Raw-Entwicklung: Rohkost für Feinschmecker (III)

Über- und Unterbelichtungen lassen sich im Raw-Konverter deutlich wirkungsvoller korrigieren als bei der Bearbeitung fertiger JPG-Fotos. Sogar aus "hoffnungslosen Fällen" kann man noch Ansehnliches herausholen.

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Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Johannes Leckebusch
Inhaltsverzeichnis

In der vorangegangenen Folge haben Sie eine Raw-Datei kennengelernt, die ein Balkendiagramm erzeugt. Man gewinnt sie durch Abfotografieren einer Graustufenvorlage von einem Monitor (siehe Download-Links am Ende des Artikels), danach sind ein paar Grundkorrekturen nötig, um einen einigermaßen "gleichabständigen Verlauf" herzustellen. Dazu gehörte auch der Tipp, das Objektiv leicht unscharf zu stellen, um Moiré-Störungen zu vermeiden und so klarer getrennte Balken zu erzielen. Dabei gingen wir zunächst von einer "korrekt belichteten" Aufnahme aus, die ein möglichst mittiges Balkenmuster im Histogramm ergibt. Diesmal fertigen wir absichtlich Über- und Unterbelichtungen an, um zu erproben, in welchen Grenzen sich dieser Aufnahmefehler korrigieren läßt. Die jeweiligen Korrekturmaßnahmen sind auch anwendbar, wenn der Motivkontrast zu groß ist – in der Aufnahme also gleichzeitig Unterbelichtung in den Schatten als auch Überbelichtung in den Lichtern vorkommt.

Korrekturversuche mit Digital Photo Professional: Die RAW-Datei enthält in den Lichtern und Schatten wesentlich mehr Details, als bei einer "Standardentwicklung" sichtbar werden.

Die untenstehenden Testchart-Bilder wurden genüber der Referenzbelichtung um 1,6 Blendenstufen überbelichtet. Vier von den neun Graustufen sind nun überbelichtet und ohne Zeichnung (erstes Bild in der Bilderstecke). Das Histogramm zeigt nur noch fünf Balken. Mit Gradationskurven alleine oder den Einstellern für Helligkeit und Kontrast, wie wir sie bisher eingesetzt haben, läßt sich gegen diesen Zeichnungsverlust so gut wie nichts ausrichten. Der Grund: Sie greifen erst nach der Raw-nach-RGB-Umwandlung ein. Und in den RGB-Bilddateien – ob nun JPEG oder TIFF – sind die abgeschnittenen Tonwerte nicht mehr vorhanden.

Man kann einen Teil der überlichteten Tonwerte, sofern sie in der Raw-Datei noch differenziert sind, bei der Umwandlung aber abgeschnitten wurden, "zurückholen", beispielsweise durch Herunterziehen des Belichtungs-Einstellers auf -1,8 EV. Nun zeigt das Histogramm sieben klar getrennte Balken für die Felder 1 bis 7. Feld 8 und 9 gewinnen keine unterschiedlichen Werte mehr (beide 254), ihre Tonwerte sind schon im RAW-File "abgeschnitten" (geclippt) und lassen sich auf keine Weise wiederherstellen. Zieht man die Belichtung weiter herunter, werden sie einheitlich grau. Das zeigt, dass Digitalkameras schon auf mäßige Überbelichtung sehr unsanft reagieren, man sollte daher immer darauf achten, dass Lichter nicht oder nur knapp überbelichtet werden, falls sie "bildwichtig" sind. Manchmal kann man helle Bereiche im Himmel überbelichten lassen ... außer es handelt sich um dramatisch beleuchtete Wolken, die man in ein Landschaftsbild einbeziehen möchte.

Beim Vergleich der Bilder 1 und 2 in der Bilderstrecke erkennt man, dass der Einsteller "Belichtung" auf alle Tonwerte einwirkt, und zwar proportional um so stärker, je weiter sie vom linken Rand des Histogramms entfernt sind. Die ganz schwarzen Schatten werden kaum verändert (der Nullpunkt bleibt gleich), dunkle Schatten werden etwas dunkler oder heller, Mitten entsprechend stärker verändert, und am meisten werden die hellsten Bereiche verändert: Es ist eine lineare Multiplikation auf alle Bildinhalte, mit einem Faktor, der kleiner oder größer als 1 sein kann, je nachdem, ob man einen negativen oder positiven EV-Wert einstellt. Das ähnelt der Funktion eines "Kontrast"-Einstellers an einem alten Röhrenmonitor oder Fernseher, während "Kontrast" in ACR etwas ganz anderes bewirkt!

Auch mit dem Einsteller "Reparatur" kann man Lichter "herunterziehen", allerdings wirkt dieser selbst bei 100% nicht so stark wie Reduzieren von "Belichtung", dafür beeinflusst er fast ausschließlich die hellsten Töne und die Mitten nur geringfügig. Er staucht vorwiegend die beiden rechten Drittel des Histogramms, mit abnehmender Wirkung zur Mitte hin. Manchmal ist es wünschenswert, nur die hellsten Bildpartien dunkler zu machen, die Schatten und Mitten aber nicht. Gelegentlich kann man "Belichtung" und "Reparatur" kombinieren und in den Mitten auch mit "Helligkeit" und "Kontrast" wieder gegensteuern.