ACTA: Berlin wiegelt Befürchtungen um Anti-Piraterie-Abkommen ab

Die Bundesregierung hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken wegen der geheimen Verhandlungen über das geplante internationale Anti Counterfeiting Trade Agreement (ACTA). Doch Bürgerrechtsvereinigungen zeigen sich weiter beunruhigt.

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Die Bundesregierung hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken, dass über das geplante internationale Anti Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) hinter verschlossenen Türen ohne direkte Beteiligung von Volksvertretungen wie dem EU-Parlament verhandelt wird. Dies geht aus einer jetzt veröffentlichten Antwort (PDF-Datei) der Regierung auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken hervor. Bei den Verhandlungen sei die Bundesregierung über die EU-Kommission sowie die jeweilige EU-Ratspräsidentschaft vertreten. Sie habe an den bisherigen Runden auch als Beobachter direkt teilgenommen.

Auf Bedenken, dass die Gespräche über die Vereinbarung zur "Bekämpfung der Produktpiraterie" der Geheimhaltung unterliegen, obwohl ACTA vermutlich weitreichende Folgen für die Politik der EU-Mitgliedsstaaten haben dürfte, geht die Bundesregierung nicht direkt ein. Sie verweist allein darauf, dass die Kommission über den Fortgang der Verhandlungen auf der Webseite der für den Handel zuständigen Generaldirektion informiert und Anhörungen "der beteiligten Kreise" durchgeführt habe. Weiter versichert sie, dass eine Einflussnahme insbesondere über einen Sonderausschuss des Vertrages (PDF-Datei) über die Arbeitsweise der EU erfolge. Auch der Bundestag werde "umfassend" unterrichtet. Zudem gehe man davon aus, dass das fertige Abkommen neben Brüssel auch die Mitgliedsstaaten ratifizieren müssten.

Eine Übereinkunft jenseits der einschlägigen Uno-Gremien wie der Welthandelsorganisation WTO oder der Weltorganisation für geistiges Eigentum WIPO wird nach Angaben der Bundesregierung angestrebt, weil "die Verhandlungspartner der Auffassung sind, dass durch ein eigenständiges Abkommen zwischen interessierten Staaten ein weiter reichendes Schutzniveau zu erzielen ist". Für Deutschland werde aber keine Änderung der derzeitigen Rechtslage angestrebt. Auch bestehende europarechtliche Regelungen wie die Festlegungen zur Haftung von Providern in der E-Commerce-Richtlinie sollten durch ACTA nicht beeinträchtigt werden.

Der Aufnahme einer "Three Strikes"-Regelung mit Sanktionen bis hin zum Kappen von Netzanschlüssen bei wiederholten Urheberrechtsverstößen, die bei der jüngsten Verhandlungsrunde auf der Agenda stand, will sich die Bundesregierung nach eigenen Angaben widersetzen. Schwarz-Gelb lehne Internetsperren bei möglichen Copyright-Verletzungen "als den falschen Weg zur Bekämpfung dieser Verstöße ab", heißt es in dem Bescheid. Man werde sich für diese Position nötigenfalls auch bei den Debatten über ACTA einsetzen.

Als keinesfalls ungewöhnlich schätzen auch EU-Diplomaten die Geheimniskrämerei rund um das anvisierte Abkommen ein. Ein Vertreter des von Berlin angeführten Sonderausschusses sagte dem Politikdienst EU Observer, dass entsprechende internationale Handelsabsprachen letztlich von nationalen Parlamenten immer nur als Ganze angenommen oder zurückgewiesen werden könnten. Er räumte aber auch ein, dass etwa die Hälfte der 27 EU-Staaten davon ausgehe, dass mehr Transparenz bei ACTA das öffentliche Vertrauen stärken würde. Momenten sei das gesamte Thema derart "infiziert" durch Gerüchte und Spekulationen, dass es an der Zeit sei, einige der "Mythen" über das Abkommen zu beerdigen. Die EU-Verhandlungsführer könnten auf jeden Fall nicht einfach den Wünschen ihrer US-Kollegen nachkommen, wenn diese nicht mit dem europäischen Recht vereinbar seien. Zuvor hatte die Brüsseler Kommission Bauchschmerzen wegen einiger der von Washington angesprochenen Punkte geäußert.

Nichtregierungsorganisationen, Bürgerrechtsvereinigungen und Blogger aus aller Welt wie der AK Daten, der Chaos Computer Club (CCC), die Electronic Frontier Foundation (EFF) oder La Quadrature du Net haben sich unterdessen in einem offenen Brief an das EU-Parlament und die europäischen Verhandlungsführer gewandt. Sie befürchten, dass das Abkommen europäische Innovationen im einheitlichen digitalen Markt massiv behindern werde. Gleichzeitig würden Grundrechte und Demokratie maßgeblich untergraben. Besonders besorgniserregend sei, dass dem EU-Parlament der Zugang zu den Verhandlungsdokumenten verwehrt worden sei, während die US-amerikanische Industrie nach Unterschrift von Vertraulichkeitsklauseln vollständigen Zugriff erhalten habe. Die Unterzeichner fordern die Abgeordneten auf, auf eine Veröffentlichung des aktuellen Vertragsentwurfs zu drängen. (vbr)