Zum 100. Geburtstag von John von Neumann

Wer sich mit Informatik beschäftigt, kommt unweigerlich mit der "Von-Neumann-Architektur" in Berührung. Ihr Namensgeber wurde heute vor hundert Jahren geboren, doch seine größten wissenschaftlichen Leistungen liegen auf anderen Gebieten.

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Von
  • Andreas Stiller

Egal ob als János oder Jancsi, Johann oder Johannes, John oder Johnny -- Johann von Neumann war sicherlich einer der bedeutendsten Universalisten des 20. Jahrhunderts, wenn auch nicht immer unumstritten. Ob als Chemiker oder Mathematiker, als Physiker oder Computerpionier, ob als friedlicher Wissenschaftler oder Mithelfer bei der Entwicklung und Anwendung der Atom- und Wasserstoffbomben, von Neumann hat überall seine Spuren hinterlassen.

Am 28. Dezember 1903 erblickte er als Johann Ludwig Neumann von Margitta in Budapest das Licht der Welt im gutbürgerlichem Hause des Bankiers Max Neumann. Aus dem jüdischen Glauben machte er sich nicht viel, mehr schon aus dem zugekauften Adelstitel -- und so besuchte er in Budapest das evangelische, deutschsprachige Luther-Gymnasium, zusammen mit vielen anderen jüdischen Ungarn. Berühmt geworden sind beispielsweise die Schulkollegen Edvard Teller und Leo Szilard, die beide auch das Schicksal von Neumanns teilten, später in den USA maßgeblich am Atombombenbau mitzuwirken.

Schon früh interessierte sich von Neumann für Mathematik, seine erste wissenschaftliche Arbeit "Über die Lage von Nullstellen gewisser Minimalpolynome" verfasste er zusammen mit seinem Tutor bereits als 18-Jähriger. Auf Wunsch der Familie studierte er aber nicht "brotlose" Mathematik, sondern Chemie, zunächst in Berlin und dann in Zürich. Er interessierte sich aber nie sonderlich für Chemie, sondern machte das Ingenieursexamen so nebenbei und setzte lieber sein "Hobby" Mathematik fort. Mit einer grundlegenden Arbeit zur Mengentheorie promovierte er dann 1926 in Budapest. Es folgten Lehraufträge in Berlin und Hamburg. Von Neumann veröffentlichte in dieser Zeit viele weitere mathematische Arbeiten, studierte in Göttingen bei Hilbert und half der frisch aufkeimenden Quantenphysik mathematisch auf die Sprünge ("Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik", 1929). Dafür entwickelte er Modelle zur Gruppentheorie und löste auch für einen bestimmten Teilaspekt die 5. Hilbertsche Aufgabe (David Hilbert hatte 23 ungelöste mathematische Probleme als Aufgaben für das 20. Jahrhundert formuliert).

Noch vor Beginn der Naziherrschaft in Deutschland hatte er schon eine Gastprofessur in Princeton inne, die er, umgewandelt in eine reguläre Professur, mit dem astronomischen Jahresgehalt von 10.000 Dollar besoldet, dann zeitlebens beibehielt. Hier entwickelte er die mathematischen Grundlagen zu den Rings of Operators weiter, die später als Von-Neumann-Algebra in die Annalen der Mathematik eingehen sollten. Ferner begründete er die Spieltheorie rund um das Minimax-Theorem, zuerst im Zusammenhang mit Gesellschaftsspielen, später dann ausgedehnt auf die Wirtschaft ("Theory of Games and Economic Behavior", 1944)

1936 kam Alan Turing als Student nach Princeton, ein junger Brite, der mit seinem richtungsweisenden Beitrag "On Computable Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem" in der Fachwelt erhebliches Aufsehen erregt hatte. Turing verfasste dort seine Dissertation über Hypercomputation, Orakel-Maschinen und berechenbare Funktionen.

