Erneut Rechtsstreit um Namensnennung in der Wikipedia

Ein wegen Mordes verurteilter Deutscher klagt gegen die amerikanische Wikimedia Foundation, weil die Nennung seines Namens in einem englischsprachigen Wikipedia-Artikel die Resozialisierung behindere. Ähnliche Klagen seines wegen der Tat ebenfalls verurteilten Halbbruders beschäftigen gerade den Bundesgerichtshof.

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Von
  • Torsten Kleinz

Darf die Wikipedia den Namen eines verurteilten Straftäters auch nach dessen Entlassung nennen? Der Rechtsstreit, der in dieser Woche vom Bundesgerichtshof an den Europäischen Gerichtshof weitergereicht wurde, um grenzüberschreitende Zuständigkeiten zu klären, betrifft auch die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Ein wegen Mordes verurteilter Deutscher klagt gegen die Wikimedia Foundation, weil die Nennung seines Namens die Resozialisierung behindere.

Der Rechtstreit wird auf verschiedenen Ebenen geführt. So wurde nach Angaben der Electronic Frontier Foundation (EFF) der Wikimedia Foundation vor kurzem eine Abmahnung zugestellt. Die Betreiber der Online-Enzyklopädie werden darin aufgefordert, den Namen eines Deutschen zu entfernen und alle Details über ihn zu anonymisieren. Der Beschwerdeführer war wegen Mordes an dem Volksschauspieler Walter Sedlmayr verurteilt worden und wurde im August 2007 nach Verbüßung einer 16-jährigen Haftstrafe auf Bewährung entlassen. Seitdem ging er erfolgreich gegen die Nennung seines Namens in verschiedenen deutschen Medien vor.

Die Wikimedia Foundation hält sich bedeckt: Auf Anfrage von heise online äußerte sich die Stiftung nicht zu dem Rechtsstreit. Dem US-Magazin Wired wurde aber das Abmahnschreiben zugespielt. Demnach ist die Frist zur Löschung des Namens und der Unterschrift einer Unterlassungserklärung bereits am 30. Oktober abgelaufen. Trotzdem sind die Namen der beiden Verurteilten immer noch online. Zwar sind die Namen der wegen des Mordes Verurteilten im deutschsprachigen Wikipedia-Artikel über Walter Sedlmayr nicht zu finden, die englische Version nennt aber weiterhin beide Namen, nach Bekanntwerden des Rechtsstreits mit der Wikipedia wurden hier sogar separate Artikel über die beiden Täter angelegt.

Rechtsanwalt Alexander Stopp, der den Beschwerdeführer vertritt, begründet das Vorgehen gegen die Online-Enzyklopädie gegenüber heise online: "Dies dient dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen, aber auch dem Resozialisierungsinteresse der Allgemeinheit. An der namentlichen Nennung besteht so lange nach dem Abschluss des Falls kein öffentliches Interesse mehr."

Unklarheit besteht über das weitere Vorgehen: Stopp erklärt, dass gegen die Wikimedia Foundation bereits seit März 2009 ein Versäumnisurteil des Landgerichts Hamburg (Az. 325 O 229/08) bestehe. Ob dieses Urteil der US-Stiftung bereits zugestellt wurde, ist bei der zuständigen Zivilkammer aber unbekannt. Mittlerweile wurde in Hamburg eine weitere Klage gegen Wikimedia eingereicht (Az. 325 O 278/09). Bereits 2007 war der Beschwerdeführer gegen einen Wikipedia-Artikel vorgegangen – allerdings richtete sich die Klage gegen den Provider Freenet, der auf seinen Seiten eine Kopie der deutschsprachigen Wikipedia veröffentlicht (Az. 324 O 740/07). Diese Klage wurde vom Hamburger Landgericht jedoch abgewiesen.

Einen Widerspruch zwischen dem Recht in den USA und in Deutschland sieht der Anwalt nicht: "Das amerikanische Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit jedoch – und das sollte selbstverständlich sein – gilt jedenfalls nach der Rechtsprechung des Supreme Court nur in den Vereinigten Staaten von Amerika." Da der Artikel aber auch in Deutschland verbreitet werde, gelte deutsches Recht. Einen Grund für die Publizierung der Namen sieht er nicht: "Andererseits wundert man sich schon, warum die englischsprachige Wikipedia über einen bayerischen Volksschauspieler ausführlich berichtet. Das sieht doch sehr danach aus, als wolle die Wikimedia Foundation an ihrem Verständnis der Meinungsfreiheit nicht nur die Vereinigten Staaten sondern auch noch einmal die Welt genesen lassen", erklärt Stopp.

Der jüngste Rechtsstreit ist nicht die erste Auseinandersetzung um Namensnennungen in der Wikipedia. So klagten die Eltern des verstorbenen Hackers "Tron" vergeblich gegen die Nennung seines Realnamens in der Enzyklopädie. Auch TV-Comedian Atze Schröder schaltete seine Rechtsanwälte ein. Im Juni wurde Wikimedia-Gründer Jimmy Wales persönlich tätig, um die Nachricht über die Entführung eines US-Amerikaners aus der Wikipedia heraus zu halten. (pmz)