Tafeln aus Mesopotamien verraten: Paare küssten sich schon vor 4500 Jahren

Paare küssten sich schon vor mindestens 4500 Jahren auf den Mund, wie eine Studie zeigt. Das wirft auch ein neues Licht auf die Entwicklung von Lippenherpes.

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(Bild: Prostock-studio / Shutterstock.com)

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Von
  • Christina Mikalo

Schon die Bewohnerinnen und Bewohner Mesopotamiens, der Gegend zwischen Euphrat und Tigris, in der heute der Irak und Syrien liegen, kannten romantisches und sexuelles Küssen. Das macht den Kuss deutlich älter als bislang angenommen – nämlich um knapp 1000 Jahre.

Herausgefunden haben das der Altertumsforscher Troels Pank Arbøll von der Universität Kopenhagen und die Biologin Sophie Lund Rasmussen von der Universität Oxford. Beide untersuchten unter anderem Keilschrifttafeln aus Mesopotamien, auf denen Küssen schon um 2500 vor Christus erwähnt wird. Bislang galten Aufzeichnungen aus Indien, die etwa aus dem Jahr 1500 vor Christus stammen, als ältester Nachweis für den romantischen Kuss. Ihre Ergebnisse haben Arbøll und Rasmussen im Fachmagazin "Science" veröffentlicht.

Die neuen Erkenntnisse stellen bisherige Theorien zur Entstehung und Ausbreitung von Krankheiten wie Lippenherpes infrage. In einer 2022 veröffentlichten Studie hatte ein Forschungsteam die Hypothese aufgestellt, dass sich moderne Herpesviren in Europa mit dem Aufkommen des Küssens im Zuge von Wanderbewegungen verbreitet haben könnten. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler leiteten dies aus Genanalysen von Zähnen aus der Bronzezeit zwischen 253 und 1700 vor Christus ab.

Arbølls und Rasmussens Untersuchungen legen nun aber nahe, dass diese Hypothese nicht stimmen kann. Romantisches Küssen sei demnach viel älter und entstand vermutlich in mehreren anstatt nur in einer Region der Welt. Demnach hat es wohl auch schon deutlich länger eine Rolle in der Übertragung von Krankheitserregern wie eben dem Herpes Simplex-Virus Typ 1 oder dem Epstein-Barr-Virus gespielt, die sich zum Teil über Speichelaustausch verbreiten und für die nachgewiesen werden konnte, dass es sie bereits in antiken Gesellschaften gab.

Arbølls und Rasmussens Forschung zeigt auch, dass die Menschen in Mesopotamien zwar noch keine Viren und Bakterien, aber offenbar schon das Konzept der Ansteckung kannten, wenngleich sie es nicht mit dem Küssen in Verbindung brachten. So ist beispielsweise in einem Brief von etwa 1775 vor Christus von einer Frau die Rede, die sich mit einer Krankheit infiziert hatte, die offene Wunden verursachte. Jedermann sollte vermeiden, aus ihrem Becher zu trinken, in ihrem Bett zu schlafen oder auf ihrem Stuhl zu sitzen.

Andere Schriften stellen den romantischen Kuss als normalen, wenn auch nicht immer gern gesehenen Teil des Alltags im antiken Mesopotamien dar. Obwohl er vielleicht nicht in allen damaligen Gesellschaften praktiziert wurde, sei er weitläufig bekannt gewesen, so Arbølls und Rasmussens Fazit.

Wann aber genau entstand nun das Küssen? Darauf können die beiden Wissenschaftler noch keine Antwort geben. Romantisch-sexuelle Küsse auf den Mund wurden aber bei den nächsten Verwandten des Menschen, den Bonobos, beobachtet. Möglicherweise handelt es sich beim Küssen also um ein noch viel älteres, universales Verhalten der menschlichen Spezies.

(jle)