Europäischer Polizeikongress: Von der Manndeckung bis zur Raumdeckung

Beim Europäischen Polizeikongress wurde mit "Twenty" ein neuer Messenger zur Vernetzung von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) gezeigt.

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Polzei-Panzer

Der Survivor R von Rheinmetall

(Bild: heise online/Detlef Borchers)

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Von
  • Detlef Borchers

Vom Fußball über die Klima-Aktivisten, vom Einsatz Künstlicher Intelligenz, den Problemen der Gesichtserkennung bis zur Auswirkung der Cannabis-Freigabe: Der 26. europäische Polizeikongress hatte vielfältige Themen im Programm. Rund um die große Messehalle hub27 in Berlin gab es in diesem Jahr einen Außenbereich, in dem Großgeräte gezeigt wurden und Polizeikletterer ihre Kunst demonstrierten. Informationstechnisch durfte sich das Projekt "Polizei 2020", nunmehr P20 genannt, über einen Neuzugang freuen. "Twenty" heißt der Messenger auf Basis des Matrix-Protokolls, der die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) bei ihrer Arbeit vor Ort vernetzt. Das System könnte schon zur Fußball-EM 2024 im Einsatz sein.

Modar BC zur optischen Überwachung, eingebaut in einen Sprinter (eigentlich für die Küstenwache)

(Bild: heise online/Detlef Borchers)

Werfen wir einen kurzen Blick zurück: Zur Fußball-WM 2006 sollte der digitale Blaulichtfunk der Behörden mit Sicherheitsaufgaben (Polizei, Rettungsdienste, Feuerwehr) an den Start gehen. Der damalige Polizeikongress stand ganz im Bann dieses Großereignisses. Der BOS-Funk verspätete sich zwar erheblich, doch inzwischen ist er so präsent, dass seit Jahren ein eigenständiges Side-Event die Funktechnik beleuchtet.

Dieses Jahr wurde schwerpunktmäßig die mobile Breitbandkommunikation besprochen. Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft erklärte auf der Teilveranstaltung den Polizeifunk umstandslos für "wertlos" und forderte von der Politik Breitbandfrequenzen für die Verbreitung von Bild, Ton und Video.

Systemaufbau von Twenty

(Bild: heise online/Detlef Borchers)

Zur anstehenden Fußball-EM könnte das Funksystem auf andere Weise Verstärkung bekommen. Patrick Alberts von Element Software, Oskar Neda vom Innovation Hub der niedersächsischen Polizei und der Matrix-Consultant Hato Nordeck zeigten mit "Twenty" eine Demo eines BOS-Messengers. Ein großes Matrix-System ist bereits bei der Bundeswehr im Einsatz, in der Ärzteschaft heißt die Installation der Open Source-Software "TI-Messenger".

Wie Alberts ausführte, soll jedes Bundesland einen im Polizeinetz föderierten Matrix-Server betreiben, der mit den Servern der Feuerwehren und Rettungsdienste oder dem des THW verbunden ist. Was immer in den Bundesländern an Features für "Twenty" entwickelt wird, solle allen Polizeien zur Verfügung stehen. Über "bridging-Funktionen" sollen parallel laufende Zweitmessenger angeschlossen werden, beispielse Stashcat vom Technischen Hilfswerk.

Demo von "Twenty"

(Bild: heise online/Detlef Borchers)

Ein "digitaler Zwilling"

(Bild: heise online/Detlef Borchers)

Ist der Messenger "Twenty" an der Frau oder am Mann im Einsatz (es gibt eine Android- und eine iOS-Version), so gelten für die zehn Fußballstadien der EM andere Regeln. Derzeit arbeitet eine Besondere Aufbauorganisation (BAO) der Sicherheitsbehörden die Lagebilder für die EM 2024 aus, eingeteilt in eine Arbeitsgruppe "Aufklärung" und eine Abteilung "Raumschutz". Wie Mareike Kotrtmann vom Geoinformationsspezialisten Esri ausführte, soll jedes Stadion und seine Umgebung einen "digitalen Zwilling" bekommen, damit die Einsatzplaner hochpräzise arbeiten können. Zusammen mit der Atos-Tochter Eviden will man die Polizei bei der Fußball-EM unterstützen.

Neben der Diskussion um die Rolle der "Künstlichen Intelligenz" für die Polizeiarbeit gab es viele Vorträge ausstellender Firmen, die den zunehmenden Messecharakter des Polizeikongresses betonten. Einen kuriosen Vortrag lieferte Christoph Markson vom Aussteller Palantir Technologies. Er philosophierte über gutes Softwaredesign, das die Arbeit der (Polizei-) Experten unterstützt. Screenshots von der Super-Software, die Ukraine im Krieg unterstützt, gab es nicht.

Das dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass das Bundesverfassungsgericht die Arbeitsweise der Palantir-Software HessenData beanstandet hat, und auch die bayerische Variante Vera auf dem Prüfstand steht. Gar keinen Vortrag und keine Auskunft gab die NSO Group, Hersteller der Spyware Pegasus, die erstmals als Aussteller vertreten war.

Auf der politischen Seite bekam die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD), die aktuelle Vorsitzende der deutschen Innenministerkonferenz, großen Beifall, als die die Klebeaktionen der "Letzten Generationen" als schlichte Geiselnahme bezeichnete. Spranger erklärte, dass zahlreiche Rettungswagen in Verkehrsstaus steckengeblieben und dass bei der Berliner Polizei bisher 350.000 Einsatzstunden durch die Verkehrsblockaden aufgelaufen sind. Ganz genau müsse man überprüfen, ob die Aktivisten Geld aus dem Ausland bekämen. Strafzahlungen von 2000 Euro und mehr scheinen sie nicht zu stören, das sei verdächtig. Schnellstmöglich solle die im Koalitionsvertrag angekündigte Verlängerung des Gewahrsams auf fünf Tage umgesetzt werden.

Zu Beginn des Polizeikongresses äußerte sich Rita Schwarzelühr-Sutter, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, zum Problem der sexualisierten Gewalt gegen Kinder, die in Deutschland um acht Prozent angestiegen sei. Der Vorschlag der EU-Kommission zur Kontrolle der Kontaktaufnahme mit Kindern, auch als "Chatkontrolle" bekannt, stehe dem Problem der Vertraulichkeit der Kommunikation gegenüber. "Auch wenn wir uns nicht einig sind, verfolgen wir doch ein gemeinsames Ziel."

(mho)