Ärztetag: Pläne zum europäischen Gesundheitsdatenraum wackeln

An zentralen Punkten der Digitalstrategie droht die Ärzteschaft Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Unterstützung aufzukündigen.

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(Bild: metamorworks/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
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Der Ärztetag hat sich kritisch mit dem Digitalisierungsvorhaben der Bundesregierung auseinandergesetzt und droht Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Unterstützung in zentralen Fragen – etwa beim Europäischen Gesundheitsdatenraum, EHDS – zu entziehen. Lauterbach hatte bisher den Kurs seines Amtsvorgängers Jens Spahn (CDU) nahtlos weitergeführt.

Mit der Verknüpfung der deutschen Reform mit den Plänen der EU-Kommission zur Einrichtung des EHDS rückt die maßgeblich von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) vorangetriebene Digitalisierungspolitik in den Fokus. Nach einer Debatte im Plenum fordert der Deutsche Ärztetag (PDF) den Gesetzgeber auf, dafür zu sorgen, Arztpraxen von der geplanten Datenlieferung für die Sekundärnutzung der Gesundheitsdaten auszunehmen. Die Primärnutzung dient der medizinischen Versorgung, die Sekundärnutzung der medizinischen Forschung.

Die Digitalisierungspläne sehen vor, Gesundheitsdaten der Forschung zur Verfügung zu stellen, wobei eine Trennung von gemeinwohlorientierter und kommerzieller Forschung nicht stattfindet. Kritisch hält die Ärzteschaft deshalb fest, dass das "reine massenweise ungeordnete Sammeln von Gesundheitsdaten häufig nicht für wissenschaftliche Forschungszwecke geeignet" sei, "aber wohl der kommerziellen Nutzung" diene. Daher verlangt sie: "Forschung darf hier als Argument nicht für kommerzielle Nutzung vorgeschoben werden".

Keine Probleme hingegen hat die Ärzteschaft mit der Vorgabe verbindlicher IT-Standards bei der Datenerfassung. Der Ärztetag rief den Gesetzgeber dazu auf, einheitliche Standards für die Dokumentation von administrativen und medizinischen Daten vorzugeben, an denen sich IT-Hersteller, Register, Qualitätssicherungsinstitutionen, Krankenkassen und Fachgesellschaft halten sollen. Standards sind die Voraussetzung dafür, dass innerhalb von Krankenhausinformations- und Praxisverwaltungssystemen Daten nahtlos über Schnittstellen ausgetauscht werden können. Dies sei Voraussetzung für weitere gesetzliche Vorgaben zur Qualitätssicherung.

Überdies sollen Patientinnen und Patienten über ein Widerspruchsrecht (Opt-Out) verfügen. Der Gesetzgeber ist außerdem aufgefordert, Vorgaben für hohe technische Hürden zur Verhinderung von unerlaubten Re-Identifizierungen vorzunehmen – aktuell wurden keine formuliert. Unerlaubte Re-Identifizierungen sollen unter "empfindliche Strafe" gestellt werden.

Möglicherweise wird das auf dem Ärztetag erfolgte Votum für eine Opt-Out-Regelung noch durch ein Votum für eine Opt-In-Regelung abgelöst werden. Aufgrund der "völlig veränderten" politischen Zielsetzung werde man sich gegen das geplante Opt-out-Prinzip bei der elektronischen Patientenakte (ePA) richten, heißt es in diesem Änderungsantrag (PDF), der von der Versammlung an den Vorstand überwiesen wurde.

Mit dem geplanten Digitalgesetz und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) werde ein grundlegender Paradigmenwechsel vorgenommen, heißt es zur Begründung. Daten aus einer zentralen elektronischen Gesundheitsakte (ePA) würden künftig auch für kommerzielle Zwecke genutzt werden können, für die industrielle Forschung mit Gesundheitsdaten und Pharmaforschung. Der EU-Kommissionsentwurf sehe hier im Rahmen des Europäischen Gesundheitsdatenraums für die Betroffenen kein Widerspruchsrecht vor. "Die ärztliche Schweigepflicht wäre damit abgeschafft und die Ärztinnen und Ärzte würden ihrer Arbeitsergebnisse enteignet werden", heißt es in dem Änderungsantrag.

Nach einer Sichtung in den Fachabteilungen der Geschäftsstelle wird dieser Antrag gegen die zentrale Opt-out-Regelung dem Vorstand der Bundesärztekammer auf seiner Klausursitzung Ende Juni vorgelegt. Der Vorstand entscheidet dann über den Antrag beziehungsweise über den weiteren Beratungsverlauf in den Gremien der Bundesärztekammer, teilte die Geschäftsstelle heise online mit. Würde sich der Vorstand gegen das geplante Opt-out entscheiden, würde die Ärzteschaft Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ihre Unterstützung für die geplante Digitalisierungsreform entziehen. Der SPD-Minister stünde dann nämlich vor der Frage, ob er sich gegen die Ärztinnen und Ärzte und damit vor die industrielle Forschung stellt.

Schon die Debatte zum Transplantationsgesetz noch unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte gezeigt, dass eine Opt-out-Regelung hinsichtlich der Wahrung von Betroffenenrechten nur schwer durchsetzbar ist. Am Ende einer fünfjährigen politischen Debatte hatte sich der Bundestag letztendlich für ein Opt-in entschieden. Daran erinnerte Wieland Dietrich, Abgeordneter der Ärztekammer Nordrhein, auf dem Ärztetag.

Der Vorstand muss außerdem über einen Änderungsantrag zu Pseudonymisierung und Anonymisierung entscheiden. Aktuell sieht nämlich der derzeitige Entwurf der EU-Kommission für den EHDS die Möglichkeit vor, Gesundheitsdaten im Klartext zu übermitteln. Das Bundesgesundheitsministerium soll einem weiteren Antrag nach (PDF), aufgefordert werden, sich "einer auch nur vorübergehenden Speicherung von Klardaten in einem Europäischen Gesundheitsdatenraum eindeutig und unmissverständlich entgegenzustellen". Grundsätzlich befürwortet der Ärztetag die geplante Digitalisierung jedoch, aber nicht deren aktuelle Umsetzung.

(mack)