Der große Moment
Was die amerikanischen Astronauten tatsächlich Großes für die Menschheit geleistet haben, ist bisher meist übersehen worden - dabei haben sie es vollbracht, noch ehe einer von ihnen ins All geflogen ist.
- Peter Glaser
Zwei Ereignisse in den letzten Tagen haben auf wichtige Momente der bemanten Raumfahrt hingewiesen. Das erste erinnerte an die Anfänge: Am 13. Februar wurde Chuck Yeager 87 Jahre alt, General im Ruhestand und ehemaliger Testpilot der US-Air Force. Yeager war der erste Mensch, der ein Flugobjekt mit Überschallgeschwindigkeit flog und sozusagen der letzte Pilot, der noch versuchte, mit herkömmlichem Fluggerät bis an die Weltraumgrenze hochzufliegen, was ihn beinahe das Leben gekostet hätte.
Das andere Ereignis war der Transport des Moduls "Tranquility" (dessen Name an die "Tranquility Base" erinnert, den Aufsetzpunkt der ersten Mondlandung im "Meer der Ruhe") und der Aussichtsblase "Cupola" (eine Bezeichnung, die merkwürdig an die Cosa Nostra erinnert, deren Führungsebene sich "Cupola", die Kuppel, nennt) auf die Internationale Raumstation ISS. Es gab anfangs Schwierigkeiten bei der Montage, aber wenn Cupola einmal festgeschraubt ist, können ISS-Bewohner künftig durch sieben Fenster hinaus ins All blicken und im Geiste Papierflieger zum Mond schicken.
Nachdem im April 1959 aus einem Heer von Bewerbern die ersten sieben Astronauten ausgewählt worden waren – die "Mercury Seven" –, sah Yeager sich die neue Spitzenpiloten-Gattung mit einer gewissen Distanziertheit an. Obwohl er beste Chancen gehabt hätte, bewarb er sich nicht als Astronaut. In seinen Augen waren das keine Piloten, sondern lebende Kanonenkugeln.
Damals war in den Augen der Ingenieure die Technik das alles Entscheidende. Der Mensch in der Kapsel würde so etwas wie die Marmelade in einem Berliner sein. "Der Astronaut ist ein überzähliger Bestandteil des Systems", befand einer dieser Technokraten im Sommer 1960 anlässlich einer Konferenz des Armed Forces National Research Council. In seinem Reportageroman "Die Helden der Nation" beschreibt Tom Wolfe, wie neben zahllosen anderen unglaublich unsinnigen und unangenehmen Tests jeder Astronauten-Kandidat zwei Stuhlproben in Feldbechern abliefern musste.
Charles Conrad – er landete im November 1969 mit Apollo 12 auf dem Mond – brachte tagelang nichts zustande. Schließlich produzierte er einen harten, kleinen Kotball, durchschossen mit unverdauten Samenkörnern von Jalapenopaprikas, die er in einem mexikanischen Restaurant gegessen hatte. Er band eine rote Schleife um das Ergebnis und lieferte es im Labor ab. Das Personal musterte ihn, "als sei er ein lästiges Insekt auf der Windschutzscheibe des Fortschritts".
Aber diese lästigen Insekten, die sich beworben hatten und nun Astronauten waren, versuchten, die Ehre der Menschen vor den Maschinen zu retten. Sie machten auf ihre Art darauf aufmerksam, dass Techniker und Wissenschaftler außer Kontrolle zu geraten drohten. Als die Sieben zum ersten Mal das Modell einer Mercury-Kapsel sahen, tauchte die Frage auf: "Wo sind die Fenster?" Daraufhin sagte einer der Konstrukteure: "Es gibt keine."
Die Astronauten bestanden auf einem Fenster. Sie drohten damit, vor die Presse zu gehen. Sie wollten Piloten sein, die sehen können, wohin sie fliegen, und nicht Marmelade. Die Astronauten bekamen ein kleines Bullauge in der Kapsel. Das war der große Moment der bemannten Raumfahrt: Die Maschine ging wieder in die Hand des Menschen über. Die Technokraten waren entmachtet, nicht ganz natürlich, aber in einem entscheidenden Punkt. Man hätte an dieser Stelle die ganze Raumfahrtprogramm-Arie beenden können, da die bedeutendste Leistung bereits vollbracht war. Aber es dauerte noch einmal 50 Jahre, um eine 100 Milliarden Euro teure Raumstation in einer Erdumlaufbahn zusammenzubauen, nur um endlich auch hier durch sieben Fenster auf den entschwundenen Traum neuerlicher Reisen zum Mond blicken zu können.
(bsc)