Bitkom-Forum: Auf dem Weg in die "Gigabit-Gesellschaft"

Mobilfunk und TV-Kabel sind neben der Glasfaser Treiber beim Breitbandausbau, waren sich Experten auf einem medienpolitischen Forum des Branchenverbandes Bitkom einig. Den "Hype" um die Netzneutralität verstehen Anbieter und Regulierer unterdessen nicht.

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Mobilfunk und Kabel sind neben der Glasfaser Treiber beim Breitbandausbau, waren sich Experten auf dem Forum Kommunikations- und Medienpolitik des Branchenverbands Bitkom am heutigen Montag in Berlin einig. Telefonica o2 hofft demnach "ganz stark" auf die für April anberaumte Versteigerung der Funkfrequenzen aus der sogenannten digitalen Dividende, der den besonders leistungsstarken und einfach ausbaufähigen Bereich um 800 MHz enthält. Das bei der Auktion feilgebotene Spektrum von 60 MHz würde mittelfristig zwar nicht ausreichen, es könnte aber kurzfristig genutzt werden, um "weiße Flecken" bei der Breitbandversorgung über den Mobilfunk zu schließen.

Die Netzausrüster seien für das Ausrollen der neuen Funktechnik LTE (Long Term Evolution), die auf der digitalen Dividende aufbauen soll, bereit, betonte Herbert Merz von Nokia Siemens Networks. "Hunderttausende Basisstationen" für die vierte Generation des Mobilfunks seien hierzulande bereits im Feld, so dass die Senderseite "gut ausgerüstet" sei. Mit ersten Endgeräten in Form von Modems rechnet Merz "Ende des Jahres". Frühe Telefone, die etwa VoIP über LTE anbieten könnten, dürften seiner Ansicht nach ab 2011 auf den Markt kommen.

Als erstes würden USB-Sticks für Laptops und PCs für den LTE-Anschluss gebraucht, ergänzte der Chef der Deutschen Telekom, René Obermann, um "die ganz normale Haushaltsversorgung" sicherzustellen. Die Telekom habe einen LTE-Piloten bereits erfolgreich durchgeführt. Probleme wie beim UMTS-Start mit fehlenden Endgeräten erwartet Obermann nicht mehr in der zweiten Stufe der Vermarktung: "Wir brauchen nicht mehr eine so lange Anlaufkurve."

Neben dem breitbandigen Mobilfunk schätzte der Telekom-Vorstandsvorsitzende den Wettbewerb durch die Kabelnetzbetreiber als "relevanten Faktor" beim Aufbau sehr schneller Datenautobahnen ein. Vorsorglich forderte er, dass deren neue Bedeutung und ihr direkter Zugang zu den Haushalten auch "in der regulatorischen Gestaltung in den nächsten Jahren berücksichtigt" werden sollte. Der Geschäftsführer von Kabel Deutschland nutzte die Gelegenheit, um den Start des Angebots von Verbindungen mit 100 MBit/s in Hamburg für knapp 50 Euro pro Monat anzukündigen. Er zeigte sich zuversichtlich, bis 2014 rund 60 Prozent der bundesdeutschen Haushalte entsprechende Bandbreiten zur Verfügung stellen zu können.

Detlef Eckert, Politikstratege in der Generaldirektion Informationsgesellschaft und Medien der EU-Kommission, forderte die Branche und die Politik auf, "große Ziele zu verfolgen". Es sei sinnvoll, sich über 10 oder 30 MBit/s in den Bereich 100 MBit/s hinauszuwagen und die "Gigabit-Gesellschaft" anzustreben. Europa sollte bei der Breitbandanwendung eine Führungsrolle spielen. Derzeit könnten 90 Prozent der Europäer zwar theoretisch schnelle Internetverbindungen in Anspruch nehmen. Nur die Hälfte davon nutze aber dieses Potenzial. Konkret sprach er sich dafür aus, das deutsche Modell der Erstellung eines Infrastrukturatlasses zur Übersicht noch zu schließender Lücken bei der Breitbandversorgung europaweit zu übertragen. Generell werde die Kommission ihre Pläne für eine "digitale Agenda" Ende April auf einem informellen Treffen des Ministerrats in Grenada weiterverfolgen. Diese sollten auch Verbesserungen des Verbraucherschutzes sowie eine "neue Ausgestaltung" des Urheberrechts mit sich bringen.

Vodafone-Chef Friedrich Joussen ermahnte Brüssel, bei der Regulierung des TK-Marktes "nicht nur den Verbraucherschutz" in den Vordergrund zu stellen. Asiatische Länder hätten der Politik in Erinnerung gebracht, dass es sich dabei "in der Regel um Industriepolitik" handeln müsse. Er forderte einen "Masterplan" für die Stärkung der europäischen "Führungsrolle" bei LTE. Einig war er sich mit Obermann, dass bei der Regulierung das Thema der Sicherung der Netzneutralität nicht die Oberhand gewinnen dürfe. Es müsse möglich sein, "unterschiedliche Serviceklassen auch verschieden bepreisen zu können".

Der Chef der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, konnte den "Hype" in der US-Debatte um die Sicherung der Prinzipien des offenen Internet ebenfalls nicht verstehen. So hätte die Branche zwar die Möglichkeit, einzelne Ströme von Datenpaketen mit Priorität durch ihre Netze zu leiten, lange gewünscht. Entsprechende technische Möglichkeiten habe sie bislang aber nicht vorgelegt. Fälle klarer Verstöße gegen die Netzneutralität seien international an einer Hand abzuzählen. Die Diskussion um Offenheit könnte aber an Bedeutung gewinnen, meinte der Chef von IBM Deutschland, Martin Jetter, wenn es auch hierzulande nicht mehr nur um den Aufbau von Breitbandnetzen, sondern um die darüber abgewickelten, eigentlich entscheidenden Anwendungen und Mehrwertdienste gehe. Hier seien zumindest "offene Standards" die Grundvoraussetzung für eine Akzeptanz beim Kunden. (pmz)