Die Taube auf Twitter
Japans Ministerpräsident Yukio Hatoyama hat zum Jahresanfang mit dem Twittern und Bloggen begonnen - wie viele andere Politiker auch. Das besondere ist eine Real-World-Komponente.
- Martin Kölling
Japans Ministerpräsident Yukio Hatoyama hat zum Jahresanfang mit dem Twittern und Bloggen begonnen - wie viele andere Politiker auch. Das besondere an seinem Auftritt ist eine Real-World-Komponente.
Der erste Tweet von Japans Premier Yukio Hatoyama klingt noch etwas steif. Formvollendet wünscht er seinem Volk in seinem just zum Jahreswechsel eingerichteten Twitter-Konto alles Gute zum neuen Jahr. Aber mir zeigt sein Bemühen, dass das Amt des japanischen Ministerpräsidenten Zauberkraft besitzt. Wieder hat es einen digitalen Analphabeten in einen Internet-Pionier verwandelt.
Hatoyama begann nicht nur zu twittern, sondern auch zu bloggen. Dabei ging er sogar noch einen Schritt weiter als sein Vorbild, US-Präsident Barack Obama. Der Premier will das Blog "Hatocafe", das in Anspielung auf seinen Namen Hatoyama (Taubenberg) eine Flügel schlagende Taube auf zwei sich überschneidenden Sprechblasen als Markenzeichen hat, ins reale Leben holen. Wem das Internet zu digital ist, der soll künftig zu einem noch nicht näher genannten Zeitpunkt ein periodisch geöffnetes, reales "Hatocafe" im Kantei, dem Sitz des Ministerpräsidenten, besuchen können – Plausch mit dem Chef und Hatocafe-Becher inklusive.
Hatoyama steht damit in einer Tradition, die vor neun Jahren mit Yoshiro Mori begonnen hatte. Der damals 63-jährige setzte sich im Herbst 2000 in einer Art Mediengag vor einen Computer und klickte sich erstmals in seinem Leben per Maus durchs Netz. Gedacht war die Show zur Förderung seines übrigens erfolgreichen Plans, Japan vom Internet-Entwicklungsland in die führende Breitbandnation zu verwandeln. Sein kultiger Nachfolger Junichiro Koizumi (2001 bis 2006) lancierte als eine seiner ersten Amtshandlungen einen wöchentlichen E-Mail-Newsletter, der rasant auf mehr als eine Million Empfänger kam. Der blasse Nachfolger Shinzo Abe entwickelte in seinem kurzen Amtsjahr das Internet-Video dagegen zu einer Kunstform, in der wenig Substanz unfreiwillig komisch in Langeweile verpackt wird.
In seinem ersten Blogeintrag erklärt Hatoyama seine Motive. Er starte dieses Blog, um die Distanz zwischen Volk und Politik zu verringern und gemeinsam das Land zu verändern. Zurück gehe die Idee übrigens auf eine "Arbeitsgruppe zur Verringerung der Distanz zwischen Bürgern und Politik" aus Theater- und Drehbuchautoren, Bloggern und anderen kreativen Geistern, verrät der zweite Eintrag. Die Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Internet-Kanälen stellt sich Hatoyama wie folgt vor: Während seine Politik in einem E-Mail-Magazin dargestellt würde, wolle er im Blog Dinge aus seinem Umfeld berichten und auf Twitter sein Befinden und Eilnachrichten mit Links zu seinen Reden und anderen ihm wichtigen Dingen verbreiten.
So viel Experimentierfreude ruft natürlich auch Kritiker auf den Plan. Der Oppositionspolitiker Koichi Kato stichelte, dass ein Ministerpräsident zu solchen Dingen keine Zeit haben sollte. Nur dürfte diese Kritik verpuffen. Und das ist auch gut so, denn erstens geht sie am Kern des Problems vorbei. Hatoyama hat zu recht erkannt, dass er in der heutigen Zeit alle Informationskanäle nutzen muss, um seine Botschaft möglichst weit zu verbreiten. Viele junge Japaner lesen keine Zeitung mehr, sondern informieren sich allein über das Internet, oft sogar nur über seine mobile Form per Handy. Da hilft kein Klagen über den Verfall der Informationskultur, sondern nur die Umarmung der neuen Kommunikationswege, um möglichst viele Menschen am politischen Prozess teilhaben zu lassen.
Zweitens wird der Premier das Regieren schon aus purem Selbsterhaltungstrieb nicht vergessen. Denn ohne Ergebnisse droht ihm das Schicksal vieler Vorgänger, die bis auf wenige Ausnahmen bereits nach einem Jahr wieder abgelöst wurden, weil ihre Popularität in Meinungsumfragen auf niedrige Werte absackte. Und drittens müssen sich die Japaner wirklich nicht fürchten, dass ihr Premier Internet-süchtig wird. Nur einmal täglich will er twittern und das Blog nur einmal pro Woche erneuern. Außerdem scheint er zu verstehen, sich Ruhezeiten einzurichten. Am Sonntag legte er bereits seine erste Twitter-Pause ein. (bsc)