Digitalstrategie des Gesundheitswesens: Lauterbach setzt auf Vertrauen bei ePA

Auf der eHealth-Messe äußerte sich der Gesundheitsminister begeistert über die jüngsten KI-Entwicklungen und will sie in die Digitalstrategie einfließen lassen.

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DMEA

Karl Lauterbach auf der DMEA mit einer analogen Ausgabe der Digitalstrategie

(Bild: Messe Berlin GmbH)

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Künftig will das Bundesgesundheitsministerium in der Digitalstrategie für das Gesundheitssystem stärker auf KI-Systeme setzen und sich an Ländern wie den USA und vor allem China orientieren. Das sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bei seiner Keynote zur offiziellen Eröffnung der eHealth-Messe DMEA in Berlin.

Lauterbach geht davon aus, dass auf Large-Language-Modellen (LLM) basierende Systeme wie ChatGPT in Kürze enormen Erkenntnisgewinn bringen können, indem sie unter anderem medizinische Studien zusammenfassen. Um die Forschung im Gesundheitswesen weiter voranzutreiben, fördere das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) bereits 23 der 38 deutschen Universitätskliniken mit insgesamt 160 Millionen Euro. Weil Länder wie die USA, China, Israel und Kanada im Bereich Gesundheitsforschung voranpreschen, brauche es jedoch einen "Neustart", der neben der Forschung auch die Versorgung verbessert.

Der Gesundheitsminister sieht jedoch auch Gefahren beim Einsatz derartiger KI-Systeme: So könnten depressive Menschen mithilfe von KI-Chatbots künftig noch leichter Methoden zur Durchführung eines Suizids finden (und entschuldigte sich bei dem Auditorium schon vorab für das schlechte Beispiel). Daher sei zu prüfen, ob und wie man KI gesetzlich regulieren müsse.

Für die Erweiterung der gerade erst vorgestellten Digitalstrategie für das Gesundheitsweisen wolle er generell stärker mit den USA zusammenarbeiten. Zum wiederholten Male bedauerte Lauterbach den Weggang von Unternehmen wie Biontech und andere, die nicht mehr in Deutschland forschen wollen und sich mehr in Richtung Großbritannien, USA oder China orientieren. Um weitere Abgänge namhafter Unternehmen zu vermeiden, sollten das geplante Digitalgesetz und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) daher sicherstellen, dass Gesundheitsdaten auch nutzbar sind.

Ein immer wiederkehrendes Thema in Lauterbachs Reden: Mit der geplanten Opt-out-Regelung soll die elektronische Patientenakte (ePA) endlich zum Standard werden. Bei der Einführung will er "auf ein ganz altmodisches Instrument setzen: Vertrauen". Sowohl Patienten als auch Ärzte müsse man in Beispielen die Vorteile der ePA erläutern. Künftig sollen die Daten der elektronischen Patientenakte mit KI analysiert werden. Dazu sei man auch mit Epic Systems – einem der größten US-amerikanischen Unternehmen für Gesundheitssoftware – im Gespräch, die zusammen mit Microsoft GPT-4 im Gesundheitswesen einsetzen wollen.

Die Digitalstrategie für die Gesundheit und die Pflege müsse sich weiterentwickeln und habe eine Bedeutung, die über Gesundheit hinausgehe. Der Gesundheitsbereich sei im Gegensatz zu beispielsweise der Mobilindustrie, ein sehr stark wachsender Bereich. Mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing hatte Lauterbach kurz vorher erst vorgetragen, dass es eine Digitalstrategie für die gesamte Bundesregierung benötige und damit auch das bereits angekündigte Digitalgesetz.

Ferner soll noch in diesem Jahr der TI-Messenger (TIM) kommen – ein an die Telematikinfrastruktur angebundener Messenger für das Medizinwesen. An der Umsetzung des Referenzsystems arbeitet derzeit der Rechenzentrumsbetreiber Akquinet. Zunächst ist TIM für die Kommunikation zwischen Ärzte gedacht, 2024 soll die Arzt-Patienten-Kommunikation hinzukommen. Ebenfalls im kommenden Jahr soll das E-Rezept flächendeckend eingeführt werden. Parallel soll die Telemedizin weiter ausgebaut werden – etwa mit einem Wegfall der 30-Prozent-Hürde für Videosprechstunden bei Ärzten.

Für den Datenschutz will Lauterbach in Zukunft einen "komprehensiven" Ansatz wählen, der den Datenschutz auch unter Berücksichtigung ethischer Richtlinien verbessern soll. Erst kürzlich hat das BMG den Einfluss des Bundesdatenschutzbeauftragten (BfDI) und des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) eingeschränkt. Deren "klassische Vetorechte im Sinne eines Einvernehmens" wolle er abschaffen. Die für Datenschutz und IT-Sicherheit zuständigen Bundesbehörden sollen künftig nur noch in einem Beirat mitwirken.

Auf der DMEA sind dieses Jahr über 700 Aussteller aus fast 30 Ländern vertreten – mehr als im vergangenen Jahr. Dem Bundesverband Gesundheits-IT zufolge sind vorrangig die Start-ups international und kommen nicht nur aus Europa, sondern auch aus Ländern wie Israel und Südkorea.

Lauterbachs Ziel, dass bis Ende 2025 mindestens 80 Prozent der Menschen über eine ePA verfügen, sehen Experten jedoch kritisch. Kein Mensch werde extra ein Schreiben aufsetzen, um der ePA zu widersprechen, monierte Dr. Peter Haas auf einer von der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie ausgerichteten DMEA-Satellitenveranstaltung. Daher werde es viele "Geister"-ePAs geben, die niemand befüllen wird. Bei der E-Mail habe man sich anfangs auch gefragt, wer sie denn benötigt. Allerdings wurde niemand gezwungen, sie zu nutzen. Seiner Ansicht nach, sei es ein politisches Problem, dass man immer mehr und schneller Vorhaben durchpeitschen wolle. Dadurch seien viele Menschen frustriert.

Im vergangenen Jahr hatte es viel Kritik für den BfDI aufgrund seines Vetos beim Einlöseweg für das E-Rezept gegeben. Über diesen Weg hätten Apotheken allein mit der Versichertennummer Einblick darüber erhalten können, welche Medikamente auch ihnen unbekannte Personen verschrieben bekommen. Haas sieht es kritisch, dass der BfDI für die einfachsten Forderungen beschimpft wurde – dabei sei der Datenschutz für uns kulturell ein hohes Gut. Wenn möglicherweise stigmatisierende Daten erst einmal draußen wären, sei es zu spät.

(mack)