SchülerVZ-Daten-Affäre: Strafverteidiger widerspricht Erpressungsvorwurf

Nach dem Selbstmord eines 20-jährigen Verdächtigen in der Untersuchungshaft weist dessen Anwalt den Vorwurf des Erpressungsversuchs zurück: Es gebe Hinweise darauf, dass SchülerVZ von sich aus eine Zahlung angeboten habe.

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Nach dem Selbstmord des im Zusammenhang mit der jüngsten Daten-Affäre bei SchülerVZ/StudiVZ verhafteten 20-Jährigen wachsen die Zweifel an der bisherigen Darstellung der Vorgänge und dem ursprünglich erhobenen Erpressungsvorwurf. Der Betreiber VZnet Netzwerke soll seinem Mandanten ein "unbeziffertes Zahlungsangebot" gemacht haben, teilte der Berliner Strafverteidiger Ulrich Dost am Dienstag dazu mit. Damit sei die Zahlungsbereitschaft seitens des Unternehmens anzunehmen und von einer Erpressung könne keine Rede sein.

Das Unternehmen weist die Darstellung als "ebenso unglaublich wie haltlos" zurück, wie es CEO Markus Berger-de León in einer Mitteilung formuliert. Dieses knappe Dementi lässt allerdings weitere Fragen offen, zu denen VZnet bis heute nicht Stellung genommen hat. Wiederholte Anfragen von heise online zum genauen Ablauf der Ereignisse an fraglichem Sonntag und zum Kontakt mit dem Verdächtigen ließ das Unternehmen unter Hinweis auf laufende Ermittlungen bisher unbeantwortet. Auch am heutigen Mittwoch wollte sich VZnet dazu nicht äußern.

Die bisherige Darstellung des "Datenklaus" und des darauf folgenden "Erpressungsversuchs" gründet sich in weiten Teilen auf Angaben von VZnet. Der Verdächtige soll für die Rückgabe der Daten zunächst 20.000 Euro gefordert und dann auf 80.000 Euro erhöht haben, lautet bisher der Vorwurf. Aus den Ermittlungsakten setzt sich Dost zufolge jedoch ein anderes Bild zusammen. So soll der Kontakt zu dem 20-Jährigen auf Initiative des Unternehmens erfolgt sein. Der CTO des Unternehmens, Jodok Batlogg, habe in einem Chat Kontakt mit dem Verdächtigen aufgenommen — das immerhin hat ein VZnet-Sprecher bereits bestätigt. Batlogg soll dabei unter Hinweis auf die Schwere des Vergehens und den Wert der Daten ("mehrere Millionen Euro") schließlich eine Zahlung in Aussicht gestellt haben.

Seinem Mandanten sei es nicht ums Geld gegangen, erklärte Dost gegenüber heise online. Der junge Mann aus Erlangen habe den Datencrawler programmiert, um "das mal auszuprobieren". Um Geld sei es erst später gegangen, nachdem Batlogg im Chat eine mögliche Bezahlung für die Sicherung der Daten in Aussicht gestellt haben soll: "Wenn wir es schaffen, die Daten zu lokalisieren und die Leute zu bewegen, diese zu löschen, bezahlen wir euch auch dafür", soll der VZnet-CTO dem Verdächtigen gegenüber erklärt haben. Die Berliner Staatsanwaltschaft wollte diese Angaben auf Anfrage nicht bestätigen.

Über konkrete Zahlen sei dann erst am Abend des 18. Oktober gesprochen worden, nachdem sein Mandant nach Berlin gefahren war, sagt Dost. Um die in diesem Zusammenhang wiederholt genannten Summen von 80.000 beziehungsweise 20.000 Euro sei es dabei im Zuge von Verhandlungen über ein mögliches Honorar und einen Vorschuss gegangen. Damit sei das Unternehmen auch zunächst einverstanden gewesen, habe dann aber ein zweites Mal die Polizei gerufen, die seinen Mandanten gegen 23:30 Uhr verhaftet habe. Das erste Mal sollen die Behörden bereits am Nachmittag zugegen gewesen sein, waren aber offenbar wieder abgezogen.

Dosts Mandant hatte sich in der Nacht zum vergangenen Samstag in seiner Zelle in der Berliner Jugendstrafanstalt Plötzensee erhängt. Er war an besagtem Sonntagabend in den Räumen der VZnet Netzwerke in Berlin festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Ermittlungen auf den Vorwurf der versuchten Erpressung konzentriert. Der Vorwurf des "Datenklaus" — unter Juristen "Ausspähen von Daten" — sei in diesem Fall auch kaum zu halten gewesen, meint Dost: "Es liegt auf der Hand, dass Daten, die frei einsehbar für jedermann veröffentlicht werden, von einem Dritten nicht ausgespäht werden können."

Wegen der Schwere des Vorwurfs und aufgrund einer Vorstrafe wegen "früherer Betrugshandlungen" — dabei soll es um einen Betrug im Internethandel gegangen sein — war nach der Festnahme ein Haftbefehl ergangen und Untersuchungshaft angeordnet worden. Es habe Fluchtgefahr bestanden, sagte Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) am heutigen Mittwoch in einer Sitzung des Rechtsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus. Der Verhaftete habe keine Hinweise auf etwaige Selbsttötungsabsichten gegeben, sondern einen "lockeren und aufgeschlossenen Eindruck" gemacht. Der Selbstmord seines Mandanten in Plötzensee kam auch für den Anwalt überraschend: Dost erfuhr davon aus den Medien. Er sagt, ein Freispruch sei durchaus drin gewesen.

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(vbr)