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Was war. Was wird.

Kontrollverlust über die Privatsphäre in Social Networks? Ach, was ist das schon gegen den Kontrollverlust übers eigene Hirn in der Politik. Da helfen auch keine Otternasen zur Erfrischung, befürchtet Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Gleich vorab ein warnendes Wort an alle Leser: Diese kleine Wochenschau wird mit dem neuen, aber offenbar schon weit verbreiteten Trivial File Transfer Protocol in die Redaktion geschickt. Mit diesem TFTP werden nämlich Terroranschläge dadurch verhindert, dass immer ein Stück Dummheit und Blödheit mitgeschickt werden. Dieser Huckepack sorgt dann dafür, dass Bomber ihre Mischungen vermasseln und Politiker das Netz nicht verstehen: Kleine, geschickt im Datenstrom versteckte Trivialitäten schlagen dabei der Realität ein Schnäppchen. Bekanntlich scheiterten die Sauerland-Bomber an der Aufgabe, H20 in Wasser aufzulösen. Politiker fanden die Auffahrt zur Datenautobahn nicht in ihrem Navi. Verdeckte Ermittler in sozialen Netzwerken twitterten das Menü des Tages aus der BKA-Kantine in Wiesbaden.

*** Trivialitäten, wohin man sieht: Aus irgendeinem Grunde ist Jeff Jarvis, der Hohepriester des Web 2.0 beim Saunieren in einer deutschen Sauna gelandet, in der Männlein wie Weiblein schwitzten, und hat daraus gleich eine Theorie der deutschen Privatsphäre entwickelt. Wäre es eine Kontaktsauna gewesen, hätten wir wohl Kolle 2.0 bekommen. So aber ist es bei der verschwitzten Erklärung der Privatsphäre geblieben, mit der sich der Befürworter von Nacktscannern intim gibt. Hoppsa, welche Trivialität hat aus diesen Geräten eigentlich Körperscanner gemacht? Und warum gibt es Ausdrucke, obwohl dies der Flughafenbetreiber dementiert? Wo bleibt die wissenschaftliche Untersuchung, was beim Trivial File Transfer alles passieren kann? Vielleicht die Erkenntnis, dass die Form den Inhalt beeinflusst. Besonders bei Bloggern kann man ganz abenteuerliche Deformationen und Herleitungen der Privatsphäre finden, wenn sie in freudiger Selbstaufgabe vom Kontrollverlust faseln und padeluun altmodisch finden: "Wir sind per se enteignet!"

*** Vielleicht ist es auch der triviale Unterschied, den Dan Bricklin in seinem schönen Buch On technology so formuliert: "I believe that there is a people factor in the adoption of technology that is too often neglected." Nur der, wer nicht an die Verantwortlichkeit der Programmierer glaubt, kann solchen Unsinn formulieren, wie der erwähnte Blogger mit defektem Kontrollsystem: "Heute muss die Privatheit künstlich, sehr aufwändig hergestellt werden. Opt-Outs bei Facebook, Haken, die man in seinem Internetbrowser setzen muss, Plugins, die man installieren muss, Caches und Cookies und Histories, die man regelmäßig löschen muss." Die behauptete Aufwändigkeit ist schlicht nur Schlamperei der Firmen und ihrer Programmierer, gegen die man sich wehren muss. Das zeigt das Beispiel von Google Buzz. Zwei Tage nach dem Start hatte Google die gröbsten Schweinereien umgebaut und den Kontrollverlust eingedämmt, ganz nach dem Firmenmotto "Don't be live".

*** Mit dem gebotenen demokratischen Anstand hat das EU-Parlament das SWIFT-Abkommen abgelehnt, auch wenn dieses mit dem Trivial File Transport Protocol wahre Wunder bewirkt. Die Wochenchronik registriert nach langer Dürre einen guten Tag für den Datenschutz, auch wenn in langen, zähen Verhandlungen herauskommen dürfte, dass hinter TFTP ein Terrorist Finance Tracking Program steht und keine Trivialinjektion in den alltäglichen Datenwahnsinn. Als Basis künftiger Verhandlungen schlage ich eine finnische Sauna vor, auf einer kleinen, leicht abzusichernden Schären-Insel.

