Ex-Universal-Chef attackiert Online-Strategie der Musikindustrie

"Das Internet ist ein Gottesgeschenk, da jeder Mensch dort Musik nach seinem Geschmack finden kann", meinte Tim Renner. Die Content-Anbieter freunden sich derweil mit dem Vertriebs- und Marketingkanal Breitbandnetz an.

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Traditionelle Medienhäuser und Inhalte-Anbieter legen langsam ihre Scheu vor dem Internet ab und setzen gerade auf das Breitbandnetz als neuen Vertriebsweg für ihren Content. So pries Tim Renner, der scheidende Geschäftsführer von Universal Music Deutschland, das Internet heute auf dem Presse Kolloquium der Deutschen Telekom just für die mit P2P-Tauschbörsen besonders im Clinch liegende Musikindustrie als "Gottesgeschenk". Denn das Schöne am Netz sei es, "zu jedermann zu jederzeit seinen Musikgeschmack rüberbringen" zu können. Dieses Potenzial sei in der Branche nicht ausreichend erkannt worden. "Die Musikindustrie hat das Problem einer Industrie, der es zu gut gegangen ist."

Die größte Chance sieht Renner für die kleinen Labels, da das Internet vor allem die Vertriebswege demokratisiere. Generell sieht der langjährige Sunnyboy der Branche gravierende Änderungen auf seine Branche zukommen. Breitband mache es den Künstlern möglich, selbst stärker mit ihren Publikum in Kontakt zu treten und sich "transparenter" zu machen. Renner denkt etwa an "Streams aus dem Studio". Auch würden die Sänger und Bands stärker "mit der Community über eigene Blogs kommunizieren" und ihre "Fans mitnehmen". Den großen, nach hochprozentigen Renditen strebenden internationalen Konzernen bleibt laut Renner dagegen nur übrig, sich aus lokalen Märkten weitgehend zurückzuziehen.

Als Universal-Chef hatte Renner die besten Möglichkeiten, die Unbeweglichkeit der großen Tanker der Branche am eigenen Leibe zu verspüren. So musste er das legale Musikangebot Popfile der Deutschlandtochter starten, "ohne das Headquarter zu informieren". Sonst wäre alles noch viel langsamer gegangen. Um nicht zurückgepfiffen zu werden, holte sich Renner extra den Bundeskanzler beim Start der Online-Plattform ins Haus. Nur dank diesem Trick sei seine eigenwillige Aktion durchgegangen.

Renner hielt seinen Kollegen in der Musikindustrie vor, die Rechte über einzelne Musikstücke "unsinnigerweise in lauter kleine Häppchen" aufzuteilen. "Das macht die Filmindustrie anders. Auch die Musikindustrie muss erkennen, dass sie eine Rechte-Industrie ist." Das Internet sei im Guten wie im Schlechten international. Daher seien die Zentralen der Musikkonzerne gefragt, die Onlinenutzung voranzutreiben.

Auch für Mathias Döpfner, Chef des Axel Springer Verlags, ist es inzwischen eine "gute Nachricht", dass das Internet auf dem Vormarsch ist. Es erlaube neue Geschäftsmodelle wie das Gemeinschaftsangebot bild.t-online, wobei sich überraschenderweise statt der Bannerwerbung der E-Commerce als die "überragend wichtige Erlösquelle herausgestellt hat". Es gäbe aber noch Nachholbedarf an "Emotionen" im Netz, um die breite Masse der Konsumenten anzulocken. Bisher seien etwa erst 20 Prozent der BILD-Leser online. Große Rationalisierungspotenziale erhofft sich Döpfner mit dem Durchbruch des "digitalen Papiers", mit dem er aber nicht mehr in diesem Jahrzehnt rechnet. Mit Hilfe des neuen Medienträgers würden "Produktions- und Vertriebskosten massiv sinken." Denn die Inhalte kämen dann übers Netz digital auf die elektronische Zeitung.

Optimistisch zeigt sich zudem T-Online-Chef Thomas Holtrop. Er zitierte Studien, wonach sich der Markt für Bezahlinhalte bis 2008 versechsfachen soll. Entscheidend sei dabei neben der leichten Bedienbarkeit der legalen Angebote auch "die rechtliche Sicherheit". Hier mache die Medienindustrie gute Fortschritte. "Das intensive Vorgehen gegen illegale Downloads in den USA zeigt Wirkung", ist sich Holtrop sicher. So gehe die durch P2P-Börsen verursachte Netzbelastung bei T-Online zurück. Die Nutzer müssten aber noch stärker "ein klares Rechtsbewusstsein erwerben". T-Online werde dennoch nicht soweit gehen, die persönlichen Daten einzelner Kunden aufzudecken. Dass P2P gerade einer der Gründe für die Attraktivität von Breitbandzugängen ist, wollte Holtrop nicht direkt kommentieren: Man habe die Tauschnetzwerke nie zur eigenen Promotion benutzt und setze auf legale Angebote. (Stefan Krempl) / (jk)