Der virtuelle Psychiater in der Leitung

Eine Software zur Sprachanalyse soll aus Telefonaten herausfinden, ob ambulante Patienten mit chronischen Krankheiten eine klinische Depression entwickeln oder Soldaten am Posttraumatischen Stress-Syndrom leiden.

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Von
  • Jennifer Chu

Eine Software zur Sprachanalyse soll aus Telefonaten herausfinden, ob ambulante Patienten mit chronischen Krankheiten eine klinische Depression entwickeln oder Soldaten am Posttraumatischen Stress-Syndrom leiden.

Jeder kennt das: Ein Gespräch endet in einem handfesten Streit, weil die Art und Weise, wie etwas gesagt wurde, den Inhalt überlagert. Der Ton macht die Musik, heißt es im Volksmund. Auch für Alex Pentland vom MIT: Der Leiter des Human Dynamics Lab erforscht, was Tonfall und Stimmlage, Länge und Häufigkeit von Pausen sowie Geschwindigkeit beim Reden über die Stimmungslage einer Person verraten.

Pentland geht es allerdings nicht um konstruktives Streiten, sondern um medizinische Diagnosen. Seine Gruppe entwickelt Algorithmen zur Sprachanalyse, die ermitteln sollen, ob jemand von Ängsten geplagt, vereinsamt oder depressiv ist. Die MIT-Ausgründung Cogito Health will Pentlands Forschungsergebnisse nun in einer Sprachanalyse-Software vermarkten, die eine solche Diagnose über das Telefon vornehmen kann.

Psychiater erkennen etwa eine klinische Depression oft schon daran, wie Patienten reden. Eine langsame, ruhige und häufig monotone Sprechweise ist ein typisches Signal. Es sind solche Muster, die Cogito Health aus Sprachproben herausfiltert und für Computer erkennbar machen will.

Die Software könnte vor allem in der Behandlung von Patienten mit chronischen Krankheiten wichtig sein, sagt Geschäftsführer Joshua Feast, weil die immer wieder in Depressionen münden. Ambulante Patienten werden mitunter vom Pflegepersonal in regelmäßigen Abständen angerufen, um zu überprüfen, ob sie ihre Medikamente nehmen. „Wenn Sie als Pfleger einen Patienten mit chronischer Diabetes betreuen, ist es für Sie am Telefon sehr schwierig festzustellen, ob er depressiv ist“, sagt Feast. „Wir versuchen mit unserer Software, Pflegern zu helfen, dies herauszufinden.“ Der Vorteil der Sprachanalyse sei, dass man dies unaufdringlich und ganz nebenbei machen könne.

Vor einigen Jahren hatte bereits der Pharmariese Pfizer eine ähnliche Software entwickelt, um erste Anzeichen von Parkinson feststellen zu können. Die suchte die Sprachsignale auf ein leichtes Zittern in der Stimme ab. Die Analyse sollte dann helfen, eine passende Therapie für einen Patienten auszuwählen.

Cogito Health hat nun mathematische Modelle entwickelt, die bestimmte Merkmale der Sprache verarbeiten. Dazu gehört, wie flüssig jemand redet, wie sehr sein Tonfall schwankt, aber auch, mit welcher Intensität er dem Gespräch folgt – ob nach Sätzen des Gegenübers nur Schweigen folgt oder eine Ausdruck wie „ach so“ oder „klar“. Im Unterschied zu gängiger Spracherkennungssoftware spiele die Bedeutung der einzelnen Worte keine Rolle, sagt Alex Pentland, der wissenschaftlicher Berater von Cogito Health ist. „Anhand der Signale im Hintergrund kann man sagen, was eigentlich los ist.“

Derzeit macht das Start-up einen Feldversuch mit Hunderten von Telefonaten zwischen ausgewählten Pflegern und Patienten. Zunächst wird in einem Fragebogen festgehalten, welche tatsächlich an Depressionen leiden. Die Software sollte dann diese Patienten im Idealfall auch identifizieren. Die ersten Ergebnisse seien bereits vielversprechend, sagt Feast. Die Resultate des Versuchs werden im kommenden Jahr veröffentlicht.

Ein geübter Zuhörer könne Anzeichen einer Depression natürlich auch ohne Software-Hilfe erkennen, sagt Mark Clements, Informatiker am Georgia Institute of Technology, der ebenfalls an solchen Sprachanalysen forscht. Ein Neuling müsse aber erst ein Gespür entwickeln. Hier könne die Technologie von Cogito Health nützlich sein. „Computer können auch Feinheiten feststellen, die für Menschen schwer zu hören sind und mit verschiedenen emotionalen und körperlichen Zuständen korreliert sind“, so Clements.

Carl Marci, Psychiater am Massachusetts General Hospital in Boston, verspricht sich davon Unterstützung bei Langzeit-Therapien. „Als Psychiater sehe ich meine Patienten höchstens einmal in der Woche, manchmal nur einmal im Monat. Wenn ich Zugang zu Daten über ihre Alltagsgespräche dazwischen hätte, könnte ich verfolgen, wie sie auf eine Behandlung ansprechen“, sagt Marci.

Cogito Health will seine Expertise später auch anderen Krankheitsbildern widmen. Ab kommendem Jahr sollen Sprachmuster des Posttraumatischen Stress-Syndroms bei Soldaten erforscht werden. Je früher dies erkannt werden könne, desto größer seien die Chancen, die Situation in den Griff zu bekommen, sagt Joshua Feast. (nbo)