Fraunhofer-Institute arbeiten am Kino der Zukunft

Am Rande der 60. Berlinale eröffnet das Heinrich-Hertz-Institut mit dem "TiME Lab" eine experimentelle Plattform für Filme, in die der Zuschauer über eine 180-Grad-Leinwand mit 128 Lautsprechern hineingezogen werden soll.

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Am Rande der roten Teppiche der 60. Internationalen Filmfestspiele in Berlin eröffnet das Heinrich-Hertz-Institut (HHI) mit dem "TiME Lab" am Freitag eine experimentelle Plattform für Filme, in deren Geschehen der Zuschauer auf einer 180-Grad-Leinwand mithilfe von 128 Lautsprechern direkt hineinversetzt werden soll. Im 11. Stock der Fraunhofer-Einrichtung in der Hauptstadt können sich Interessierte dann einen Einblick in die mögliche Zukunft des Kinos verschaffen. Der Effekt des Eintauchens in die filmische Umgebung soll zum einen durch sieben HD-Projektoren mit einer Auflösung von 7000×2000 Pixeln erzeugt werden. Hinzu kommt auf der Tonebene eine im Kreis angeordnete Beschallungsanlage, die nach dem Prinzip der Wellenfeldsynthese funktioniert.

Sieben HD-Projektoren sorgen im "TiME Lab" für ein neues Kinoerlebnis.

TiME steht für "Tomorrow's immersive Media Experience". Geboten werde in dem Labor, dessen Einrichtung mit über einer Million Euro zu Buche geschlagen habe, eine "weltweit einmalige Synthese aus der besten derzeit verfügbaren Video- und Tontechnik", erklärt Peter Kauff, Leiter der Gruppe Immersive Medien & 3D-Video am HHI. So werde die halbkreisförmige Leinwand etwa mit einer speziellen Blendtechnik bespielt, um ein hochaufgelöstes Bild zu erzeugen. Zur Aufnahme erster Panoramabilder im Dortmunder Westfalen-Stadion und bei einem historischen Stadtfest in Mindelheim im Allgäu sei zudem eine spezielles Aufnahmesystem mit sechs gleichzeitig bedienbaren HD-Kameras entwickelt worden. Derzeit liefen Gespräche mit dem Profi-Ausrüster ARRI, um die Qualität in diesem Bereich noch zu verbessern.

Für die Akustik auf Basis der Iosono-Technologie zeichnet das Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie (IDMT) in Illmenau verantwortlich. Erforderlich für die Einbeziehung des Zuschauers auch im Tonbereich sei das Anbieten von 3D-Sound "auf allen Plätzen", führt der dortige Leiter der Abteilung Multimedia-Systeme, René Rodigast, aus. Wichtig dafür sei der Richtungsbezug, da Bild und Ton harmonisieren sollten. So mache im Lab ein "Ring von Lautsprechern" um den Besucher herum, der teils hinter der akustisch transparenten Leinwand verlaufe, eine genaue Lokalisation von Klangereignissen möglich. Damit könne man diese "bewegen, animieren oder an eine Stelle stellen".

Auch die Kameratechnik muss für das Kino von morgen komplett umgestaltet werden.

Prinzipiell muss die Geräuschkulisse für die Wellenfeldsynthese Rodigast zufolge sehr viel kleinteiliger aufbereitet werden als bei bisherigen Tonspuren. "Wir machen nicht die typische Trackaufnahme", erläutert der Multimedia-Experte. Vielmehr werde jedes Geräusch gesondert herausgepickt und mit speziellen Eigenschaften versehen. In der Summe ergebe sich dann im Idealfall eine "natürliche Akustik" aus der Vielzahl der einzelnen Tonprojekte.

Auch in der filmischen Erzählweise könnten die neuen Kamera- und Projektionstechniken für Überraschungen sorgen. Alfred Behrens von der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf (HFF) in Potsdam hofft, dass die Techniken künftig die Umsetzung komplexerer Stoffe ermöglichen. Er hat neben einer Versuchsreihe für immersive Projekte für den rbb gemeinsam mit Corinna Volkmann das Drehbuch für den ersten 180-Grad-Panoramakurzfilm "Orlac Reloaded" geschrieben, der morgen Premiere haben soll. Dieser sei unter "allergrößten Schwierigkeiten" entstanden, schildert Behrens die Geburtsmühen eines neuen Mediums. Sie hätten mit den Freigaben des Stoffes angefangen, sich über einen 90 Grad über dem Kopf des Regisseurs schwebenden Kontrollmonitor bei der verwendeten "Omnicam" fortgesetzt und seien mit dem Widerstand des Kameramanns gegen das reine Abfilmen langer Sequenzen auf einer Art Theaterbühne noch lange nicht beendet gewesen.

Die Regie erfordere aber ein Zurückgehen auf das klassische Schauspiel, glaubt Volkmann: "Eigentlich müsste es zwei Regisseure geben", einen für die Ton- und einen für die visuelle Ebene. Spannend sei es, den Zuschauer durch die Lokalisierbarkeit des Tons bewusst zu lenken oder zu verwirren. Insgesamt könne man viel mehr Handlungsstränge einbauen und rund "sieben Geschichten" parallel erzählen. Entsprechende Filme müsse man dann aber auch siebenmal anschauen. Klar ist für Volkmann derzeit angesichts der neuen kreativen Herausforderungen nur, dass eine Neuauflage des "interaktiven Fernsehens", in dem sich der Zuschauer für eine Fortsetzung der Handlung entscheiden muss, nicht geben werde, denn: "Das hat nicht funktioniert." (jkj)