Die Lehren aus dem KI-Eklat bei Sonys World Photo Award

Der Gewinner eines Fotowettbewerbs lehnt den Preis ab – weil sein Bild per KI erstellt wurde. Das konnte nur wegen Lücken im System passieren, meint Nico Ernst.

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Siegerbild von Boris Eldagsen: Im Stil einer Schwarzweiss-Aufnahme aus den 1940er Jahren legt eine ältere Frau einer jüngeren von hinten die Hände auf die Schulter. Die Szene vermittelt Vertrautheit, aber auch Sorge in den Gesichtern der Frauen.

"The Electrician / Pseudomnesia" - das ursprünglich prämierte Siegerbild

(Bild: Boris Eldagsen)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Nico Ernst
Inhaltsverzeichnis

Der Berliner Fotograf Boris Eldagsen hat den Sony World Photo Award gewonnen. Den Preis, unter anderem eine Fotoausrüstung von Sony, will er aber nicht entgegen nehmen. Das Bild, mit dem er gewonnen hat, erstellte er nämlich nicht mit einer Kamera, sondern mit einer KI samt Nachbearbeitung. So die Meldung, die in den letzten Tagen in deutschen wie internationalen Medien zu lesen war.

Eine Analyse von Nico Ernst

Nico Ernst schreibt seit über 20 Jahren über IT-Themen und gelegentlich auch über Musik. Hardware, Fotografie, Wirtschaft und Netzpolitik sind seine bevorzugten Themen. Da er mit ZX81, C64 und Atari VCS aufwuchs, kann er sich auch einem gelegentlichen Spiel noch immer nicht entziehen.

Wie es dazu kam, ist für die Welt der Fotografie, des maschinellen Lernens alias künstlicher Intelligenz, und auch die vielen Fotowettbewerbe ebenso relevant wie die Frage: Was ist ein Foto eigentlich? Denn um die ging es Eldagsen hauptsächlich, wie er im Gespräch mit Heise Online sagt. Um den Eklat zu verstehen, muss man zunächst wissen, warum Eldagsen mit KI so gut umgehen kann, dass auch die Juroren eines renommierten Wettbewerbs seine Arbeit für ein tatsächliches Lichtbild halten. Und was seine Motivation ist.

Eldagsen lebt von seinen Bildern. Seit über 20 Jahren arbeitet er hauptberuflich als Fotograf, in den letzten Jahren auch mit KI. Er ist Experte im Deutschen Fotorat, gibt Kurse zur Anwendung der Technik, und ist auch in der Deutschen Fotografischen Akademie (DFA) aktiv. Ein engagierter Profi also – warum hackt so jemand das System eines Wettbewerbs?

Weil die Teilnahmebedingungen Sony World Photo Awards nur vorgaben, dass "any device" zur Erstellung eines Bildes verwendet werden darf. Smartphones werden in den FAQ des Wettbewerbs ausdrücklich erwähnt, verboten wird nichts, insbesondere keine KI. "Ich wollte das ausprobieren", sagt Eldagsen. Er wollte eine Debatte um die Verwendung von KI anstoßen. Denn der Veranstalter des Awards wusste vor Bekanntgabe der Gewinner, dass es sich um ein KI-Bild handelt.

An dieser Stelle kommt neben Sony und Eldagsen ein weiterer Player ins Spiel, nämlich die Firma, die den Wettbewerb ausrichtet. Hier ist es das britische Unternehmen Creo, das die gesamte Abwicklung von Onlineplattform bis zur feierlichen Preisverleihung und Ausstellung übernimmt. Das ist also eines der üblichen Wirtschaftsunternehmen im Kunstbetrieb. Und als solches hat es ein Interesse daran, dass es zwar viel Aufmerksamkeit für die Werke gibt, aber nicht, dass sie vielleicht an den Erwartungen des Publikums vorbei erstellt wurden.

Wie Boris Eldagsen das geschafft hat, beschreibt er in einer detaillierten Chronologie auf seiner Webseite. Die Kurzfassung: Im Dezember 2022 reichte er das Bild in der offenen Kategorie "Creative" ein. Es geht also um umfangreiche Bildgestaltung, wie auch die Sieger der letzten Jahre zeigen: Viel Bearbeitung, eben alles, was Digitaltechnik hergibt – nur bisher offenbar ohne KI. Im Januar 2023 kam das Werk in die engere Wahl, im Februar forderte Creo einen Titel an. Eldagsen nannte das Bild "The Electrician", das aus der Serie "Pseudomnesia" stamme, ein Kunstwort, das sich als "falsche Erinnerung" übersetzen lässt. Auch dann, so der Fotograf, habe ihn niemand gefragt, wie das Bild erstellt wurde.