Die Turing-Maschinen mögen von Neumann inspiriert haben, sich intensiver mit der Theorie von Rechenautomaten zu beschäftigen. Später, während des zweiten Weltkriegs, hatte von Neumann mathematisch den Weg aufgezeigt, wie man überhaupt eine Atombombe zur Explosion bringen kann. Es haperte allerdings an den konkreten Berechnungen, die für jede Aufgabe ein Heer menschlicher Rechner monatelang beschäftigten. Der bedeutende Physiker Richard Feynman beschreibt dies in seiner Autobiographie "Surely you are joking, Mr. Feynman" -- und wie er in Los Alamos mit mechanischen IBM-Rechnern und mit einem durchorganisierten Fließbandprinzip den Durchsatz drastisch steigern konnte. Von Neumann war oft in Los Alamos, sah sich aber derweil nach anderen Lösungsmöglichkeiten um. Er analysierte diverse mechanische und elektromechanische Rechner von Howard Aiken, George Stibitz und Jan Schilt, sowie insbesondere das auf Röhren basierende Konzept des ENIAC von J. Presper Eckert, John Mauchly und Arthur Burks, die ihrerseits "Anleihen" bei den Wissenschaflern Atanasoff und Berry der Universität Iowa genommen hatten.

In seiner berühmten Schrift "First draft on a Report on the EDVAC" fasste von Neumann die Erkenntnisse der Kollegen zusammen, erweiterte und verbesserte das Konzept zu seinem "Electronic Discrete Variable Automatic Computer". Vor allem erkannte er, dass man Ablaufvorschriften (Programme) nicht fest verdrahten, sondern flexibel abspeichern sollte (stored programs). Was ihm nur vorgeworfen wurde war, dass er die später als Von-Neumann-Architektur bekannt gewordene Rechnerarchitektur allein unter seinem Namen ohne jeden Hinweis auf die Kollegen veröffentlichte.

Die wesentliche Idee der nach ihm benannten Architektur bestand in einem Universal-Computer mit Rechenwerk, Steuerwerk, Input/Output-Geräten und einem gemeinsamen Speicher für Instruktionen und Daten, der über einen gemeinsamen Bus an Rechenwerk und Steuerwerk angekoppelt ist.

Das meiste dieser Ideen war aber ohnehin schon ein paar Jahre vor ihm formuliert worden, nur eben weit weg im feindlichen Deutschland. Konrad Zuse hatte bereits 1941 mit der Vorstellung der Z3 einen großen Teil der Prinzipien der "Von-Neumann-Architektur" vorweggenommen, wie Zuse-Sohn Horst Zuse belegt. Zwar hatte Zuse die Kernidee des gemeinsamen Speichers von Instruktionen und Daten mit der Z3 noch nicht realisiert, aber als Möglichkeit in sein Plankalkül aufgenommen -- sogar mit selbstmodifizierendem Code als so genanntem freiem Rechenplan.

Zuse bekam die ihm wohl zustehende Ehrung, als Erfinder des ersten programmierbaren Computers zu gelten, bekanntermaßen nicht, aber auch nicht von Neumann, Eckert, Mauchly und Burks und auch nicht Alan Turing, der ebenfalls schon vorher unter extremer Geheimhaltung programmierbare elektronische Rechner konstruiert hatte. Diese Ehre wurde erst 1973 nach langem Rechtstreit von einem US-amerikanischen District-Gericht in Minnesota den eher weniger bekannten Computerpionieren John Vincent Atanasoff und Cliffort Berry zugesprochen.

Gebaut wurde von Neumanns EDVAC erst einige Zeit später ab 1949, fertiggestellt -- immerhin mit Magnetbandspeicher -- 1952. Da waren die Briten schneller, die mit seinem Konzept schon 1948 in Manchester die SSE-Maschine (lange vor Intel ...) konstruierten, die Small Scale Experimental Machine. Von Neumann war zwischendurch zu beschäftigt, Simulationen für die Wasserstoffbombe zu entwerfen, die mit Hilfe der immerhin manchmal funktionierenden ENIAC (oft war eine ihrer 18.000 Röhren defekt) durchgerechnet wurden. Sein vor wenigen Monaten verstorbener Landsmann Edvard Teller war inzwischen zuständiger "Baumeister" der Bombe, wohingegen sich Leo Szilard ebenso wie Robert Oppenheimer vehement, wenn auch vergeblich, gegen den tatsächlichen Abwurf der Massenvernichtungswaffe und gegen die Entwicklung der Wasserstoffbombe einsetzten. Von Neumann hatte indes keine Skrupel, 1945 als Mitglied des "Target committee" die Ziele in Japan auszusuchen und die Zielnavigation auf japanische Städte durchzurechnen.

