26C3: Sprache hacken im Kampf gegen Zensur

Der Bamberger Linguistik-Professor Martin Haase hat die Tüftler am Beispiel der Debatte über Web-Sperren auf dem 26. Chaos Communication Congress aufgefordert, neben der Technik verstärkt Politsprech auseinanderzunehmen.

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Der Bamberger Linguistik-Professor Martin Haase hat die Tüftler auf dem 26. Chaos Communication Congress (26C3) am Beispiel der emotional und hitzig geführten Debatte über Web-Sperren aufgefordert, neben der Technik verstärkt Politsprech schöpferisch-kritisch zu betrachten. "Hacker nehmen alles auseinander, um es dann wieder kreativ zusammenzusetzen", sagte der Sprachwissenschaftler am Sonntag in Berlin. Dieser Ansatz lasse sich gut auch auf Reden und Texte von Politikern übertragen. "Bleibt technikbegeistert", appellierte der Forscher an die versammelte Gemeinde der Datenreisenden, "aber werdet auch zu Sprach- und Texthackern".

Als "Opfer" für eine entsprechende Analyse hatte sich Haase, der mit einem Zensursula-Shirt auf der Bühne stand, die frühere Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) und ihr Werben für die Blockade von Webseiten unter dem Aufhänger der Bekämpfung von Kinderpornographie auserkoren. Anhand im Netz veröffentlichter Mitschnitte von Reden der CDU-Politikerin zeigte er auf, dass diese letztlich auf eine vergleichsweise schlichte Rhetorik nach immer dem gleichen Grundmuster und vielfach auf eine "Scheinargumentation" zurückgegriffen habe. Gekennzeichnet gewesen seien ihre Beiträge zum Thema etwa im Wahlkampf oder auf Tagungen unter anderem von vielen Übertreibungen. So habe von der Leyen von einem "Millionengeschäft" mit Kinderpornos im Netz gesprochen, das durch die vielfach als leicht umgänglich skizzierten Sperren auf Basis des Domain Name Systems (DNS) "ganz empfindlich geblockt" werden könne. Ferner habe sie dem Chaos Computer Club (CCC) vorgeworfen, in der Diskussion Zensur "geschrien" zu haben.

Weiter arbeitete Haase heraus, dass die Ex-Familienministerin bei der Verwendung der "Wir"-Form immer wieder zwischen verschiedenen Gruppenbeschreibungen wie denen der Politik oder aller Bürger hin- und her gesprungen sei. Hier müsse man immer genau fragen, wer tatsächlich gemeint sei. Letztlich sei die "Begründung" von der Leyens für Web-Sperren auf den Gemeinplatz hinausgelaufen, dass das Internet "kein rechtsfreier Raum" sein dürfe. Man könne ihr somit den Vorwurf machen, "dass sie nur Symbolpolitik betreibt". Das habe sie letztlich auch mit der Ansage zugegeben, dass die Blockaden "ein Zeichen setzen" sollten. Trotzdem habe dieser Ansatz bei der Ministerin immer "ganz toll" geklungen und ihr direktes Publikum oft begeistert. "Kritische Geister" habe von der Leyen dagegen mit ihrer "laienhaften" Rhetorik "entgeistert": Beim Durchsieben ihrer "Argumente" sehe man leicht, dass "nichts" von ihnen übrig bleibe. Dafür spreche auch, dass das umkämpfte Zugangserschwerungsgesetz ein knappes halbes Jahr nach seinem Beschluss nach wie vor nicht in Kraft getreten ist.

Den Blick auf Zensurbestrebungen außerhalb Deutschlands richtete Jens Kubieziel. Dabei machte er Länder wie China, Nordkorea oder Birma (Myanmar) als größten Gegner eines freien Internetzugangs aus. Das Reich der Mitte arbeite derzeit daran, sich mit "weißen Listen" komplett vom restlichen Netz abzukoppeln. Webadressen würden dann nur noch auf Antrag hin freigeschaltet. Ergebnis werde ein "China-Intranet" sein. Der Einsatz animierter Cyberpolizisten, die unmotiviert beim Surfen auf dem Bildschirm des Nutzers dargestellt würden, mahne zudem immer wieder regierungskonformes Verhalten an und führe zur Selbstzensur. Noch weiter gingen die Behörden in Birma, wo in jedem Internet-Café alle fünf Minuten ein Bildschirmfoto gemacht und notfalls das Netz komplett abgeschaltet werde. (pmz)