Ohne Simstim wird das nichts
Die Kinorevolution ist fĂĽr mich ausgefallen: nicht wegen der immer wieder gescholtenen Story von "Avatar", sondern weil die 3D-Darstellung noch immer nicht ausgereift ist.
- Niels Boeing
Vor zwei Tagen habe ich endlich "Avatar" im 3D-Format gesehen. Doch die Kinorevolution ist fĂĽr mich leider ausgeblieben. Nicht wegen der immer wieder gescholtenen Story, sondern weil ich die 3D-Darstellung noch immer nicht ausgereift finde.
Sicher ist die RealD-Technologie, die mit 144 Frames pro Sekunde ("Triple Flash") und zirkular polarisiertem Licht arbeitet, Klassen besser als ältere Technologien, die man im Laufe der Jahre zu Gesicht bekommen konnte. Aber sie funktioniert nur da richtig, wo die Bilder im Rechner entstanden sind (in „Avatar“ sind das vor allem die Urwaldszenen).
Bei real gefilmten Nahaufnahmen irritiert die 3D-Darstellung hingegen, weil nach wie vor die Tiefenschärfe fehlt. Zwar kann die Stereo-Kamera, die Regisseur James Cameron eingesetzt hat, den Winkel der beiden Objektive analog zur Ausrichtung der Pupillen verstellen, um etwa an ein Gesicht heranzuzoomen. Doch wie im herkömmlichen 2D-Film werden Personen im Hintergrund immer noch unscharf.
Das Gehirn arbeitet anders, wie man leicht nachprüfen kann, wenn man sich einen Gegenstand dicht vor die Nase hält und darauf fokussiert. Der Hintergrund wird nicht unscharf, als ob er sich unter Wasser befände, sondern enthält überlagerte und dennoch scharfe Kanten, die von den beiden Augenperspektiven herrühren – wobei es nicht leicht ist, beim Fokussieren halbwegs bewusst auf den Hintergrund zu achten.
Bei komplett animierten Filmen hingegen springt der Hintergrund im wahrsten Sinne des Wortes direkt ins Auge: Dort ist er nämlich gestochen scharf, weil der Blickwinkel auf die im Rechner erzeugten Objekte nur um ein paar Grad gedreht wird, die Objektkanten aber nach wie ihre glatte Kontur behalten. Das sieht dann aber auch nicht natürlich aus, sondern so, als ob man vor einem zappeligen Mobile sitzen würde.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Illusion einer dreidimensionalen Welt auf einer zweidimensionalen Fläche bleibt am Ende doch eine Illusion.
Die Lösung – wenn die wissenschaftlichen Voraussetzungen eines Tages erfüllt sein sollten – wird wohl eher in einer direkten Stimulation des Gehirns bestehen, so wie es William Gibson in "Neuromancer" mit den "Simstims" (simulierten Stimulationen) angedeutet hat. Die Grenze zwischen Film und Spiel verschwimmt: Man ist entweder teilnahmsloser Beobachter im Geschehen oder wählt die Perspektive eines Akteurs – in Gibsons "Biochips" etwa die von Promi-Interviewerin Tally Isham. Selbst ein Avatar zu sein, das wäre der Kick. So wie jetzt ist 3D-Kino erst mal nur ein angenehmes Kribbeln.
Abgesehen davon hat mir "Avatar" außerordentlich gut gefallen – wegen der zur Gegenwart passenden Story und der herausragenden Ausarbeitung der fremden Welt Pandora. Die habe ich mir zum Glück zuerst in 2D angesehen.
PS: Eine hĂĽbsche Diskussion ĂĽber die naturwissenschaftschaftlichen Implikationen und Fallstricke von Pandora gibt es hier.
(nbo)