Digitales Botox
Neue Handys in Japan hübschen algorithmisch fotografische Portraits auf. Noch im Gerät werden Aufnahmen durch eine umfassende digitale Gesichtsoperation manipuliert und damit die Vorstellung von der Objektivität des Bildes endgültig zerstört.
- Martin Kölling
Neue Handys in Japan hübschen algorithmisch fotografische Portraits auf. Noch im Gerät werden Aufnahmen durch eine umfassende digitale Gesichtsoperation manipuliert und damit die Vorstellung von der Objektivität des Bildes endgültig zerstört.
Wer schon immer wusste, dass Bilder lügen, kann sich nun bestätigt sehen. In Japan nehmen Handys Portraits auf und unterziehen sie gleich in der Kamera einer umfassenden Schönheitsoperation. Pickel und Falten werden verwischt, die Augen leicht vergrößert, die Nasenspitze leicht angehoben, das Kinn kaum merklich verkleinert. Theoretisch könnte die Kamera sogar das Portrait zum Manga machen, die fotografierte Person zu einem Wesen mit großen Kulleraugen, Stupsnase und Babykinn. Dies wenigstens deutet Yuko Nakazawa an, die für dieses digitale Botox zuständige 24-jährige Expertin des Elektronikherstellers Casio. Die Ingenieure des Konzerns wollten gerne größere Veränderungen vornehmen, aber sie habe sie angehalten, die Gesichter so wenig wie möglich zu verändern, so Nakazawa. Ansonsten würden die Kunden ihre Gesichter als komisch empfinden.
Der Grund für den Verzicht auf das technische Machbare ist simpel. Nakazawa will mit der Handy-Funktion "Bidori" ("Schönes Fotografieren") den Menschen lediglich helfen, hübschere Fotos von sich aufzunehmen. Die Idee, die in der Geschichte der Fotografie schon lange geübte Kunst der Retusche in die Kamera zu verlegen und zu automatisieren, hatte sie aus eigener Erfahrung. Japanische Frauen fotografieren sich gerne und versuchen, sich dabei so hübsch wie möglich darzustellen. "Die meisten jungen Frauen in anderen Ländern tun das gleiche. Die Kamera hilft uns, das beste Foto zu machen." Wie genau das geschieht, will Nakazawa nicht verraten. Nur soviel: Die Kamera macht automatisch das, wofür bisher die Menschen selbst Hand anlegen mussten.
Zuerst markiert das installierte Erkennungsprogramm das Gesicht, dann setzt die Technik das Skalpell an, wie ein Vergleich von Original und Retusche zeigt. Ein Weichzeichner verwischt Hautunreinheiten, die Kinnlinie wird leicht angehoben, genau wie die Nasenspitze und das Oberlid – die neuen Handy-Kameras mit Auflösungen von mehr als fünf Millionen Pixeln bieten hier massig Platz zum Spielen. Und schon ist das Foto aufgehübscht.
Eine nette Funktion, aber die kleine Erweiterung des Handys verdeutlicht eines: In Zukunft werden wir unseren Augen noch viel weniger trauen können als es bisher schon der Fall war. Schon heute tricksen Unternehmen, Modemagazine und Zeitungen, was das Zeug hält. Doch durch die Digitalisierung von Foto und Film und die immer größere Rechenkraft von Kameras und Handys wird die automatisierte Veränderung von Aufnahmen zur Regel, während gleichzeitig immer raffiniertere Algorithmen manuelle Retusche, die bis vor wenigen Jahren ein übungsbedürftiges Handwerk war, endgültig demokratisieren, sprich: zum Massensport machen.
Den Verlust der vermeintlichen Authentizität von Bildern kann man nun beklagen. Ich wenigstens fühle mich nicht wohl dabei, dass sich mit der Digitalisierung und Virtualisierung unserer Welt die lieb gewonnene Vorstellung von der Idee des stehenden und bewegten Bildes als vertrauenswürdige Wiedergabe der Realität in Luft auflöst. Andererseits könnte die Demokratisierung der Bildmanipulation einen positiven erzieherischen Effekt haben: Die Menschen lernen durch eigenes Tun, dass Bilder nicht Augenzeugen und ein Abbild der Realität sind, sondern nichts mehr als ein Werk ihres Erschaffers.
Doch was passiert, wenn an die Stelle von Vertrauen Skepsis die Wahrnehmung übernimmt, wenn jedes Bild in seinem Echtheitsgehalt bezweifelt wird? Welche Methoden der Verifizierung werden wir entwickeln? Wird es ein Mehr an rationalem Hinterfragen oder an Glauben an Verschwörungstheorien oder religiöse Konzepte geben, die sicheren Halt verheißen?
(bsc)