Chatkontrolle: EU-Kommission verteidigt Überwachungspläne

Aufgrund der massiven Bedenken von Juristen des EU-Rats gegen ein verdachtsloses Scannen privater Kommunikation sieht sich die Kommission zum Konter genötigt.​

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Hände am Smartphone, alles gehüllt in rotes Licht

(Bild: Bits And Splits/Shutterstock.com)

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Die EU-Kommission schaltet angesichts wachsender Kritik an ihrem Entwurf für eine Verordnung zur Online-Überwachung zur Bekämpfung des Kindesmissbrauchs in den Verteidigungsmodus. In einem internen Dokument verweist die Kommission auf Erkenntnisse aus eigenen Fachbereichen. Demnach biete die bisherige Rechtsprechung bei einer "ordnungsgemäßen Auslegung keinen Grund für die Schlussfolgerung, dass die vorgeschlagene Verordnung" mit der EU-Grundrechtecharta "unvereinbar" sei.

Der Juristische Dienst des EU-Ministerrats brachte zuvor schwerwiegende Einwände gegen die geplante Verordnung vor. Diese drohe vor allem aufgrund der verdachtsunabhängigen Chatkontrolle "den Kerngehalt des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens" zu verletzen, schrieben die EU-Juristen in einem Anfang Mai geleakten internen Gutachten. Das Vorhaben wäre so spätestens vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zum Scheitern verurteilt.

Kern des Kommissionsentwurfs sind sogenannte Aufdeckungsanordnungen, auf deren Basis Anbieter auch verschlüsselter Messenger-Dienste wie WhatsApp, Signal oder Threema nach bekannten und neuen Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs suchen müssten. Während die Bundesregierung das prinzipiell ablehnt, ist eine Mehrheit der EU-Staaten nicht nur für eine Chatkontrolle, sondern will sie auch auf Audiokommunikation ausweiten.

In dem Euractiv vorliegenden internen Dokument wiederholt die Kommission laut dem Bericht, dass das verdachtslose Scannen privater Kommunikation als "Mittel letzter Wahl" vorgesehen sei. Um dies sicherzustellen, könnten solche Anordnungen nur nach einem "obligatorischen vorherigen Prozess der Risikobewertung" erteilt werden.

Das im jeweiligen Mitgliedsstaat zuständige Gericht müsse prüfen, ob "eine erhebliche Gefahr besteht", dass ein betroffener Dienst "zum sexuellen Missbrauch von Kindern missbraucht wird", schreibt die Kommission in ihrer Replik auf die Stellungnahme der Rechtsexperten des Rats. Dabei sei auch zu klären, ob "die Gründe für den Erlass der Anordnung unter Abwägung aller Grundrechte und anderer auf dem Spiel stehender Rechte und Interessen ihre negativen Folgen überwiegen".

Eine Anordnung dürfte sich nur auf einen bestimmten Dienst oder Teile davon richten. Eine generelle Überwachung fände nicht statt. Es würden auch nur "spezifische Materialien und Gespräche" rund um Straftaten ins Visier genommen. Aufnahmen sexuellen Kindesmissbrauchs unterschieden sich zudem von anderen Formen der Online-Kriminalität dadurch, dass der Inhalt selbst das Verbrechen darstelle. Andere Arten von Rechtsverstößen oder Bedrohungen der nationalen Sicherheit rechtfertigten keine Chatkontrolle.

Nach der EuGH-Rechtsprechung handele es sich bei den in der EU verbrieften Grundfreiheiten "nicht um absolute Rechte", bringt die Kommission noch vor. Sie müssten immer "im Zusammenhang mit ihrer Funktion in der Gesellschaft betrachtet werden". Daher sei eine Abwägung nötig, die "alle Umstände des vorliegenden Falles berücksichtigen" müsse. Diese sensible Prüfaufgabe könnte letztlich den betroffenen Diensteanbietern überlassen bleiben, da der Vorschlag "einen gewissen Interpretationsspielraum" lasse, meint die Regierungseinrichtung. Der Entwurf stecke dafür aber einen "detaillierten Rahmen" einschließlich von Schutzmaßnahmen ab.

(vbr)