*** Kultur kommt aus dem Lateinischen und leitet sich bekanntlich davon ab, dass schon im alten Rom der Mist und die Kotze auf die Felder gefahren wurden, zur Wiederaneignung durch Getreide und Bohnen. Nun hat sich eine 17-jährige an dem Mist und der Kotze eines Bloggers vergriffen und daraus, gepatcht mit vielen anderen Textübernahmen und Pappi, ein Buch gemacht, vor dem das deutsche Feuilleton ergriffen niederkniet. Derweil ärgert sich die Blogosphäre und selbst Don Silberkanne über das Feuilleton, das sonst bei jeder gelegenheit vor der Copy&Paste-Kultur warnt. Unbehelligt kann derweil die arrogante kleine Textdiebin auf Talkshows im Fernsehen unter anderen Kotztüten auftreten und ihre Kultur zeigen. Warum auch nicht, wenn jeder Überdenker weiß, dass man sich ungestraft am Overmind vergreifen kann, ohne korrekte Angabe des Griffs. Peinlich wird die Sache erst, wenn mit "Wir haben abgeschrieben" gewitzelt wird und die selbstproduzierte literarische Sensation mit einer im besten Sinne subversiven Aktion auf eine Stufe gestellt wird.

*** Jaja, die spinnen, die Römer. Von ihnen kommt nicht nur die Kultur, sondern auch die "Dekadenz": Der Mist wurde auch in spätrömischen Zeiten zwar immer noch kultiviert auf die Felder gekarrt, aber man kotzte und kackte mitten im Fressgelage. Das kann man bei Petronius nachlesen. Bislang ist dies eine der wenigen Quellen für das Vulgärlatein der niederen Schichten. Über die, die heute ganz unten sind, hat sich Guido Westerwelle von den Freiwilligen Deutschen Pensionsbesitzerschützern ausgekotzt, weil nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes die Menschenwürde neu berechnet werden muss. Ganz besorgt um die "Missachtung der Mitte" verkündete er: "Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein." Zur grottenfalschen Analogie wie zur fehlerhaften Rechnung passt es bestens, dass Arbeitsministerin von der Leyen den Namen "Hartz IV" abschaffen und einen neuen nicht von oben herab verordnen will. Wie wäre es spätrömisch-neudeutsch mit Beapossi, gebildet nach Beati Possidentes, mit einem Hauch Tuttifrutti. Aber halt, da war doch noch der von Arbeitspflichten schwärmende Roland Koch. Zur Wiederfasturaufführung von Metropolis rühmte er die Restaurierung des Films mit der "Software unserer Tage", und die "von 1927 aus gezeichnete Darstellung des Menschen als Computer". Wer assoziiert da nicht die "Computeures" des Gaspard de Pronys, die armen, arbeitslosen Friseure nach der französischen Revolution, die schlicht als Rechenmaschinen die Werte logarithmischer Tabellen ausspucken durften? Aber vielleicht denkt man auch daran, dass das Hirn schnell in Marschtritt  verfällt, wenn man den Swing nicht hat. Aber Gelassenheit, Coolness und Hipness hat auch unserem Außenminister noch niemand nachgesagt, auch wenn er sich noch so sehr bemüht.

*** Nach dem Auftauchen diverser Datenträger mit Bankgeheimnissen wird in Deutschland eine interessante Debatte geführt. Im Extrem tanzt das Kamel auf dem Nadelöhr Tango, wenn eine Justizministerin befindet, dass man Daten nicht klauen kann. Vielleicht hätte sie mal mit ihren Ermittlern gesprochen, die in Bayern besonders gerne Festplatten ausbauen. Ein anderes Extrem kommt aus der Schweiz, wo spekuliert wird, dass nach den bösen Hackern über den Datendieb als Lehrberuf spekuliert wird. Noch hübscher ist freilich der Konter mit der Drohung, die Schweizer Konten deutscher Politiker zu veröffentlichen. Wer Stil beweisen will, wählt die geplante Wikileaks-Präsenz in Island zur Veröffentlichung. Dort sind die Banken längst geschmolzen.

Was wird.

So ganz verstehe ich ihn nicht, den Valentinstag heute. Wer mich mag, wird sicher nicht auf dumme Gedanken mit Krawatten kommen. Und Rosen aus Kenia sind sicher nicht romantisch, nur weit gereist. Ob aber die Idee, mit freier Software so viel besser ist? Egal, ich mach mich draußen in der hübsch verschneiten Tiefebene ans Umarmen des nächsten Schneemannes. Schnee und Sand stehen immer unter einer Free Commons License.

IT-mäßig gesehen sind Olympische Winterspiele seit jeher ein Leckerli. Wie war das noch mit Tonya Harding, deren Mail-Passwort auf der Rückseite der Akkreditierungskarte von einem Journalisten gelesen wurde? Oder nehmen wir die Spiele von Albertville 1992, die in HD-TV ausgestrahlt wurden, was heute begeistert im Tal der Ahnungslosen gefeiert wird. Als Antidot zu strunzdämlichen Fernsehkommentaren muss hier die Mitschrift von Jens Weinreich empfohlen werden, der neben Gedanken über den toten Rodler darauf verweist, dass München 2018 auch kritisch gesehen werden kann. (jk)