Er wollte schließlich "ausprobieren", wie weit man mit KI-Bildern kommt. Aber auch nicht vollständig täuschen, denn: am 2. März 2023 teilte Creo Eldagsen mit, dass er gewonnen habe. Einen Tag danach erklärte er dem Veranstalter, dass das Bild KI-generiert ist, erzählte über seine Arbeit auf diesem Feld – die Creo offenbar nicht recherchiert hatte – und bot an, sich bei der Preisverleihung einer Podiumsdiskussion zu stellen. Denn die Debatte über die Rolle von KI in Fotografie und allgemein, der Kunst, war sein Ziel. Creos antwortete nur, dass Eldagsen den Preis trotzdem behalten könne.

c't Fotografie 2/24

Nun folgte ein Hin und Her über die Preisverleihung und die Podiumsdiskussion, die letztendlich nicht zustande kam. Eldagsen zufolge bot ihm Creo nur an, ein Q&A auf sein Blog zu stellen, was auch nicht geschah. Es scheint, als wollte der Veranstalter die Sache schlicht unter den Teppich kehren. Am 14. März 2023 verschickte Creo eine Pressemitteilung mit den Siegern, bei denen Eldagsen ohne Hintergrund des Bildes geehrt wurde.

Erst als sich die Presseanfragen beim Fotografen und Creo häuften, gab es wechselseitige Stellungnahmen, aus den Eldagsen auch wörtlich auf seiner Webseite zitiert, alles ohne Ergebnis. Nach 22 Tagen Wartens auf eine öffentliche Behandlung der Sache lehnte der Fotograf den Preis schließlich ab. Sein Bild wurde ohne weitere Erklärung aus der Onlinegalerie des Wettbewerbs entfernt. Zur Erinnerung: Dass das Werk KI-generiert war, wusste Creo, und erwähnte es Journalisten gegenüber erst auf Anfrage.

Das lässt nur einen Schluss zu: Creo und Auftraggeber Sony wollten unbedingt möglichst "schöne", eindrucksvolle Bilder für den Wettbewerb haben. Auch in der Kategorie "Creative", wo man genau auf die Entstehung blicken sollte. Wenn es keine Einschränkung gibt, und "any device" verwendet werden darf, muss man heute mit KI-generierten Bildern rechnen. Wie in allen anderen Bereichen auch: Wenn eine bestimmte Technik nicht für eine Anwendung verboten ist, wird sie genutzt werden.

Die Lehren sind daher ganz einfach: Was noch "Foto" genannt werden darf, insbesondere im Rahmen eines Wettbewerbs, muss vorab definiert werden. Etwa in der Art: Es wurde ein System mit physikalisch existenter Linse und lichtempfindlichem Material verwendet. Solange es keine weitverbreiteten und für alle nutzbaren Echtheitsnachweise wie mit CAI gibt, muss jedes Bild zunächst als künstlich betrachtet werden. Fotografen, die für ein Bild auch eine Kamera benutzt haben, müssen vorab zumindest eine Art Versicherung abgeben, dass Ihr Bild ein Foto ist. Beim Bruch der Regeln erfolgt ein Ausschluss vom Wettbewerb, samt öffentlicher Erklärung. Das erzeugt den sozialen Druck, der im unregulierten KI-Feld leider nötig ist.

Und natürlich muss für KI-Bilder in Wettbewerben eine eigene Kategorie geschaffen werden. Das nicht getan zu haben, ist neben dem Umgang mit dem fraglichen Bild der größte Fehler von Creo und Sony. KI verschwindet nicht mehr, bis vor Kurzem war auch der High-End-Generator Midjourney frei und kostenlos zugänglich. Viele andere Angebote werden folgen. Nicht nur Presseorgane, auch Wettbewerbe und die Fotobranche ganz allgemein muss damit umgehen, und kann es nicht wie Creo versucht hat, ignorieren. Auch Eldagsens Bild zeigt ja, dass sich damit Kunst schaffen lässt. Nur braucht die jetzt neue Regeln, die verhandelt werden müssen. Es ist schade, dass eine Chance auf eine breite Diskussion im Rahmen eines weltweit beachteten Wettbewerbs verpasst wurde.

(keh)