Russland importiert massenhaft Chips über China

Unzählige Briefkastenfirmen in China und Hongkong dienen als Umschlagplatz für CPUs, GPUs und FPGAs. Russland importiert Chips für Hunderte Millionen US-Dollar.

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(Bild: c't)

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Russland kommt weiterhin massenhaft an Prozessoren, GPU-Beschleuniger, programmierbare Logikchips (FPGAs) und Analogschaltungen – auch von US-amerikanischen Herstellern. Das verhindern die rigorosen US-Sanktionen gegen russische Firmen aufgrund des Angriffskriegs gegen die Ukraine nicht. Dabei geht es auch um Server-Hardware und mutmaßlich auch Chips für Waffensysteme.

Eine Recherche der Nachrichtenagentur Nikkei Asia ergab, dass Russland derzeit kaum Probleme hat, allerlei Chips von AMD (Xilinx), Intel, Texas Instruments (TI) und anderen Firmen zu kaufen. Dazu verwenden russische Firmen unzählige Briefkastenfirmen in China und vor allem in Hongkong.

Anhand von Ex- und Importlisten kommen Nikkei Asia und zusammenarbeitende Marktforscher zum Ergebnis, dass vom 24. Februar 2022 bis Ende 2022 US-Chips im Wert von mindestens 740 Millionen US-Dollar nach Russland verschickt wurden. Rund 75 Prozent der insgesamt 2358 ausgewerteten Transaktionen fanden mit Firmen aus China beziehungsweise Hongkong statt. Sie hatten einen Wert von 570 Millionen US-Dollar. Viele der Exporteure waren kleine oder mittelständische Unternehmen, häufig mit nur einem einzigen Mitarbeiter.

Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum des Jahres 2021 gab es aus China beziehungsweise Hongkong nach Russland offenbar nur 230 Ausfuhren vergleichbarer Größenordnung im Wert von insgesamt 51 Millionen US-Dollar.

Der größte Exporteur mit Transaktionen im Wert von 18,74 Millionen US-Dollar war Agu Information Technology in Hongkong, der hauptsächlich Intel-Prozessoren nach Russland verkauft hat. Agu Information Technology wurde erst im April 2022 gegründet. Ein Besuch bei der offiziellen Adresse ergab, dass sich dort Wohngebäude mit Büroflächen in den Erdgeschossen befanden, allerdings hatte keines ein Türschild von Agu Information Technology.

Zu den größten russischen Importeuren zählen Mistral, Atlas und Titan Micro. Atlas gehört Dmitry Alekseev, der auch die Elektronikhändlerkette DNS Group gegründet hat.

Intel teilte auf Nachfrage von Nikkei Asia mit, dass es keine Aufzeichnungen über Transaktionen mit Agu Information Technology gebe. Außerdem steht die Hongkonger Firma nicht auf der Liste der offiziellen Intel-Distributoren.

Problematisch sind die weltweit hohen Hardware-Lagerbestände: Der Abverkauf bekommt eine Priorität eingeräumt, das Prinzip "kenne deinen Kunden" verliert an Gewicht. Vor allem kleinere Distributoren achten dann offenbar nicht mehr so genau darauf, wo die Chips hingehen.

Die Umwege über Kleinfirmen sind für Russland teuer und es gibt wenig bis gar keine Garantien über die Zuverlässigkeit der Produkte. Das dürfte jedoch in Anbetracht der US-Sanktionen eine untergeordnete Rolle spielen. Intel-CPUs etwa ließ man sich bis zu 13.000 US-Dollar pro Stück kosten – ein ungewöhnlich hoher Preis bei großen Abnahmemengen, selbst für Xeon-Modelle.

Selbst wenn man versucht, die Schlupflöcher zu schließen, erscheint das insbesondere in Hongkong schwierig. Laut einem zweiten Bericht von Nikkei Asia schmückt sich die Lokalregierung in Hongkong mit der Möglichkeit, günstig und mit wenig Bürokratie Firmen gründen zu können: Ein Eintrag im Handelsregister kostet umgerechnet gerade einmal rund 600 bis 1650 US-Dollar und wird binnen einer Woche vorgenommen. Firmenregistrierungen können auch Menschen aus dem Ausland vornehmen.

Landet eine Firma auf einer Sanktionsliste, kann sie sich rasch umbenennen und so die Einschränkungen umgehen. Die Zollkontrollen in Hongkong und der chinesischen Hafenstadt Shenzhen sollen lasch sein.

Laut dem offiziellen Hongkonger Companies Registry waren 2022 zum Jahresende 1.391.678 Firmen im Stadtstaat registriert – bei gerade einmal gut 7,3 Millionen Einwohnern laut dem Hongkonger Census and Statistics Department.

(mma)