Digital, Life, Design: Auf der Suche nach den guten Revolutionären

Zum Auftakt der Konferenz Digital, Life, Design feierten die 60er-Jahre ein fröhliches Comeback. Die Musik und die Thesen von damals trafen auf Menschen, die mit ihren Internetprojekten radikal neue Themen setzten. Am Ende des Tages erhielt Mitchell Baker von der Mozilla Foundation den Aenne Burda Award.

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Von
  • Detlef Borchers

Zum Auftakt der Konferenz Digital, Life, Design (DLD) feierten die 60er-Jahre ein fröhliches Comeback. Die Musik und die Thesen von damals trafen auf Menschen, die mit ihren Internetprojekten radikal neue Themen setzten. Am Ende des Tages erhielt Mitchell Baker von der Mozilla Foundation den Aenne Burda Award.

Mit einer modernisierten Fassung seines Hurdy Gurdy Man eröffnete der britische Sänger Donovan die Konferenz. Im Stil der 60er auf einer Holzgitarre geklampft, war die Nachricht von "A Digital Man" einfach zu entschlüsseln und stand obendrein auf dem T-Shirt des Sängers: "The Social Web is the next Sixties". Vor einem Konzert in München nutzte Donovan den Abstecher zum DLD, um für seine neue offizielle Website Donovan Life zu werben. Gastgeber Hubert Burda eröffnete anschließend die Konferenz mit einer Rede und zitierte einen weiteren Star der 60er, Walter Benjamin, der als Swinging Benjamin die Bewegung begleitete. Leider zitierte Burda einen Satz, den Benjamin so nicht geschrieben hat: "Wann immer sich die Medien ändern, ändert sich die Gesellschaft" ist eine typische Verknappung von Werber-Träumen.

Burda verglich die Entwicklung des Internets mit dem Übergang vom Fernhandel auf dem Land zum Seehandel und der damit entstehenden freien, nicht mehr territorialbezogenen Denkweise der Seefahrer: "Die meisten hier sind Segler." Der Aufbruch zu neuen Ufern, getrieben von der Suche nach Gold und Gewürzen, passte so gar nicht zu den Lousy Pennies, die Hubert Burda noch im letzten Jahr mit seinen Online-Aktivitäten verdiente. Das ändert sich: "Lasst uns die Wege finden, wo wir viele Pennies verdienen", erklärte Burda unter Verweis auf die Online-Werbung, die freilich ihre eigenen Probleme hat: "Die Geschäfte macht Google, und wir machen ein langes Gesicht."

Lässt man Google außen vor, so kennt das Web drei Erfolgsgeschichten, die nachhaltige Brüche produzierten. Skype veränderte das Geschäft der Telefonkonzerne, die Wikipedia transformierte das Stöbern im Lexikon ins digitale Leben und die Mozilla Foundation mit Firefox als Nachfolger von Netscape zeigte, dass Open-Source-Projekte im großen Stil funktionieren können. Der israelische Investor Jossi Vardi, langjähriger Partner von Hubert Burda, befragte Niklas Zennström (Skype), Jimmy Wales (Wikipedia) und Mitchell Baker (Mozilla), wie Brüche produziert werden können. Vardi selbst, der den von seinem Sohn entwickelten Instant-Messenger ICQ an AOL verkauft hatte, wollte Näheres zu den Geschäftsmodellen und der Zahl der Entwickler wissen, was alle drei für wenig relevant hielten. Als gemeinsames Merkmal der so unterschiedlichen "Unternehmen" blieb übrig, dass alle drei (wie Google auch) zum Start nicht ernst genommen wurden. Die Encyclopedia Britannica habe die Wikipedia erst bemerkt, als das Projekt bereits den zwanzigfachen Traffic im Vergleich mit dem etablierten Lexikon hatte, erklärte Jimmy Wales.

Mitchell Baker betonte, dass Firmen, die nachhaltige Brüche produzieren, auch eine gesellschaftliche Verantwortung haben können. Für die Mozilla Foundation sei nicht die Produktion einer bestimmten Software das Ziel, sondern die Orientierung am Nutzer: "Wir beschützen das digitale Ich. Unsere einzige Agenda ist, dass jeder die volle Kontrolle über seine Erfahrungen im Cyberspace hat." Damit setze sich Mozilla von Firmen ab, die mit ihrer Software eine eigene Agenda verfolgen. Am Ende des Tages erhielt Baker den Aenne Burda Award, der an Frauen verliehen wird, die ihren Weg gehen und Vorbild für andere sein können. Nach Caterina Fake (Flickr), Martha Stewart und Esther Dyson stand Mitchell Baker im Blitzlichtgewitter der Fotografen und schüttelte ihre Haare, die im Stil des Firefox-Logos geschnitten sind.

"Disruptive", der Umgang mit (Technologie-)Brüchen als Leitthema des ersten Tages, ist nicht nur positiv besetzt. Darauf machte Claudia Gonzales von The Global Fund aufmerksam, die unter anderem von der Arbeit des UN-Hilfswerkes in Katastrophengebieten berichtete. Ihr Fond unterstützt dabei ungewöhnliche Aktionen wie das Verteilen Tausender Nokia N95-Handys, damit die Betroffenen selbst über ihre Lage mit kurzen Videos berichten können. Einen nachdenklichen Aspekt brachte Joshua Ramo von der Beraterfirma Kissinger Associates aufs Tapet: "Auch die Terroristen wollen Brüche erzeugen. Es gibt gute und schlechte Brüche, die unsere Welt absolut nicht friedfertig machen. Einfach nur die Brüche an sich bewundern, ist der falsche Weg." Wenn das Social Web von heute die 60er im digitalen Lebensstil wiederholen soll, dann sollte man nicht vergessen, dass sie auch eine Ära gewalttätiger Auseinandersetzungen gewesen war. (jk)