Rational Software Conference: Über die Chancen von Jazz

Die IBM-Rational-Gemeinde traf sich auch 2009 wieder in Orlando zur 12. Rational Software Conference und konnte bemerken, dass sich Big Blue schwer tut.

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Von
  • Frank Gerhardt

Die IBM-Rational-Gemeinde traf sich auch 2009 wieder in Orlando zur 12. Rational Software Conference und konnte bemerken, dass sich Big Blue schwer mit der vor zwei Jahren groß lancierten Jazz-Technik tut.

Den Developer hat der Veranstalter aus dem Namen gestrichen (früher RSDC), was sich aber nicht im Programm widerspiegelte, IBM stellte weiterhin praktische Lösungen in den Mittelpunkt. Über 3000 Teilnehmer waren gekommen, sodass trotz Wirtschaftskrise keine leeren Sitzreihen zu beobachten waren. Einige Teilnehmer berichteten jedoch, dass der gefühlte Anteil von IBMern höher war als in den Vorjahren.

Inhaltlich stand vor allem die Jazz-Technik im Fokus – und es ist interessant zu beobachten, wie schwer es IBM fällt, die neuen Tools gegenüber traditionellen wie ClearCase und ClearQuest zu positionieren.

Jazz im Fokus der Präsentationen

Rund ein Zehntel der insgesamt über 400 Vorträge beschäftigten sich mit der Plattform. Auch in den Keynotes war das Thema allgegenwärtig. Das Jazz-Café lud zum Austausch ein, im Ausstellungsbereich konnte man sich in der Jazz Corner informieren.

Ähnlich wie Eclipse eine Integrationsplattform für Entwickler-Tools ist, sieht man Jazz auf einer höheren Ebenen als Plattform für Team-Werkzeuge angesiedelt, die Entwickler und andere Beteiligte im Rahmen des Lebenszyklus verwenden. Im Gegensatz zu Eclipse ist Jazz nicht Open Source. Teile der Architektur möchte IBM gerne auf breiter Basis angewendet sehen und unterstützt eine offene Spezifikation im Rahmen der "Open Services for Lifecycle Collaboration"-Initiative.

Es war spürbar, wie schwer sich IBM noch mit der Technik tut. Viele der Jazz-bezogenen Vorträge fanden im hinteren Bereich, in den kleinen Räumen statt. Erich Gamma, die treibende Kraft bei Jazz, würde in Europa Keynotes halten und Säle füllen, er war "nur" mit zwei normalen Vorträgen vertreten. Warum IBM nicht alle Register zieht, ist eine berechtigte Frage.

Erich Gamma mit Fanclub

Die traditionellen Tools von Rational gelten unter Entwicklern nicht gerade als besonders attraktiv und preiswert. In großen Konzernen, in denen Geld keine Rolle zu spielen scheint, findet man sie trotzdem gerne eingesetzt. Das gerade in Version 2.0 erschienene Rational Team Concert (RTC) zeigt, dass Rational es anders kann. RTC ist sowohl technisch als auch vom Lizenzmodell her interessant. Bisher konnte IBM seine Tools kaum in mittleren und kleinen Firmen verankern. Den Markt, von IBM als Whitespace bezeichnet, adressiert RTC durch unterschiedliche Editionen. So gibt es eine kostenlose, kommerziell einsetzbare Version für drei Entwickler. Mit ein paar zusätzlichen Entwicklerlizenzen ist ein 10-Mann-Team für circa 10.000 Euro arbeitsfähig. Hier ist der Marktdruck durch Open-Source-Lösungen und preiswertere Angebote der Konkurrenz spürbar. Die Preisklasse mag manchem Open-Source-Anhänger immer noch zu hoch vorkommen, für IBM ist das Modell etwas wirklich Neues. Wenig überraschen dürfte, dass die anderen Editionen, die mehr Funktionen enthalten und auf größere Teams mit bis zu tausenden von Nutzern ausgelegt sind, teurer beziehungsweise richtig teuer sind. Am oberen Ende liegen die Preise im Bereich, den die Anwender von ClearCase, ClearQuest & Co. seit Jahren gewohnt sind.

IBM betont auf Nachfrage, dass die traditionellen Tools durch RTC nicht ihre Berechtigung verlieren. Sie haben weiterhin ihre speziellen Funktionen, die Kunden nachfragen. Außerdem sind viele Anwender durch umfangreiche Kundenbindung eng mit ClearCase und ClearQuest verheiratet. RTC sei vor allem für kleine, agile Projekte geeignet. Aber auch unter den Bestandskunden finden sich viele Agilisten und kleine Teams.

