10 Grad kühler mit Pilzen – der etwas andere Kühlschrank

Ob Schimmel, Hefen oder Champignons: Pilze sind kälter als ihre Umgebung – und sie taugen als essbare Kühlmittel.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 17 Kommentare lesen

Kultivierter Austernpilz (Pleurotus ostreatus) auf Substrat aus Holzspänen: Sie sind die Spitzenreiter in Sachen Kühleffekt.

(Bild: Zinnmann / cc by-sa 3.0)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Radamés Cordero von Johns Hopkins University in Maryland, USA, ist so etwas wie ein Papparazzi für Pilze. In einem lokalen Park machte der Forscher schon mehrfach Jagd auf sie – mit einer Infrarotkamera. Rund 20 Arten konnte er so ablichten. Die Wärmebilder zeigen: Alle Pilze waren kälter als die Umgebung, oft um mehrere Grad Celsius. Zwar ist das Phänomen nicht neu. Aber es seien aber die ersten Untersuchungen des Effekts in freier Wildbahn und mit Wärmebildkamera, so Cordero.

Hinzu kommt: Infrarotaufnahmen von Schimmel- und Hefepilzen im Labor zeigen den gleichen Befund. "Die sogenannte Hypothermie, die von manchen Pilzen schon bekannt war, trifft auch auf die mikrobielle Welt zu. Die Welt der Pilze ist ganz offensichtlich besonders kalt", sagt Arturo Casadevall, ein Kollege Corderos und Co-Autor der kürzlich im Fachblattt "PNAS" veröffentlichten Studie.

Die Erkenntnisse aus dem Reich der Pilze sollen unter anderem helfen, besser zu verstehen, welche Rolle Pilze für den Klimawandel spielen. Pilze zählen mit geschätzten 2,2 bis 3,8 Millionen Arten zu den artenreichsten Organismen der Welt, die zudem am wenigsten untersucht sind. Dabei machen sie rund zwei Prozent der Biomasse der Erde aus und wirken, etwa in Wäldern, bei der CO₂-Speicherung in Biomasse mit. Als lokale Kältequelle beeinflussen sie außerdem, wie gut andere Organismen in ihrer Nähe gedeihen.

Die farbenprächtigen Wärmebilder aus Maryland haben aber durchaus auch ästhetischen Wert. Die Pilztypen erscheinen in der Regel in kühlem Blau, mit klar erkennbaren Konturen. Das Drumherum changiert grün, gelb, orange bis ins Rote, je nach Entfernung zum Protagonisten. Sechs Grad kälter und damit Spitzenreiter in Sachen Kühlwirkung war der Austern-Seitling, ein beliebter Speisepilz.

Wärmebild des Königlichen Austernpilzes (Pleurotus eryngii): die kältesten Bereiche sind dunkelblau, die mittleren Temperaturen gelb, orange und rot und die wärmsten Regionen sind weiß.

(Bild: Radamés Cordero)

Für das Phänomen gibt es eine simple Erklärung: Pilze enthalten viel Wasser, was man beim Schrumpfen von Speisepilzen in der heißen Pfanne gut beobachten kann. Auch in der Natur verdampft immer ein bisschen Wasser aus den Pilzen. Und das kühlt, ähnlich wie der Schweiß den Menschen. Das Phänomen der Verdunstungskälte beruht darauf, dass das Wasser zum Verdampfen Energie aus seiner Umgebung zieht.

Für Picknicks könnte sich das Schwitzen der Pilze als praktisch erweisen, behaupten Casadevall und Corderos – und wollen das mit einer selbst gebauten Kühlbox belegen. Dazusteckten sie rund 450 Gramm Seitlinge in eine Styroporkiste mit zwei Löchern, eines davon mit einem Computerventilator bestückt, der für Durchzug sorgen sollte. Das Ganze verstauten sie in einer zweiten größeren Styroporkiste. Nach dem Starten des Lüfters sank die Temperatur in der inneren Kiste in 40 Minuten um 10 Grad Celsius von 37,8 auf 27,8 Grad. Ein Test im gleichen Aufbau mit einem nassen Schwamm lieferte lediglich eine Abkühlung um 7,7 Grad Celsius.

Etwa eine halbe Stunde soll der Kühleffekt angehalten haben. Bei 60 Prozent Luftfeuchtigkeit stoppte die Verdunstung – und damit auch die Kühlwirkung. "Man kann damit kein Wasser gefrieren lassen", räumt Casadevall ein. Aber der – bereits markengeschützte – Prototyp des Pilz-Kühlschranks könne zum Beispiel ein Six-Pack für ein Picknick auf Trinktemperatur halten. "Und hinterher kann man die Pilze einfach essen", so der Forscher

Auch wie gut das System als Klimaanlage für Gebäude taugt, hat das Team ermittelt. Es wäre stromsparender, umweltfreundlicher und leichter als gängige Varianten, bräuchte allerdings ein Vielfaches an Platz und auch die Luftfeuchtigkeit müsste gesteuert werden, heißt es in der Studie.

Der Fokus der Forschenden liegt aber vorerst weiter auf der Biologie. Als Nächstes wollten sie noch besser verstehen, welchen Zweck die Selbstkühlung der Pilze erfüllt, sagt Casadevall. "Unsere Hypothese ist, dass niedrigere Temperaturen den Pilzen das Überleben erleichtern, weil Kälte sowohl die Bildung als auch die Verbreitung der Sporen fördern kann. Aber wir sind noch am Anfang der Forschung."

(anh)