Modern Warfare 2 bricht Verkaufsrekorde und enttäuscht Spieler

Aufgrund eines überschwänglichen medialen Hypes verkaufte Activision Blizzard von dem Kriegs-Shooter Modern Warfare 2 am ersten Tag 4,7 Millionen Exemplare allein in den USA und Großbritannien. Doch erste Spielerreaktionen widersprechen dem einhelligen Lobgesang der Fachpresse.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 562 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Der US-amerikanische Spielepublisher Activision Blizzard hat erste Verkaufszahlen seines am 10. November auf den Markt gebrachten Spiels "Call of Duty: Modern Warfare 2" veröffentlicht. Demnach soll der umstrittene Kriegs-Shooter allein in den USA und Großbritannien innerhalb der ersten 24 Stunden 4,7 Millionen mal verkauft worden sein und dem Hersteller einen Umsatz von 310 Millionen US-Dollar beschert haben. Laut Activision sei dies das beste Einspielergebnis, das ein Videospiel jemals erreicht habe.

Im Vorfeld der Veröffentlichung hatte der Hersteller für einen regelrechten Medienhype rund um den Titel gesorgt. Besondere Aufmerksamkeit erregten Videoausschnitte aus einem Spielabschnitt, in dem der Spieler in die Rolle eines Undercover-Agenten schlüpft und an der Seite russischer Terroristen ein Blutbad in einem Flughafen anrichtet. Der kalkulierte Tabubruch führte zu heftigen Diskussionen in Online-Foren, selbst hartgesottenen Spielern ging das zu weit.

Um das Spiel in Deutschland vor einer Indizierung zu bewahren, können Spieler in der hiesigen Version selbst nicht auf Zivilisten schießen, sondern nur ihren KI-Kameraden den Rücken frei halten, indem sie Polizisten aus dem Weg räumen. Die Option, die Terroristen selbst anzugreifen, sieht das Spiel nicht vor — sobald der Spieler auf die Terroristen das Feuer eröffnet, wird er von ihnen erschossen. Doch trotz dieser gespielten Beihilfe zum Massenmord bewertete die USK Modern Warfare 2 nicht als jugendgefährdend und gab das Spiel in Deutschland ab 18 Jahren frei — und liefert damit USK-Kritikern wie Christian Pfeiffer Munition frei Haus.

Modern Warfare 2 bombt die Spielkultur zurück in die Steinzeit und bescherte dem Hersteller Activision Blizzard bereits am ersten Tag über 300 Millionen US-Dollar Umsatz.

(Bild: Activision Blizzard)

Zwar bemängelten auch Tester der Spielefachpresse die Grenzüberschreitung, belohnten das Spiel letztlich aber einhellig mit überschwänglichen Bewertungen, wie Zusammenfassungen des Online-Dienstes Metacritic zeigen. Durchschnittlich 95 von 100 möglichen Wertungspunkten vergaben unterschiedliche US-Publikationen. Doch in den Jubelchor der Fachpresse mögen viele Spieler nicht einstimmen. In den Spielerbewertungen von Metacritic rangiert die Xbox-360-Version bei 56, die PS3-Version bei 49 und die PC-Version bei 15 von 100 Punkten.

Die Hauptkritikpunkte beziehen sich auf die platt-patriotische Handlung, bei denen die USA aufgrund des Flughafen-Massakers von den Russen überfallen werden und der Spieler diese zu Hunderten niedermähen muss. Das linear verlaufende, stark geskriptete Spiel lässt Spielern keinerlei Freiheiten und lässt sie von einem Kontrollpunkt zum nächsten hechten. Spielerisch ist die plumpe Ballerei nicht weit vom altbekannten Moorhuhn oder dem Rail-Shooter "House of the Dead" entfernt. Bereits nach fünf Spielstunden ist der dramaturgisch flache, kaum Abwechslung bietende Ritt durch die Schießbudenachterbahn wieder vorbei.

PC-Spielern stößt darüber hinaus Activisions Entscheidung sauer auf, dass das Spiel für Multiplayer-Partien keinen Dedicated-Server mitliefert und der eingebaute Online-Modus Mitspieler schlecht auswählen würde. Das Ungemach, das Activision Blizzard mit seinem neuen System auf sich zieht, dürfte auch Entwickler wie id Software interessieren, die bei ihrem kommenden Spiel Rage ebenfalls überlegen, auf einen Dedicated-Server zu verzichten.

Letztlich wird der kommerzielle Erfolg Activisions umstrittenen CEO Robert Kotick recht geben, der auf die Ausbeutung kommerziell erfolgversprechender Franchises setzt. Es ist zu befürchten, dass in Zukunft auch andere Publisher Activisions Beispiel folgen, und den Markt vermehrt mit plumpen Kriegsballerspielen überschwemmen. So hat Activisions ärgster Konkurrent Electronic Arts, der im vergangen Geschäftsjahr mit einer Reihe neuer Spielreihen tief in die roten Zahlen schlidderte, bereits erklärt, dass er die Entwicklung risikoreicher Spiele beenden und sich nur noch auf kommerziell erfolgsversprechende Projekte konzentrieren werde. Unter anderem soll die Weltkriegs-Shooter-Reihe "Medal of Honor" wieder aus der Mottenkiste hervorgeholt werden.

Mit seiner Geschäftspolitik torpediert Activision Blizzard die Bemühungen in der Industrie um gesellschaftliche Akzeptanz. Wenn Ballerspiele wie Modern Warfare die höchsten Gewinne verheißen, werden Rufe nach anspruchsvollen Inhalten ungehört verhallen und Computerspieler ihr Stigma als Killerspieler nicht verlieren. (hag)