Wikimedia Deutschland lädt zur Relevanz-Diskussion

Mit einer Podiumsdiskussion soll der neu aufgeflammte Streit um Relevanz-Kriterien in der deutschen Version der freien Online-Enzyklopdädie Wikipedia geschlichtet werden. Wikipedia-Gründer Jimmy Wales hat sich gegenüber heise online für eine Beibehaltung der Löschpraxis bei Artikeln ausgesprochen.

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Von
  • Torsten Kleinz

Mit einer Podiumsdiskussion am 5. November will der Verein Wikimedia Deutschland den neu aufgeflammten Streit um Relevanz-Kriterien in der Deutschen Wikipedia schlichten. Wikipedia-Gründer Jimmy Wales hat sich gegenüber heise online für eine Beibehaltung der Löschpraxis ausgesprochen.

Die zur Zeit sehr heftig geführte Auseinandersetzung hatte sich an der Löschung eines neu angelegten Artikels über die Initiative Missbrauchsopfer gegen Internetsperren (MOGIS) entzündet. Die Wikimedia-Administratoren hatten entschieden, wegen des ihrer Ansicht nach Mangels an zuverlässigen Quellen über die Vereinsarbeit vorerst keinen eigenständigen Artikel zu diesem Thema zuzulassen. In der Folge entwickelte sich ein heftiger Streit, der die gesamte Sperrpraxis der Wikipedia in Frage stellt und teilweise kampagnenartige Züge aufweist. Besonders aus dem Umfeld des Chaos Computer Clubs (CCC) kommt zum Teil recht harsche Kritik an dem Vorgehen der Wikipedianer.

In der Podiumsdiskussion will Wikimedia-Deutschland-Geschäftsführer Pavel Richter den Zuhörern einen "Blick in den Maschinenraum des Projekts" gewähren, um für mehr Verständnis für die Abläufe in der Online-Enzyklopädie zu werben. Gleichzeitig sei ihm die Außensicht auf das Projekt wichtig: "Diese Leser und Nutzer der Wikipedia sind schließlich das Zielpublikum dessen, was zahlreiche ehrenamtliche Autoren in der Wikipedia schaffen."

Richter verteidigt die Arbeit der Administratoren gegen die Kritik, sie würden als übermütige Lösch-Admins agieren oder unangenehme Inhalte unterdrücken. "Es handelt sich ausschließlich um freiwillige, ehrenamtlich Tätige, die ihre Freizeit und ihr Wissen in den Dienst der Wikipedia stellen", betont Richter. Die These vieler Kritiker, dass Wikipedia wegen der Löschpraxis unter einem Autorenschwund leide, stellt Richter in Frage: "Es war bis vor ein paar Jahren verhältnismäßig einfach, mit einer guten Allgemeinbildung ganze Themenbereiche in der Wikipedia zu bearbeiten. Doch mit dem zunehmenden Erfolg und dem rasanten Wachstum des Projekts sind heute deutlich höhere Standards in der Artikelarbeit gefordert." Im Rahmen des Projekts WMDE-Kompass 2020 will sich der Verein bemühen, neue Autorenkreise für die Mitarbeit in Wikipedia zu gewinnen.

Auch Wikipedia-Gründer Jimmy Wales spricht sich auf Anfrage von heise online prinzipiell für die Beibehaltung der umstrittenen Löschpraxis aus: "Die Relevanzkriterien sind für die Wikipedia sehr wichtig." Dabei werde jedoch keine Aussage über die gesellschaftliche Relevanz eines Artikelthemas getroffen. Die Kritierien seien hauptsächlich notwendig, um die Überprüfbarkeit der Wikipedia-Artikel zu gewährleisten und die Qualität langfristig zu sichern. "Die wichtige Frage ist doch: Können wir einen guten Artikel bekommen?" erklärt Wales. Nur wenn andere Wikipedia-Autoren in der Lage seien, die Korrektheit eines Artikels zu prüfen, seien die Voraussetzungen dafür gegeben. Auf die Frage, ob man lieber einen schlechten Artikel in der Wikipedia dulden oder stattdessen Lücken lassen sollte, äußert sich Wales eindeutig: "Bei manchen Dingen ist es einfach unmöglich, die Wahrheit mit Hilfe verlässlicher Quellen zu belegen. Einen solchen Artikel zu behalten ist eine Einladung für einen Hoax."

In der aktuellen deutschen Diskussion werden derweil sämtliche Grundprinzipien, die die Arbeit in Wikipedia bisher bestimmten, für falsch und verzichtbar erklärt: So möchte der Sprachwissenschaftler und CCC-Mitglied Martin Haase die Administratoren gleich ganz abschaffen, andere fordern einen basisdemokratischen Umbau der Online-Enzyklopädie, MOGIS-Gründer Christian Bahls nennt den Neutralen Standpunkt der Wikipedia gar "totalitär".

Dass die Diskussion in Berlin konkrete Ergebnisse bringt, ist jedoch kaum zu erwarten: Wikimedia Deutschland hat formell keinen Einfluss auf die Wikipedia-Community, und auch auf informellem Wege sind die Einflussmöglichkeiten sehr gering. Stattdessen könnte die Diskussion helfen, einige Gräben zu überwinden und den Dialog in Gang zu bringen. Interessenten sollen der Veranstaltung auch über einen Audio-Stream folgen können.

Zum Streit zwischen "Inklusionisten" und "Exkludisten" um die Relevanz-Kriterien bei der Wikipedia und das Löschen von Artikeln siehe den c't-Hintergrund-Artikel:

(jk)