dieser Artikel ist auf einem Rechner entstanden, auf dem die Distribution seit der Anfang Oktober veröffentlichten Beta-Version läuft, ohne jemals ernsthaft Probleme gemacht zu haben. (odi)