Gehirn-Doping mit Ritalin macht gar nicht so smart

Verschreibungspflichtige Amphetamine steigern auch die Motivation von Gesunden. Doch deren Leistungsfähigkeit kann sinken, berichten Forschende in einer Studie.

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Medikamente, Medizin, Pillen, Gesundheit
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Wer hofft, etwa vor einer engen Deadline mithilfe verschreibungspflichtiger Psychostimulanzien zu geistiger Höchstform aufzulaufen, liegt offenbar falsch. Denn die Leistungsfähigkeit bei gesunden Menschen scheint zu sinken. In einer kürzlich im Fachblatt "Science Advances" veröffentlichten Studie zeigten zumindest die Wirkstoffe Methylphenidat – vor allem bekannt als Ritalin – , Dextroamphetamin und Modafinil in der Regel keine leistungssteigernde Wirkung. Im Gegenteil: Nahmen Probanden lediglich ein Placebo ein, schnitten sie in Tests besser ab.

"Wir konnten zeigen, dass Wirkstoffe, von denen man eine Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit erwartet, die Nutzer tatsächlich nur dazu bringt, härter zu arbeiten, während die Qualität der Arbeit abnimmt und diese auch noch länger dauert", sagt die Leiterin der Studie Elizabeth Bowman von der University of Melbourne.

Für die Untersuchung mussten 40 Probanden – zwischen 18 und 35 Jahre jung – das sogenannte Rucksackproblem in acht Varianten lösen. Dabei gilt es, verschieden schwere Dinge mit unterschiedlichem Wert für einen virtuellen Rucksack zusammenzustellen. Der Rucksack soll am Ende einen möglichst großen Gesamtwert haben, darf aber ein zuvor festgelegtes Gewicht nicht überschreiten. Alle Teilnehmenden absolvierten die Tests viermal, in vier aufeinanderfolgenden Doppelblindstudien, in denen sie jeweils eine der drei populären sogenannten "smarten Drogen" einnahmen beziehungsweise ein Placebo.

Das Ergebnis: Der erzielte Gesamtwert eines Rucksacks – und damit die Qualität der Problemlösung – war in der Regel niedriger, wenn ein Proband eine Stimulanz eingenommen hatte. Der Effekt fiel umso stärker aus, je besser ein Teilnehmer in der Runde ohne Stimulanzien abschnitt. Probanden, die unter den besten 25 Prozent ohne Placebo lagen, fielen "gedopt" in die Gruppe der schlechtesten 25 Prozent ab. Von jenen, die ohne Stimulanzien eher schlecht abschnitten, erfuhren einige wenige eine leichte Verbesserung ihrer Performance mit den Medikamenten.

Gleichwohl steigerten alle drei Medikamente die Motivation der Testpersonen, was die Forschenden an einer besonders hohen Zahl der Versuche und der aufgewendeten Zeit festmachen. Die Lösung des Problems dauert etwa um die Hälfte länger, wenn die Teilnehmenden zuvor Methylphenidat, das üblicherweise ADHS-Patienten verordnet wird, eingenommen hatten im Vergleich zum Placebo-Test.

Die Effekte müssten noch genauer geprüft werden, räumt der Neurowissenschaftler Peter Bossaerts von der University of Cambridge ein. "Unsere Ergebnisse legen aber nahe, dass diese Wirkstoffe einen nicht schlauer machen, als man ist." Wegen der Dopaminproduktion, die sie ankurbeln, sei der Motivationsschub durchaus zu erwarten gewesen. "Wir haben aber auch gesehen, dass die gesteigerte Anstrengung zu mehr sprunghaftem Denken führte", sagt Bossaerts.

Die Komplexität des Tests hebe die Studie von den sonst üblichen Labortests ab, wie sie etwa zu Effekten auf die Reaktionszeit genutzt wurden, heißt es in der Publikation. Die Ergebnisse bestätigen unter anderem eine Studie aus den USA, die 2020 im Fachblatt "Science" veröffentlicht wurde und den motivationssteigernden Effekt durch Dopamin genauer untersucht hatte. Auch in dieser Untersuchung war keine leistungssteigernde Wirkung der Medikamente gefunden worden.

Dass die Art der Tests sich auf das Ergebnis auswirken kann, zeigt eine elf Jahre alte Studie unter übermüdeten Chirurgen mit Modafinil. Ihre Fähigkeiten wurden unter anderem mithilfe eines Simulators getestet. Hier neigten Mediziner zu weniger impulsiven Entscheidungen, waren geistig flexibler und ihr Arbeitsgedächtnis war leistungsfähiger. Bei den gängigen neuropsychologischen Tests konnten diese Effekte hingegen nicht festgestellt werden.

Dass die Medikamente jenen Menschen helfen können, denen sie ärztlich verordnet werden, steht außer Frage. Ritalin etwa hilft Menschen mit ADHS, sich zu motivieren und zu fokussieren. Bei Gesunden aber überwiegen offenbar die Nachteile. Schließlich können Ritalin und Co. Nebenwirkungen haben. Die neue Studie dürfte Menschen, die solche Medikamente mit der Absicht des Hirndopings nehmen, zum Nachdenken bringen.

Update, 4.7.2023, 16 Uhr: Die Überschrift dieses Artikels wurde geändert. Zudem gab es Präzisierungen, dass es sich bei den Studienteilnehmern nicht um Menschen mit ADHS handelt, die auf Medikamente wie Ritalin angewiesen, und denen diese helfen.

(anh)