Balkonkraftwerke: Wechselrichter-Hersteller vergisst wichtiges Bauteil

Ein YouTuber hat entdeckt, dass seinem Deye-Balkonkraftwerk-Wechselrichter ein essentielles Bauteil fehlt. Das könnte zehntausende Wechselrichter betreffen.

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(Bild: heise online)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Andrijan Möcker
Inhaltsverzeichnis

Der Elektrotechnik-YouTuber Dr. Jens-Peter Eufinger vom YouTube-Kanal "VoltAmpereLux" hat beim Zerlegen eines Mikrowechselrichters des chinesischen Herstellers Deye mutmaßlich einen Fertigungsfehler entdeckt, der die Betriebserlaubnis der Geräte in Deutschland und einigen anderen Ländern gefährdet. Das Gerät vom Typ Deye SUN600G3 ist ein typischer Mikrowechselrichter für Balkonkraftwerke und erfüllt laut Hersteller die hiesig erforderliche Norm VDE-AR-N 4105.

Die Norm setzt voraus, dass das Gerät einen sogenannten Netz- und Anlagenschutz (NA-Schutz) hat, der die Wechselspannungsseite bei Gerätefehlern und abnormalen Netzsituationen trennt. Dazu gehört unter anderem der Fall, dass das Netz ausfällt oder der Wechselrichter vom Netz getrennt wird.

Diese durch sogenannte Kuppelschalter erreichte Trennung muss redundant sein und wenigstens an einer Stelle galvanisch trennen – ein Hersteller kann die Redundanz zum Beispiel dadurch schaffen, dass er einerseits softwareseitig die Wechselrichterschaltung stilllegt und andererseits mittels Relais trennt.

Der YouTuber hat bei seiner Prüfung die Vergussmasse entfernt und festgestellt, dass die für das Relais vorgesehenen Lötstellen unbelegt sind. Stattdessen befindet sich im Bereich eine Spule.

(Bild: Dr. Jens-Peter Eufinger / VoltAmpereLux / YouTube)

Eben genau dieser von der Norm geforderte mechanische Kuppelschalter fehlt dem Deye SUN600G3, von dem Eufinger zwei Stück geöffnet hat. Dort, wo das Relais eigentlich sitzen soll, ist eine Spule im Weg.

Im Verlauf der Recherche haben weitere YouTuber ihre Deye-Geräte geöffnet und ebenfalls keine Relais entdeckt. Auch in Foren fanden wir weitere Hinweise darauf, dass eine größere Anzahl von Geräten betroffen ist.

Der Fund überrascht, denn der Inspektionsdienstleister intertek hat die Mikrowechselrichter bereits 2020 im Auftrag des Herstellers unter die Lupe genommen und ihnen die Konformität mit der VDE-AR-N 4105 bescheinigt. Damals gab Deye nicht nur sein 600-Watt-Modell, sondern auch die mit 300, 500, 800, 1000, 1300, 1600, 1800 und 2000 Watt Ausgangsleistung bei intertek zur Prüfung ab.

Im Prüfzertifikat ist bei allen Geräten ein Kuppelschalter vom Typ Hongfa HF115F angegeben. Dahinter verbirgt sich ein 16-Ampere-Relais mit 8 Millisekunden Abschaltzeit. Auch in einem neueren intertek-Zertifikat ist das Relais genannt.

Aktuell sind viele Details unklar – ob Deye einzelne Chargen ohne den Schalter nach Europa ausgeliefert oder das Platinenlayout generell geändert hat, steht noch nicht fest. Denkbar ist, dass Deye Produkte für andere Regionen nach Europa verkauft hat.

Sicher ist jedoch, dass Geräte ohne Relais nicht dem Zertifikat entsprechen und Deye erklären muss, ob und wie der redundante NA-Schutz bei den betroffenen Geräten anderweitig erfüllt wird.

Einen Grund zur Panik gibt es erst einmal nicht, denn wenn die Wechselrichter ordnungsgemäß funktionieren, sorgen deren Mikrocontroller auch ohne Relais dafür, dass die Spannungserzeugung sofort eingestellt wird, wenn ein Fehler auftritt oder einfach nur der Stecker gezogen wird. Bislang gibt es auch keine Berichte über elektrische Fehler an Deye-Geräten.

Trotzdem ist offen, ob die betroffenen Geräte bis zum Austausch weiter betrieben werden dürfen und ob sie den Anforderungen der VDE-AR-N 4105 ansonsten gerecht werden. Insbesondere eine Reaktion der Bundesnetzagentur wäre dafür entscheidend.

Marc Niemann vom YouTube-Kanal "marctestet" steht laut eigenen Angaben im engen Kontakt mit Deye. Im Gespräch mit heise online sagte er, dass mehrere Händler bereits mit dem Hersteller über eine Lösung für die betroffenen Geräte diskutieren.

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Deye-Mikrowechselrichter erfreuten sich im letzten Jahr gerade für Balkonkraftwerke großer Beliebtheit und werden hier unter verschiedenen Markennamen verkauft: Beim Händler Pearl heißen sie revolt, in Webshops heißen sie auch Bosswerk. Der Hersteller integrierte als einer der ersten eine Auswertung per WLAN direkt in die Wechselrichter, während viele andere eine separate, meist teure Bridge für proprietäre Funkschnittstellen voraussetzten. In Verbindung mit einer Smartphone-App bot Deye ein leicht einzurichtendes Komplettpaket.

Speziell in den vor einigen Monaten aufgekommenen Discounter-Sets waren wegen dieser Einfachheit oft Deye-Geräte enthalten, so unter anderem bei Netto. Es ist somit nicht auszuschließen, dass sie zu Zehntausenden oder gar hunderttausendfach im Einsatz sind.

Die Deye-Wechselricher schafften es schon im März 2023 in unsere Berichterstattung. Damals berichtete heise online, dass die ausgelieferte Firmware verhinderte, den eingebauten WLAN-Access-Point abzuschalten oder den Schlüssel zu ändern. Nachbarn hätten darüber leicht Zugriff auf Wechselrichter und Heimnetz erlangen können. Deye behob das Problem per Softwareupdate – ein fehlendes Relais ist dagegen unmöglich aus der Ferne nachzurüsten.

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(amo)