Nach dem Krieg glaubte er fest an die Abschreckung und wollte die Russen lieber heut als morgen bombardieren: "If you say why not bomb them tomorrow, I say why not today? If you say today at five o'clock, I say why not one o'clock?".

In den 50er Jahren war von Neumann schließlich nebenbei noch Berater bei IBM, bei RAND und der Atomic Energy Commission. Gestorben ist er mit 54 Jahren noch recht jung an Krebs am 8. Februar 1957 -- vermutlich verursacht durch Verstrahlung. Zuletzt war an den Rollstuhl gefesselt, und es geht die Sage, er sei so das Vorbild für den Kubrick-Klassiker "Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" gewesen.

Als Professor soll er eher lausig gewesen sein, mit großen Sprüngen in der Beweisführung und einem katastrophalen Tafelbild -- aber das kennt man ja auch von anderen Mathematikern. Man musste ihn ja auch nicht verstehen, denn sein berühmtes Motto lautete: "In mathematics you don't understand things, you just get used to them".

Dafür war er ein großer Partyheld: Zusammen mit seiner zweiten Frau Klara veranstaltete er Woche für Woche rauschende Feste, er spielte gerne (daher der Hang zur Spieltheorie) machte unendlich viele Witze, trank gern mal mehr als einen, zerschrottete laufend seine Autos und stand auch als Lüstling in Verruf. Solch lockerer Lebenswandel scheint bei den Los-Alamos-Helden nicht selten gewesen zu sein, der spätere Nobelpreisträger Richard Feynman beispielsweise, auch für seine "Jokes" bekannt, trieb sich in zweifelhaften Bars herum, pflegte gar eine Zeitlang, seine Vorlesungen in einer Table-Dance-Bar in Pasadena vorzubereiten und malte Bilder für Bordelle. Von Neumanns Frau Klara feierte aber nicht nur die Partys mit, sondern arbeitete mit ihrem Mann zusammen und schrieb das Buch "The Computer and the Brain" mit. Sie war wohl auch die erste Programmiererin an einem "richtigen" Computer. Sechs Jahre nach seinem Tod beging sie Selbstmord. In von Neumanns (und Klaras) Geburtsstadt Budapest wurde ihm zu Ehren 1968 die Von-Neumann-Gesellschaft gegründet, die sich der Entwicklung der Informatik widmet. Für verdiente Mathematiker und Informatiker verleiht sie seit 1976 die Von-Neumann-Medaille.

Heutzutage wird unter Von-Neumann-Architektur nur verkürzt ein Prozessor mit gemeinsamem Instruktions- und Datencache verstanden, im Unterschied zur Harvard-Architektur, der nach dem von Howard Aiken an der Universität Harvard konstruierten Mark I benannten Architektur mit getrenntem Speicher und getrennten Pfaden für Daten und Instruktionen. Das bezieht sich inzwischen nur noch auf den L1-Cache, dass L2-Cache und Hauptspeicher gemeinsam sind, ist für diese Betrachtung weitgehend unwichtig. Der 486 war in diesem Sinne ein typischer Von-Neumann-Prozessor, fast der letzte seiner Zunft, denn in der x86-Welt wurde diese Architektur dann nur noch von Cyrix am Leben gehalten -- wiewohl diese zum Schluss mit winzigen zusätzlichen Mini-Caches auch schon Havard-lastig waren. Seitdem sind Von-Neumann-Architekturen weitgehend ausgestorben. Ob Pentium 4 oder Athlon, ob Itanium oder Opteron, ob PowerPC, UltraSPARC oder ARM: Getrennte Caches für Instruktionen und Daten sind fast durchgängig der Standard. Hier verblasst von Neumanns Name also langsam, wohingegen in der Mathematik sein Name -- etwa in seiner Algebra -- fest verankert bleibt. (as/ct) (bo)