RTC besteht aus vier Werkzeugen: Agile Planning (für Scrum und andere Prozesse), Work Item Tracker, Versionsverwaltung und Build-Server. Intelligent konfiguriert lässt sich RTC zu einem gewissen Grad auch für Requirements Engineering und Test-Management verwenden. So kann RTC als Ersatz für einige der traditionellen IBM-Tools herhalten. Statt mehrere Lizenzen für die alten Tools anzuschaffen, fallen nur die Kosten für eine einzige RTC-Lizenz an, die in einigen Fällen sogar günstiger als eine einzelne Lizenz eines alten Tools ist. Außerdem erhalten die Entwickler mit RTC ein wesentlich moderneres, attraktiveres, Eclipse-basiertes Werkzeug.

Frei von Schatten ist das neue Lizenzmodell nicht. Softwarehäuser beklagen vor allem, dass IBM für das Anlegen von Bug-Reports und das Kommentieren von Work Items eine Contributor-Lizenz in Höhe von 600 Euro verlangt. Eine Endanwender-Community lässt sich damit nicht zu vertretbaren Kosten bedienen. Zudem sind für die kleinen Editionen keine Floating-Lizenzen erhältlich, sodass für jeden Gelegenheitsbenutzer eine "Named User"-Lizenz zu erwerben ist. IBM ist die Kritik bekannt, und die Firma hat signalisiert, das Lizenzmodell zu verfeinern.

Die Zahl der Firmen, die RTC einsetzen, ist noch relativ klein, circa 100 bis 200 weltweit. Da die Community-Edition keine Lizenz erfordert, lässt sich kaum abschätzen, wie oft sie zum Einsatz kommt. Die aktuelle Version ist deutlich attraktiver, da neben neuen Funktionen früher der Standard-Edition vorbehaltene Features in die Community-Ausgabe gewandert sind, vor allem die freie Anpassbarkeit von Work Items.

Auf Jazz basieren heute drei Werkzeuge, gut zehn weitere hat IBM in der Entwicklung. Noch 2009 sollen neue Versionen des Requirements Composer und des Quality Manager erscheinen. Beide sind als Beta-Versionen verfügbar. Wie alle Tools, die Jazz enthalten, sind sie über die Plattform eng miteinander integriert. So lassen sich Requirements und Tests mit vielen Artefakten in RTC verknüpfen. Das ist eine Schlüsselfunktion für ein integriertes Application Lifecycle Management (ALM).

Mit Rational Quality Manager (RQM) tritt IBM deutlich gegen HP, den Marktführer bei Testwerkzeugen, an. Das bisher über RTC Gesagte zu Technik und Integration trifft auch auf RQM zu. Das Lizenzmodell ist ähnlich attraktiv. Die Einstiegspreise liegen deutlich unter denen der Konkurrenz, und Floating-Lizenzen sind ebenfalls erhältlich, wo sich die Konkurrenz ziert.

IBM-Aushängeschild Grady Booch

Die Buzzword-Ebene dominierte das Thema Cloud Computing, auch wenn man dabei erst mal an Amazon und Google denkt. IBM als Virtualisierungspionier hob zwei Seiten hervor. Die Rational-Tools sind in absehbarer Zukunft Cloud-fähig und Big Blue wird sie in neuen Software-as-a-Service-(SaaS-)Mietmodellen anbieten. Außerdem stellt die Firma Werkzeuge bereit, um Anwendungen für die Cloud zu entwickeln. Anders als bei Amazon und Google dürfte die Zielgruppe bei sicherheitsbewussten Unternehmen liegen, die sogenannte private Clouds innerhalb eines Unternehmensnetzes betreiben wollen. Selbstverständlich lassen sich die IBM-Lösungen auf öffentliche Clouds anwenden, aber es bleibt abzuwarten, wie attraktiv die Angebote im Vergleich zu den Platzhirschen sein werden.

Auch ist das Motto "Smarter Planet" allgegenwärtig. Grady Booch, der von allen Keynote-Sprechern den größten Willkommensapplaus erhielt, versuchte es in einer glanzlosen Präsentation zu erklären, in der Beispiele wie Videoüberwachung und Kennzeichenerkennung herhalten mussten. Erstaunlich ist die große Konsistenz, mit der IBM das Motto unter die Menschen bringt. Wenn man nächste Woche einen Vertriebler in Stuttgart oder anderswo trifft, dann ist sicher der Smarter Planet ein Thema.

Die Rational Software Conference tourt weiter durch über zehn Länder weltweit. Vom 3. bis 5. November 2009 findet in Düsseldorf die RSC in kleinerer Form für die deutschen Rationalisten statt.

Dr. Frank Gerhardt
ist Experte für Eclipse-Techniken und OSGi. Er entwickelt seit vielen Jahren Business-Anwendungen auf Basis von Java und RCP. Seine Firma bietet Beratung, Trainings und Entwicklung (Ungarn) an.
(ane)